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26.04.2018 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 275/2018

„Terrorismus und Kriminalität Hand in Hand“

Berlin: (hib/wid) Vor dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) hat ein Sachverständiger auf die Nähe zwischen bestimmten Milieus gewöhnlicher Kriminalität und dem politisch motivierten radikalislamischen Terrorismus hingewiesen. „Terrorismus und Kriminalität gehen Hand in Hand“, sagte Marwan Abou-Taam, wissenschaftlicher Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamtes, in einer Anhörung am Donnerstag. Er warnte vor „idealtypischem Denken“ von Sicherheitsbehörden, die gegebenenfalls davon ausgingen, ein Terrorist könne nicht zugleich Drogenhändler sein. Der Urheber des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, war den Behörden als Kleinkrimineller und Rauschgiftkonsument bekannt gewesen. Das war einer der Gründe, warum er als minder gefährlich eingeschätzt wurde.

Salafistische Organisationen machten Kriminellen das Angebot, ihr Handeln als Erfüllung eines göttlichen Auftrages zu „sakralisieren“, sagte Abou-Taam: „Das heißt nicht, dass der Kriminelle sich geändert hat, aber er kriegt jetzt eine Narration, warum es okay ist, kriminell zu sein.“ Zudem seien radikale Islamisten auf Personal angewiesen, das sich durch Beschaffungsstraftaten „selbst finanziert“. Schließlich bestünden in vielen Fällen personelle Verflechtungen zwischen beiden Milieus, etwa wenn es in ein und demselben Familienclan Islamisten gebe und zugleich andere Mitglieder, die in Aktivitäten gewöhnlicher Kriminalität verwickelt seien.

Einig waren sich die zum Thema „Gewaltbereiter Islamismus und Radikalisierungsprozesse“ geladenen Experten darüber, dass die Hinwendung zu dschihadistischer Ideologie und Praxis ein individueller und in jedem Einzelfall unterschiedlich verlaufender Vorgang sei. Das mache es den Behörden schwer, Menschen mit einschlägigen Neigungen frühzeitig zu identifizieren oder gar einen Algorithmus zu programmieren, der aus Äußerungen und Verhaltensweisen eine Terrorprognose zuverlässig ableiten könne.

Die Publizistin Claudia Dantschke wies darauf hin, dass immer jüngere Menschen durch Radikalisierung gefährdet seien. Sei man früher davon ausgegangen, dass die Betroffenen in der Regel zwischen 17 und 27 Jahre als waren, so sei neuerdings zu beobachten, dass bereits 15- bis 16-Jährige in den Sog der Beeinflussung gerieten. Seit 2011 habe sich ein „Pop-Dschihadimus als Teil der westlichen Jugendkultur“ herausgebildet. Der Zielgruppe würden keine mehrtägigen Islam-Seminare oder langatmigen Prediger-Vorträge mehr zugemutet, sondern „kurze hippe Videos“, während die tatsächliche Glaubenspraxis eher abnehme. Die Betroffenen seien in der Regel „religiös-theologische Analphabeten“. Ihnen gehe es nicht um spirituelle Erfahrungen, sondern um eine „maximale Protestform gegen die Werteorientierung ihrer Elternhäuser“.

Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer aus Osnabrück widersprach der Vermutung, dass eine Radikalisierung „blitzartig“ verlaufen könne. Diese These stehe im Raum, sei aber nicht haltbar. Es gehe um Prozesse, die sich in Zeiträumen von einem bis zu drei Jahren abspielten. Radikalisierung geschehe auch nicht im stillen Kämmerlein, sondern immer in Gruppen: „Der einsame Wolf ist eine Ausnahme.“

Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Zentrum für islamische Theologie in Münster, Sindyan Qasem, plädierte dafür, die Gefahrenabwehr auf terroristische Handlungen und nicht auf salafistisch-islamistische Einstellungen zu konzentrieren. Es sei empirisch nicht zu belegen, dass jeder Salafist in Gefahr sei, Terrorist zu werden. Die Meinungs- und Glaubensfreiheit gelte auch für Radikale. Schon die Unterscheidung zwischen „moderaten“ und „extremen“ Muslimen berge daher den Keim der Stigmatisierung.

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