Berufsorientung muss praxisnaher werden
Berlin: (hib/FLA) Bei 17.000 Betrieben ging keinerlei Bewerbung für einen Ausbildungsplatz ein. Unklare Vorstellungen vieler Schulabgänger über Berufsbilder bleiben das größte Ausbildungshindernis. Dies sind Ergebnisse der letzten der Ausbildungsumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), die bei einer Sitzung der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ zu dem Erörterungsgrundlagen gehörten. Die Sachverständigen-Anhörung unter Leitung von Stefan Kaufmann (CDU) beschäftigte sich mit den „Motivationsfaktoren für eine erfolgreiche berufliche Aus- und Weiterbildung“.
Der erste Teil der Sitzung befasste sich mit der Sicht der Arbeitgeber auf diese Thematik. Dabei erläuterte das sachverständige Kommissionsmitglied Achim Dercks die DIHK-Umfrage. Ein Viertel der teilnehmenden Unternehmen hätten die unklaren Berufsvorstellungen beklagt. Die Berufsorientierung müsse mithin ausgebaut und praxisnäher werden, meinte er. Insbesondere an den Gymnasien sollten Beschäftigungsperspektiven, Verdienstmöglichkeiten und Karrierechancen der akademischen sowie der beruflichen Bildung aufgezeigt werden.
Zudem wies Dercks darauf hin, dass für 72 Prozent der Betriebe IT-Kenntnisse der Jugendlichen in Zukunft ein wichtiges Einstellungskriterium seien. Die erweiterten ihren Suchradius beispielsweise auf Studienabbrecher. 16 Prozent der Betrieb böten Anreize für Bewerber - etwa zusätzliche Urlaubstage oder höhere Ausbildungsvergütung.
Barbara Dorn von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hob hervor, dass 80 Prozent der ausbildungsberechtigten Betriebe auch tatsächlich ausbildeten. Drei von vier Auszubildenden würden von den Unternehmen übernommen - der höchste Wert seit 20 Jahren. Sie stufte die duale Ausbildung als zentrales Element für die Fachkräftesicherung und Grundpfeiler für die Stärke des deutschen Wirtschaftssystems ein.
Für leistungsstarke Jugendliche biete das duale System attraktive Entwicklungsmöglichkeiten - etwa über Abiturientenprogramme mit der Kombination von Ausbildung und Fortbildung in drei Jahren oder mit einem dualen Studium. Allerdings müssten leistungsschwächere Jugendliche noch besser in die duale Ausbildung integriert werden.
Volker Born vom Zentralverband des Deutschen Handwerks - auch er ist sachverständiges Kommission-Mitglied - machte sich für ergebnisoffene Studien- und Berufsorientierung flächendeckend an allen Schulformen stark. Jugendliche müssten über die Entwicklungsmöglichkeiten in der beruflichen Aus- und Weiterbildung informiert und bei der Auswahl eines ihren Eignungen und Neigungen entsprechenden Ausbildungswegs unterstützt werden. Das Thema müsse in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften an den allgemeinbildenden Schulen verankert werden.
Born unterstrich, gerade wegen der vielen Kleinbetriebe im Handwerk die besondere Bedeutung überbetrieblicher Unterstützungsangebote auch bei der Gewinnung von Nachwuchs. Dazu zählten Kooperationsvereinbarungen mit allgemeinbildenden Schulen oder Messeauftritte.
Die externe Expertin Katharina Weinert vom Handelsverband Deutschland betonte: „Die Eltern sind das A und O bei der Berufsorientierung.“ Damit seien sie eine wichtige Zielgruppe für die Aufklärung über Karrieremöglichkeiten. Zudem müsse die Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen vertieft werden. Sie machte klar, dass junge Leute ihren Ausbildungsbildungsbetrieb vor allem über ihre Interessenlage aussuchten - beispielsweise Mode oder Technik, Kundenkontakt oder Büro. Es müsse ein breites Ausbildungsspektrum für unterschiedliche Talente geboten werden. Sie hob die Bedeutung einer großen Durchlässigkeit bei der Ausbildung mit möglichem Wechsel von einer zweijährigen in eine dreijährige Ausbildungszeit hervor. 80 Prozent der Führungskräfte im Handel hätten ihre Karriere mit einer Lehre begonnen. Berufsschulen müssten nicht zuletzt mit Blick auf die Digitalisierung gut ausgestattet sein.
Die Rahmenbedingungen der Aus- und Weiterbildung bestimmten den zweiten Teil der Anhörung. Das sachverständige Kommissionsmitglied Francesco Grioli von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie machte klar, dass die berufliche Bildung einem ständigen Veränderungsprozess unterliege - und damit auch die motivierenden Faktoren. Er lenkte zum einem den Blick auf die Digitalisierung. Vor allen das Prozess-Know-How der Beschäftigten werde verstärkt gefordert sein. In allen Betrieben sollte eine Qualifikationsanalyse vorgenommen werden, regte er an. In ihrem Rahmen sollten Qualifikationen ermittelt werden, über die Beschäftigte verfügten, die aber von den Betrieben nicht genutzt oder nicht bewusst genutzt werden.
Grioli verwies überdies darauf, dass in den letzten Jahren Angebot und Nachfrage nach akademischer Bildung stark zugenommen habe. Für die Attraktivität der beruflichen Bildung werde es entscheidend sein, stärker anschlussfähig an akademische Bildungswege zu sein. So müssten Betriebe auch duale Studiengänge anbieten.
Die ebenfalls zur Enquete-Kommission gehörige Expertin Angela Kennecke von der Airbus Operations GmbH - sie rede nicht für das Unternehmen, sondern aus ihrer Erfahrung etwa als Betriebsrätin - befand, Sozialkompetenzen gewönnen durch die voranschreitende Digitalisierung immer mehr an Bedeutung. Sie verwies dabei unter anderem auf die vermehrte Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams und die Globalisierung der Märkte. Sozialkompetenzen seien im Schulsystem aktiv auszubilden und in die betriebliche Weiterbildung zu integrieren.
Kennecke plädierte dafür, den Stellenwert von Ausbildung für alle Berufe zu steigern. Sie forderte für das duale Studium klare Rahmenbedingungen durch Regelungen im Bundesbildungsgesetz. Es gelte, die kaum noch überschaubare Anzahl an Studienangeboten einzudämmen. Der Begriff „dual“ müsse durch die Definition qualitativer Mindeststandards geschützt werden.