Ex-Staatssekretärin verteidigt Abschiebung
Berlin: (hib/WID Vor dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) hat die ehemalige Innen-Staatssekretärin Emily Haber die Entscheidung verteidigt, knapp sechs Wochen nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche einen engen Vertrauten des Attentäters Anis Amri abzuschieben. „Für uns war der ausländerrechtliche Umgang mit dem Fall Amri eine dramatische Warnung, wie dringlich die Durchsetzung der Ausreisepflicht bei Gefährdern ist“, sagte sie in ihrer Vernehmung am Donnerstag. Die islamistische Gesinnung des Tunesiers Bilel Ben Ammar habe außer Frage gestanden.
Ben Ammar saß im Januar 2017 hinter Gittern, weil das Amtsgericht Tiergarten einen Haftbefehl wegen mittelbarer Falschbeurkundung und Leistungserschleichung ausgestellt hatte. Angesichts der Geringfügigkeit dieser Delikte sei aber absehbar gewesen, dass sich die Untersuchungshaft nicht werde aufrechterhalten lassen. Bei einem Haftprüfungstermin am 23. Januar 2017 habe sich das Gericht lediglich eine Verlängerung bis zum 3. Februar abringen lassen. „Wir wollten alles in unserer Macht Stehende tun, um zu verhindern, dass Ben Ammar in Deutschland wieder auf freien Fuß kommt“, betonte Haber, die seit dem Sommer 2018 als Botschafterin in Washington amtiert.
In Zusammenwirken mit dem ausländerrechtlich zuständigen Freistaat Sachsen habe das Innenministerium daher seit der ersten Januarhälfte die Abschiebung vorbereitet. Am 5. Januar sei Ben Ammars Asylantrag abgelehnt worden, seit dem 14. Januar sei er vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Die endgültige Entscheidung sei aber erst am 20. Januar gefallen, nachdem das Bundeskriminalamt auch in einer zweiten Vernehmung Ben Ammars keinen gerichtsfesten Beleg für eine Mithilfe am Anschlag habe ermitteln können.
Zuvor hatte sich ein Referatsleiter aus dem Bundesinnenministerium selbstkritisch zur Abschiebung Ben Ammars geäußert. „Wenn Sie mich fragen, ob wir ihn doch nicht noch hätten behalten können, würde ich Ihnen aus der heutigen Sicht recht geben“, sagte Ministerialrat Jens Koch. Der heute 47-jährige Zeuge führt das für internationalen Terrorismus zuständige Referat ÖS II/2 und hatte damals die Abschiebung Ben Ammars energisch befürwortet. Auch Koch betonte, dass sich der Verdacht, dieser sei am Attentat seines Freundes Amri beteiligt gewesen, trotz intensiver Ermittlungen nicht habe erhärten lassen: „Der lügt wie gedruckt, wir werden aus dem keine brauchbare Aussage herauskriegen“, habe er aus dem Bundeskriminalamt gehört.
Er habe daher keinen Grund gesehen, Ben Ammar im Land zu behalten: „Wenn die mir sagen, das wird nix - ich bin nicht der Oberermittler.“ Auf Ben Ammar sei damit erstmals eine Grundsatzentscheidung des Innen- und des Justizministeriums angewandt worden, in Fällen, in denen einem ausländischen islamistischen Gefährder mit Mitteln des Strafrechts nicht beizukommen war, vorrangig dessen Abschiebung zu betreiben: „Aus der damaligen Sicht war nicht meine Hauptsorge, einen wichtigen Zeugen abzuschieben“, sagte Koch.
Sein Albtraumszenario sei ein anderes gewesen: „Der geht beim Haftprüfungstermin zur Tür hinaus, und wenn der dann noch eine Tat begeht, weiß ich nicht, wie ich das erklären soll. Deshalb habe ich mich dafür eingesetzt, dass wir das machen und dass wir das mit Bravour machen. Das mag mein Fehler gewesen sein. Die Idee, dass es Sinn machen könnte, den Menschen noch länger im Land zu halten, die hatte ich einfach nicht.“