BKA-Zeugin:„Richtig gute Arbeit geleistet“
Berlin: (hib/wid) Der Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 ist nach Ansicht einer leitenden Beamtin des Bundeskriminalamts (BKA) „relativ gut aufgeklärt“. Nach wie vor im Dunkeln liege lediglich der Fluchtweg des Attentäters Anis Amri bis zur niederländischen Grenze und die Herkunft der Waffe, die er bei der Tat bei sich hatte, sagte Kriminaldirektorin Julia Pohlmeier am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“). Die heute 49-jährige Zeugin war nach eigenen Worten als Leiterin des Ermittlungsreferats seit 2012 an mehreren Einsätzen gegen terrorverdächtige Islamisten führend beteiligt. Nach dem Berliner Anschlag war sie stellvertretende Polizeiführerin in der Besonderen Aufbau-Organisation (BAO) „City“, die die Vorgeschichte der Tat untersuchte.
Wie andere BKA-Zeugen vor ihr betonte auch Pohlmeier, dass Amri ihrer Überzeugung nach den Anschlag allein verübt habe. Er habe zwar in Verbindung mit Kontaktpersonen außerhalb Deutschlands gestanden, doch seien keine Hinweise gefunden worden, dass er in Berlin Hilfe und Unterstützung in Anspruch habe nehmen müssen. Seit dem 28. November, als er begonnen habe, unter den am Berliner Friedrich-Krause-Ufer abgestellten Schwerlastern nach einem geeigneten Tatfahrzeug zu suchen, sei er allein unterwegs gewesen.
Amris Problem sei gewesen, dass man einen modernen Lastwagen nicht mehr einfach kurzschließen kann, um ihn zu starten. Er habe also ein Fahrzeug finden müssen, wo der Schlüssel im Zündschloss steckte. Immer wieder sei er am Friedrich-Krause-Ufer entlanggelaufen und habe die geparkten Fernlaster „abgeklinkt“, also ausprobiert, ob das Fahrerhaus offen stand. Damit sei das Gelingen des Anschlages von einem Zufallstreffer abhängig gewesen. Als Amri am Abend des 18. Dezember in einem Imbiss mit seinem Freund Bilel ben Ammar zusammensaß, habe er daher noch nicht wissen können, dass er am nächsten Tag erfolgreich sein würde.
Die Zeugin verteidigte die später vielfach als voreilig kritisierte Abschiebung des mittlerweile in tunesischer Haft sitzenden Ben Ammar am 1. Februar 2017. Ben Ammar sei ein nicht weniger gefährlicher und genauso „unberechenbarer“ Islamist gewesen wie sein Freund Amri. Zu befürchten sei gewesen, dass er sich, wäre er in Deutschland auf freiem Fuß geblieben, nach dessen Vorbild ebenfalls einen Anschlag verübt hätte.
Nach dem Attentat war Ben Ammar zehn Tage lang verschollen. Als er am 29. Dezember wieder auftauchte, sei es also darum gegangen, ihn auf jeden Fall hinter Schloss und Riegel zu bringen. Als Vorwand habe ein Ermittlungsverfahren wegen Sozialhilfebetrugs in zwei Fällen herhalten müssen, das der Generalstaatsanwalt in Berlin gegen Ben Ammar geführt habe. Ein solcher Vorwurf sei als Haftgrund allerdings kaum belastbar gewesen. Eine Mittäterschaft am Anschlag sei Ben Ammar nicht nachzuweisen gewesen.
Die Behörden hätten also vor der Wahl gestanden: Ben Ammar abzuschieben auf die Gefahr hin, dass sie später als „Deppen“ dastünden, wenn sich doch noch Hinweise auf eine Mittäterschaft gefunden hätten. Oder ihn auf freien Fuß zu setzen mit dem Risiko eines weiteren Attentats. Diese Gefahr sei ihr weitaus größer erschienen, sagte die Zeugin: „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich mich zwei Jahre später wegen zu schneller Abschiebung eines islamistischen Gefährders würde rechtfertigen müssen. Aus damaliger Perspektive haben wir gute Arbeit geleistet, richtig gute Arbeit.“