NRW-Polizei an Festnahme unbeteiligt
Berlin: (hib/WID) Das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen hat nach Angaben eines seiner Beamten nicht darauf gedrängt, den Ausreiseversuch des späteren Attentäters Anis Amri im Sommer 2016 an der Grenze zu stoppen. Es wäre nach internationalem Recht allerdings gar nicht statthaft gewesen, einen erkannten islamistischen Gefährder außer Landes zu lassen, sagte Kriminalhauptkommissar K. dem 1. Untersuchungsausschuss am Donnerstag. Der heute 52-jährige Zeuge war zwischen 2011 und 2018 im Düsseldorfer LKA im Bereich Staatsschutz tätig, in den ersten fünf Jahren zuständig für Linksextremismus und politisch motivierte Ausländerkriminalität, später für rechtsradikale Bestrebungen. Mit dem „Phänomenbereich“ Islamismus habe er nie etwas zu tun gehabt, betonte der Zeuge.
So wäre er mit Anis Amri, dem späteren Attentäter von Berliner Breitscheidplatz, nie in Berührung gekommen, hätte er nicht am letzten Juliwochenende 2016 im Landeskriminalamt den Bereitschaftsdienst versehen. Am Freitag, dem 29. Juli, erreichte ihn um 16.40 Uhr eine Mitteilung aus dem LKA in Berlin, dass Amri in einem Bus in Richtung Süden sitze, vermutlich in der Absicht, Deutschland zu verlassen. Der Name Amri sei ihm völlig unbekannt gewesen, sagte der Zeuge. Durch einen glücklichen Zufall sei der Leiter des für Islamismus zuständigen Dezernats 21 mit ihm im Raum gewesen, der ihn aufgeklärt habe, dass Amri in Nordrhein-Westfalen als islamistischer Gefährder registriert sei, aber demnächst aus der entsprechenden Datei „ausgestuft“ werden solle, weil er seinen Wohnsitz nach Berlin verlegt habe. Dies sei mit dem Berliner LKA so vereinbart.
Der Zeuge berichtete weiter, er habe das Bundespolizeipräsidium in Potsdam, das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz von der Reise Amris informiert. Rückmeldungen habe er weder erbeten noch erhalten. Er habe noch mit dem Kollegen in Berlin telefoniert und ersucht, über Amris Reiseroute weiter auf dem Laufenden gehalten zu werden. Er habe, betonte der Zeuge, der Bundespolizei keinerlei Vorgaben gemacht, wie mit Amri zu verfahren sei, sollte er an der Grenze aufgegriffen werden. Auch der anwesende Dezernatsleiter habe nicht zu entscheiden gehabt, ob Amri die Ausreise zu gestatten oder zu verweigern war. Dies sei allein Sache der Bundespolizei gewesen. Es sei zwischen eigenständigen Polizeibehörden auch unüblich, „Handlungsempfehlungen“ zu erteilen.
Am 30. Juli kurz nach Mitternacht holten Bundespolizisten Amri in Friedrichshafen aus dem Bus und beendeten damit seine Reise. Er selber, sagte der Zeuge, sei darüber nicht „explizit“ in Kenntnis gesetzt worden. Dass Amri festgenommen worden war, habe er aus Schriftverkehr zwischen Bundespolizei und Bundeskriminalamt, der ihm im Laufe des 30. Juli zuging, erschlossen.
Am späteren Abend hörte der Ausschuss einen weiteren Kriminalhauptkommissar aus Nordrhein-Westfalen, der sich als „VPF-2“ vorstellte. Der heute 53-jährige Zeuge hatte einen Informanten des LKA in der Gruppe um den radikale Islam-Prediger Abu Walaa betreut, der dort auch Amri kennenlernte und im November 2015 berichtete, dass dieser sich mit Anschlagsplänen trage. Der V-Mann habe sich mit Amri allerdings nur schwer verständigen könne, da dieser Hocharabisch gesprochen habe, das der Informant kaum beherrschte. Amri sei in der Gruppe ein unsteter Gast gewesen, durch seine rigorosen religiösen Ansichten aufgefallen und habe engen Kontakt zum Führungszirkel gesucht.