Experten: Bei SED-Opfern nachbessern
Berlin: (hib/mwo) Der Entwurf eines Gesetzes, mit dem rehabilitierungsrechtliche Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der DDR verbessert werden sollen (19/10817), war Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Mit dem Gesetz sollen die Rehabilitierungsgesetze entfristet werden. Außerdem sieht der Entwurf Änderungen im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) vor, mit denen den Schwierigkeiten begegnet werden soll, die sich bei der Aufklärung des Sachverhalts für Personen stellen, die in einem Heim für Kinder oder Jugendliche in der DDR untergebracht wurden. Neben dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz umfassen die Gesetze das Berufliche Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) und das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG).
Wie es in dem Entwurf heißt, führen auch beinahe drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung und dem Ende des SED-Unrechtsregimes Betroffene noch Rehabilitierungsverfahren. Die Rehabilitierungsgesetze sähen derzeit noch Fristen für Anträge auf Rehabilitierung und teilweise auch für die Geltendmachung von Leistungsansprüchen vor. Zwar ließe sich seit Jahren ein Rückgang von Anträgen auf Rehabilitierung feststellen, die Zahl der Antragseingänge weise jedoch darauf hin, dass die Rehabilitierung von SED-Unrecht auch heute noch nicht abgeschlossen ist. Zudem hätten sich zuletzt bei der Gruppe von Personen, die in einem Heim für Kinder oder Jugendliche untergebracht wurden und die eine Rehabilitierung wegen der Anordnung der Heimunterbringung begehren, spezifische Probleme im Hinblick auf die Sachverhaltsaufklärung gezeigt.
In der vom Ausschussvorsitzenden Stephan Brandner (AfD) geleiteten gut zweistündigen 58. Sitzung des Ausschusses begrüßten alle neun Sachverständige die im Regierungsentwurf vorgesehene Entfristung der Gesetze. Dies sei dringend geboten und zu empfehlen, erklärten die Experten übereinstimmend. Die weiteren Änderungen gehen ihnen aber nicht weit genug und führen ihrer Meinung nach nicht zu Verbesserungen. Mehrere Sachverständigen bedauerten, dass der Entwurf einen weitergehenden Vorschlag des Bundesrates für ein Gesetz zur Verbesserung der Lage von Heimkindern (19/261) sowie weitere Vorschläge der Länderkammer ignoriere.
Abgeordnete der Koalitionsfraktionen nahmen die kritischen Hinweise der Sachverständigen zum Regierungsentwurf dankend auf und attestierten der Vorlage noch „Luft nach oben“. Bereits in der Plenardebatte zu dem Entwurf Ende Juni war deutlich geworden, dass der Entwurf im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens über die vorgesehenen Änderungen wie eine Entfristung hinaus auf weitere Opfergruppen und Betroffenen ausgedehnt werden könnte. Bei den Fragen der Abgeordneten ging es unter anderem um den Anwendungsbereich der Rehabilitierungsgesetze und mögliche Regelungslücken, Formen und Höhe der Entschädigungen und Möglichkeiten der Beweiserleichterung. Friedrich Straetmanns (Die Linke) schlug vor, das Thema wegen seiner Dringlichkeit auf die nächste Sitzung des Rechtsausschusses zur setzen.
Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, verwies in seiner Stellungnahme darauf, dass der Vorschlag zu Beweiserleichterungen für ehemalige Heimkinder die Situation von Betroffenen, die im Zusammenhang mit der politisch motivierten Inhaftierung ihrer Eltern in ein Heim eingewiesen wurden und die nach der jetzigen Rechtsprechung des BGH nicht rehabilitiert werden, nicht verbessere. Dieser Gruppe von Betroffenen könne nur wirksam geholfen werden, indem ihr Verfolgungsschicksal im Gesetz ausdrücklich als Rehabilitierungsgrund anerkannt wird, so wie es im Bundesratsentwurf geschehen sei. Auch der Vorschlag zu Unterstützungsleistungen führe zu keinen wirklichen Verbesserungen für die meisten Betroffenen und bleibe auch weit hinter dem Vorschlag des Bundesrates zurück.
Die Würzburger Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Ruth Ebbinghaus regte an, die Unterbringung in den Spezialkinderheimen und Durchgangsheimen in jedem Fall zu rehabilitieren, unabhängig vom Einweisungsgrund, analog zur Unterbringung in Haftanstalten, und eine Rente wie die Opferrente für Haftopfer zu gewähren. Weiter empfahl sie eine völlige Streichung einer Mindestzeit der politischen Haftzeit für den Erhalt der Opferrente. Die Betroffenen von politischer Verfolgung mit Zersetzungsmaßnahmen ohne Haft sollten analog der Haftopfer eine Opferrente erhalten.
