Nachhaltigkeit durch Digitalisierung
Berlin: (hib/SUK) Digitalisierung kann zu mehr Nachhaltigkeit führen, birgt aber auch Risiken: Zu diesem Schluss kamen zwei Sachverständige in einem öffentlichen Fachgespräch des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung am Mittwoch, 15. Mai 2019. Unter Vorsitz von Andreas Lenz (CSU) diskutieren die Abgeordneten mit Carsten Polenz, Vice President für das Sherpa Office Executive Board SAP, und Tilman Santarius von der Technischen Universität Berlin.
Carsten Polenz betonte, die Digitalisierung habe von der Öffentlichkeit unbemerkt in den Unternehmen bereits Ende der 1950er-Jahre begonnen, als etwa Bankbewegungen, die zuvor händisch eingegeben wurden, digitalisiert wurden. Momentan sei es die große Herausforderung, in einer neuen Welle der Digitalisierung „physische Artefakte“ in die digitale Welt zu übertragen - und dies mit EDV-Systemen, die in den Unternehmen zum Teil seit den 70er-Jahren genutzt würden. Die „letzte Meile“ zwischen der Unternehmenssteuerung und den bisher abgekoppelten Dingen wie Maschinen oder Endkonsumenten werde nun geschlossen. Bisher lineare Systeme müssten zu Kreisläufen werden. Dies sei eine große Herausforderung, aber auch „eine riesige Chance“, so Polenz: Deutschland könne dabei eine extrem positive und mächtige Rolle spielen und massiv dabei helfen, Nachhaltigkeit zu erreichen. Nötig sei eine Kreislaufwirtschaft, die Nachhaltigkeitsziele wie eine Verringerung des CO2-Ausstoßes integriere. Polenz betonte, in 69 Prozent der Weltproduktion von Schokolade würden Informationen über SAP-Systeme gesteuert - allein daran könne man erkennen, dass Deutschland die Transformation sowohl der nationalen wie globalen Wirtschaft mitbestimmen könne; dies sei „wahrscheinlich singulär“ in der globalen Weltwirtschaft. Damit dies gelinge, brauche es geeignete politische Rahmenbedingungen.
Tilman Santorius legte in insgesamt acht Thesen dar, warum er in der Digitalisierung Chancen und Risiken für die Nachhaltigkeit gleichermaßen sieht. Die Debatte sei eine „recht junge“, die nicht zuletzt gerade durch ein eben veröffentlichtes Eckpunktepapier des Bundesumweltministeriums Nahrung erhalten habe. So sei die Digitalisierung wesentlich abhängig von bestimmten Schlüsseltechnologien, die die Art und Weise, wie Menschen mit der Natur interagieren, bestimmten. Die Digitalisierung könne entweder dazu beitragen, den Energieverbrauch zurückzufahren - ihm aber auch einen neuen Schub geben. Die Produktion der digitalen Hardware sei derzeit „höchstens ansatzweise“ eine Kreislaufwirtschaft, bis jetzt gebe es etwa keine Geschäftsmodelle, um hochwertige Materialien, die zum Bau von Smartphones verwendet werden, zu recyceln. Aktuell würden zehn Prozent der weltweiten Stromnachfrage auf das Internet und vernetzte Geräte entfallen; Schätzungen zufolge könne dies auf 30 oder gar 50 Prozent ansteigen. Gleichzeitig laufe aktuell die Substitution analoger Geräte und Anwendungen auf „ein Nullsummenspiel“ hinaus. Santorius führte aus, in Deutschland gebe es ein großes Potential für eine Wende in Sachen Energie, Mobilität und Konsum; hier müsse man von einem nachfragegesteuerten System zu einem angebotgesteuerten kommen. Unklar seien aktuell noch die sozialen Auswirkungen der Digitalisierung - weil damit Arbeitsplätze verloren gingen und es eine Polarisierung von Einkommen gebe und neue Jobs vor allem im Niedriglohnsektor entstünden, könne es geschehen, dass sich die soziale Polarisierung weiter vergrößere. Deshalb müsse die Digitalisierung politisch gestaltet werden, dafür müsse der „volle Policy-Mix“ aus Regulierung, Incentivierung und ökonomischen Instrumenten zum Einsatz kommen.