Zwiespältiger Blick auf Gentechnikrecht
Berlin: (hib/EIS) Sachverständige bewerten die Regulierung neuer gentechnischer Methoden sehr unterschiedlich. Das wurde am Montag in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zum Gentechnikrecht deutlich. Der Ausschussvorsitzende Alois Gerig (CDU) fasste eingangs zusammen, dass Befürworter in den neuen Züchtungstechnologien ein großes Innovationspotenzial sähen, während Kritiker davor warnen würden, dass nach einer Verbreitung in der Natur mit diesen Technologien erzeugte Organismen nicht mehr zurückgeholt werden könnten. Der Anhörung lagen je ein Antrag der FDP-Fraktion (19/10166), der die Chancen neuer Züchtungsmethoden betonte, und ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/13072) mit der Forderung der Regulierung neuer Gentechniken zugrunde.
Der Sachverständige Matthias Braun sprach sich dafür aus, die gesetzlichen Regelungen an den tatsächlichen Risiken eines Produktes auszurichten. Vorbehalte gegenüber einer Technologie sollten dabei nicht ausschlaggebend sein. Braun fasste zusammen, dass die neuen Methoden einfach, präzise und ressourcenschonend seien und das Potenzial hätten, die herkömmlichen Züchtungsmethoden zu deklassieren, weil sie in der Geschwindigkeit überlegen sind. Wenn die Biotechnologie für Deutschland eine Schlüsseltechnologie sein soll, brauche es Maßgaben und Rahmenrichtlinien, sodass damit gearbeitet werden könne. Die derzeitige Herangehensweise an das Gentechnikrecht wertete Braun hingegen als einschränkend.
Auch der Sachverständige Stephan Clemens schätzte das Potenzial der neuen Züchtungsmethoden als gewaltig ein. Genome-Editing heiße dabei nicht nur, einer industrialisierten Landwirtschaft Vorschub leisten zu wollen. Als Wissenschaftler plädierte er dafür, evidenzbasiert zu argumentieren. Risiken sollen quantifiziert werden und es müssen entsprechende Abwägungen vorgenommen werden. Der Sachverständige führte weiter aus, dass bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips auch die Frage nach den Potenzialen einer Technik gestellt werden müsse. Insofern sei die Frage zu beantworten, welcher Schaden angerichtet wird, wenn Potenziale nicht genutzt werden.
Timo Faltus warb dafür, dass der Diskurs über die Gentechnik bei der rechtlichen und politischen Bewertung mit eindeutigen Vokabeln geführt werden sollte, die mit eindeutigen Inhalten besetzt seien. Er warnte davor, solche Fragen mit subjektiver Semantik zu erörtern. Auch dürfe das Verständnis vom Vorsorgeprinzip nicht bedeuten, etwas zu verbieten, weil man es nicht mag. Es bedeute, dass man sich der Gefahren und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeiten bewusst werde. Der Sachverständige bemängelte in diesem Zusammenhang, dass bei der Diskussion über neue Züchtungsmethoden permanent falsch betont werde, welche Gefahren von punktmutierten Pflanzen ausgehen sollen. Der Sachverständige und Landwirt Felix Prinz zu Löwenstein zeigte sich verwundert darüber, dass die neue Technologie des Genome-Editing mit denselben alten Versprechen verkauft würde, die aus der herkömmlichen Gentechnikdebatte bekannt und damit wohl nicht wirklich neu seien. Die Lösung der Hungerkrise, die Folgen der Klimaveränderung und die Probleme hinsichtlich der sinkenden Biodiversität würden nicht durch neue Züchtungen erreicht. Letzten Endes hänge die Hungerkrise nicht daran, dass zu wenig Nahrung produziert werde. Es werde mit der Mehrproduktion nicht richtig umgegangen. Neue Züchtungsmethoden würden die Verteilungs- und Verwendungsprobleme jedenfalls nicht lösen.
Der Sachverständige und Rechtswissenschaftler Tade Matthias Spranger ging der Frage zur Diskussion über die Nachweisbarkeit der neuen Verfahren nach. Dabei stellte er klar, dass das Rechtssystem nicht über die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit von Recht anhand der Existenz von Nachweisverfahren entscheide. Der Nachweis bleibe eine Frage des Rechtsvollzugs, aber nicht eine Frage der Anwendung. Darüber hinaus sprach der Sachverständige die Betrachtung eines durch Genome-Editing veränderten Produkts als naturidentisch an. Spranger führte dazu aus, dass der menschliche Einfluss auch in dieser Frage entscheidend sei, weil der Mensch seine Hände im Spiel habe. Deshalb brauche es einen regulatorischen Rahmen und das Gentechnikrecht so, wie es vorliege, um dem Vorsorgeprinzip gerecht zu werden. Der Sachverständige Christoph Then sprach sich für eine ausreichende Regulierung aus, weil entsprechende Eingriffe kleingeredet würden, aber zu erheblichen Nebenwirkungen führen können. Vergleichsweise kleine Eingriffe hätten große Auswirkungen. Then führte unter anderem an einem Beispiel von durch Punktmutationen veränderte Taufliegen an, dass diese resistent gegen ein Gift gemacht wurden. Mit der Resistenz seien die Larven der Fliege für ihre Fressfeinde ebenfalls giftig geworden. Für den Monarchfalter hätte diese Veränderung ernste Folgen und es würde ein gewaltiger biologischer Effekt eintreten. Es komme deshalb nicht darauf an, ob kleine oder große Veränderungen vorgenommen werden. Der Sachverständige sprach sich dafür aus, dass alle Risikoszenarien durchgeprüft werden müssen.
Auch Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BFN), argumentierte für eine angemessene, am Vorsorgeprinzip orientierte Risikoabschätzung. Es sei kein tragfähiges Argument, dass durch Genome-Editing nur punktuelle Änderungen vorgenommen werden würden, denn bereits kleine Änderungen könnten große Auswirkungen haben. In der Praxis hätte man es nicht mit Untersuchungen im Labor zu tun, sondern mit dem Einsatz in der freien Natur. Was einmal ausgebracht worden ist, könne nicht mehr rückgängig gemacht werden. Eine Risikobewertung sollte immer eine Einzelfallprüfung sein, die Wechselwirkungen mit der Umwelt berücksichtigt. Diese Einstellung müsse nicht eine Verhinderung von Entwicklung bedeuten. Auch die Medizin kenne eine starke Regulierung. Regulierung müsse als Chance verstanden werden und nicht als Hinderung, denn dadurch werde die Wahlfreiheit gewährleistet und damit Vertrauen in der Bevölkerung geschaffen. Detlef Bartsch vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) stellte fest, dass der technische Fortschritt der letzten Jahre hinsichtlich der Bewertung der neuen Züchtungsmethoden große Probleme mit sich bringe. Die Regulierungsabsicht in den 1990er Jahren hinsichtlich der Übertragung genomfremder Eigenschaften in Organismen sei heute in die Betrachtung einzelner Punktmutationen übertragen worden, was aber nicht die damalige Intention gewesen sei. Die derzeit restriktive Auslegung lasse damit das Vorsorge- mit dem Innovationsprinzip kaum noch miteinander verbinden.