Zeugen berichten über Aufnahme von Asylbewerbern
Berlin: (hib/wid) Zwei Beamte des Landes Baden-Württemberg haben am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss über das Verfahren der Aufnahme von Asylbewerbern zum Zeitpunkt der Einreise des späteren Attentäters Anis Amri nach Deutschland berichtet. Die beiden Zeugen Andrea Hilpert-Voigt und Harald Bohn waren damals in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Ellwangen beschäftigt, wo der Tunesier am 17. Juli 2015 aus Karlsruhe kommend auftauchte. Beide betonten allerdings, sie hätten an Amri keinerlei persönliche Erinnerungen mehr.
Die Zeugin Hilpert-Voigt war seit der Gründung der LEA in Ellwangen am 1. April 2015 ein Jahr lang im Bereich „Registrierung und Optionierung“ tätig, wo es darum ging, Neuankömmlinge entweder in die Unterkunft einzuweisen oder nach einem automatisierten Verfahren auf die für sie zuständigen Bundesländer zu verteilen. Sie habe sich nicht einmal nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 erinnern können, dem Attentäter in ihrer beruflichen Funktion schon einmal begegnet zu sein. Erst als sie eine Zeugenladung für den Untersuchungsausschuss erhalten habe, der sich im Düsseldorfer Landtag mit dem Fall beschäftigt, sei ihr klar geworden, „dass ich da involviert war - ich selber wusste das nicht“, sagte die heute 56-Jährige.
Der Zeuge Bohn leitet seit dem 1. Juni 2015 bis heute die Registrierungsstelle in Ellwangen. Als Amri dort eintraf, habe er mit einer Handvoll Mitarbeitern täglich bis zu 80 Neuzugänge zu bewältigen gehabt. Die Unterkunft sei damals mit zwischen 2000 und 2500 Asylbewerbern belegt gewesen. Bohn ist Amri nach eigenen Worten persönlich sicher nicht begegnet. Er habe mit den Flüchtlingen direkt überhaupt nichts zu tun gehabt. Er sei vielmehr organisierend und koordinierend tätig gewesen. Erst nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz sei ihm bewusst geworden, dass der Attentäter auch einmal mit seiner LEA in Berührung gekommen war.
Fünf Tage nach seiner Ankunft in Ellwangen erhielt Amri am 22. Juli einen Termin bei der Zeugin Hilpert-Voigt, um über seinen weiteren Verbleib zu entscheiden. Da die LEA in Ellwangen nach den Vorgaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) generell nicht zur Aufnahme von Tunesiern vorgesehen war, kam für ihn keine „Registrierung“, also Unterbringung am Ort, sonder die „Optionierung“ in Frage, also die computergesteuerte Weiterverweisung an eine andere Einrichtung. Zufällig spuckte das System Karlsruhe als Reiseziel aus, wo Amri schon hergekommen war. Er kehrte dorthin allerdings nicht mehr zurück.
Routinemäßig gab Hilpert-Voigt den Namen des Neuankömmlings, der sich ihr als „Anis Amir“ vorstellte, ins Ausländerzentralregister ein. Dort taucht eine Person allerdings erst frühestens nach Eingang eines Asylantrags auf. Entsprechend ergab die Suche keinen Treffer. Viele weitere Möglichkeiten, die Identität eines Antragstellers zweifelsfrei festzustellen, habe es damals nicht gegeben, sagten beide Zeugen aus. Nach den Worten Hilpert-Voigts sei es in höchstens einem von hundert Fällen gelungen, einen Asylbewerber einer falschen Namensangabe zu überführen.
Die Beamten hätten glauben müssen, was ihnen die Antragsteller erzählten, sagte auch Bohn: „Das war ein Massengeschäft, das schnell abgewickelt werden musste.“ Einen Ausweis legte Amri bei seiner Einreise nicht vor. Nach der Erinnerung der Zeugin Hilpert-Voigt traf dies damals auf 80 Prozent aller Neuankömmlinge zu. Bohn sprach von 40 bis 50 Prozent ohne gültige Dokumente.