Oberstaatsanwalt Guntram Hahne von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin beschäftigte sich eingehend mit dem Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG). Er verglich den Entwurf mit der Vorlage des Bundesrates, dessen vorrangiges Ziel die Korrektur der als unbillig empfundenen, aber gleichwohl nach derzeit geltender Gesetzeslage konsequenten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gewesen sei. Dem Gesetzgeber stehe es zwar vollkommen frei, ob er „mittelbar verfolgte“ Heimkinder selbständig rehabilitieren und welche Leistungen er ihnen zukommen lassen will. Entgegen anderslautenden wiederholten Behauptungen gehe der Regierungsentwurf inhaltlich aber nicht über denjenigen des Bundesrates hinaus, sondern bleibe aus Sicht der Betroffenen ganz erheblich hinter diesem zurück.
Die Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Anna Kaminsky, betonte, dass staatliches Unrecht und dessen Wiedergutmachung kein „Verfallsdatum“ haben dürfe. Gerade im 30. Jahr der friedlichen Revolution könne mit umfassenden Regelungen ein Zeichen gesetzt werden, um die Situation der Opfer zu verbessern, aber auch um Mut und Zivilcourage gegen die Diktatur anzuerkennen. Die Bundesratsinitiative vom 19. Oktober 2018 habe hierzu weitreichende Vorschläge gemacht, die sich leider im Entwurf der Bundesregierung nicht wiederfänden. Kaminsky sprach sich unter anderem für Beweiserleichterungen für die Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden aus.
Auch der Münchener Jurist Philipp Mützel sieht in der vorgesehenen Beweiserleichterung für ehemalige Heimkinder keine Verbesserung gegenüber der jetzigen Rechtslage und verwies wie seine Vorredner auf den Gesetzentwurf des Bundesrates. Er plädierte für ein Zweitantragsrecht für Betroffene, die in den Genuss der für sie günstigeren Rechtslage kommen, sowie ein regelmäßiges Recht der Betroffenen auf Durchführung einer mündlichen Anhörung im Rehabilitierungsverfahren. Zur Problematik sogenannter Zwangsadoptionen und zu den Möglichkeiten einer rechtlichen und sozialen Wiedergutmachung empfahl Mützel weitere wissenschaftliche Untersuchungen sowie die Einrichtung einer dauerhaft gesicherten festen Anlaufstelle für Betroffene.
Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Maria Nooke, sagte, ein Großteil der ehemals politisch Verfolgten erhalte nur unzureichende Unterstützung. Ziel der Novellierung der rehabilitierungsrechtlichen Vorschriften sollte sein, erlittenes Systemunrecht in Heimen der DDR-Jugendhilfe anzuerkennen und diejenigen zu rehabilitieren, die Opfer rechtsstaatswidriger Entscheidungen und menschenrechtswidriger Unterbringung und Behandlung wurden. Die Vorschläge des Entwurfs zur Verbesserung der Möglichkeiten zur Rehabilitierung ehemaliger Heimkinder sowie der darin neu eingeführte Leistungszugang für eine kleine Gruppe der Betroffenen seien aus ihrer Sicht nicht geeignet, die fortdauernde Wirksamkeit von rechtsstaatswidrigen Entscheidungen der DDR-Jugendhilfe zu durchbrechen, sagte Nooke.
Tom Sello, Beauftragter des Landes Berlin zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, erklärte in seiner Stellungnahme, zwar würden einige Änderungen aktuellen Regelungsbedarf aufnehmen und würden deshalb unterstützt, der Vorschlag zu Beweiserleichterungen für ehemalige Heimkinder verfehle jedoch sein Ziel. Sello plädierte für eine umfassende Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze unter Beachtung der Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgter (Bundesratsdrucksache 316/18).
Die Präsidentin des Bundes der in der DDR Zwangsausgesiedelten, Marie-Luise Tröbs, sagte, sie spreche stellvertretend für 12.000 Menschen, die man auf unwürdige Weise ihrer Heimat beraubte, damit die DDR an der innerdeutschen Grenze ein mörderisches Grenzregime aufbauen konnte. Der Bundesrat habe deutlich gemacht, dass die legislativen Verpflichtungen den Zwangsausgesiedelten gegenüber noch nicht erledigt seien. Die notwendige Behebung der bei der SED-Unrechtsbereinigung bestehenden Gesetzeslücken und Gerechtigkeitsdefizite könne mit dem vorliegenden Gesetzentwurf jedoch nicht erreicht werden.
Der Münchener Rechtsanwalt Johannes Wasmuth fasste seine Stellungnahme mit den Worten zusammen, dass der Regierungsentwurf mit Ausnahme der zu begrüßenden Aufhebung der rehabilitierungsrechtlichen Ausschlußfristen erkennbar noch nicht entscheidungsreif sei und grundsätzlich überdacht werden sollte. Da wegen der Ende dieses Jahres auslaufenden Fristen Eile geboten sei, empfehle er, das Sechste Rehabilitierungsänderungsgesetz grundsätzlich auf deren Aufhebung zu beschränken und umgehend ein weiteres Gesetz in Angriff zu nehmen, in dem die weiterhin erforderlichen Regelungen zur effektiven und rechtlich weiterhin möglichen und notwendigen Aufarbeitung des SED-Unrechts gebündelt werden.
Zu Beginn der Sitzung begrüßte Brandner die SPD-Abgeordnete Katrin Budde als neues Mitglied des Rechtsausschusses. Sie rückt für Sarah Ryglewski (SPD) nach, die seit September Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium ist.