NSU-Abschlussbericht vorgestellt
Berlin: (hib/FZA) Der 3. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode (Terrorgruppe NSU II) unter Vorsitz von Clemens Binninger (CDU) hat seinen Abschlussbericht an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) übergeben. Auf insgesamt 1.798 Seiten stellt der Ausschuss darin weitreichende Mängel bei der strafrechtlichen Aufklärung der Verbrechensserie der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) fest und gibt Empfehlungen unter anderem für die künftige Zusammenarbeit und Koordination zwischen Kriminal- und Justizbehörden sowie den Verfassungsschutzämtern. Am Donnerstag, 29.06.2017, um 14 Uhr wird der Bericht auch im Bundestag im Rahmen einer öffentlichen Plenardebatte vorgestellt und diskutiert werden.
Auftrag des Ausschusses war es, die Aufklärungsarbeit des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags aus der 17. Wahlperiode im Sinne einer - wie es im Bericht heißt - „lückenlosen, gründlichen, und vollständigen Aufklärung staatlichen Versagens bei einer der schwersten Verbrechensserien in der Geschichte der Bundesrepublik“ fortzuführen. Am 25. November 2015 nahm der Ausschuss auf einen gemeinsamen Antrag aller Fraktion hin seine Arbeit auf, nach rund 19 Monaten liegt mit dem Abschlussbericht nun das Ergebnis seiner umfangreichen Untersuchungen vor.
Neben 22 Zeugenvernehmungen mit insgesamt 84 Zeuginnen und Zeugen habe der Ausschuss eine Datenmenge von 721 Gigabyte an Akten und Daten ausgewertet. Das sei viermal mehr gewesen, als sämtliche andere Untersuchungsausschüsse der laufenden Legislaturperiode zusammen bearbeitet hätten. Eine so umfassende parlamentarische Aufklärung sei - auch in Hinblick auf die sieben noch laufenden NSU-Ausschüsse in den Bundesländern - beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik, wird im Bericht betont.
Zentrale Kritikpunkte des Berichts richten sich unter anderem gegen die Ermittlungsthesen des Generalbundesanwalts (GBA), der die Anklage im NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Mitangeklagte vor dem Oberlandesgericht München führt, sowie des Bundeskriminalamts (BKA) als leitende Ermittlungsbehörde in dem Fall. Die Ermittlungen seien nach dem Auffliegen des NSU am 04. November 2011 - auch aufgrund eines vom Bundesgerichtshof ausgegebenen Beschleunigungsgebots - zu sehr auf das NSU-Kerntrio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe und eine zügige Anklage von Beate Zschäpe sowie dem engsten Unterstützerkreis fokussiert gewesen.
Das habe zur Folge gehabt, „dass die polizeiliche Ermittlungsarbeit [...] nicht in ausreichendem Maß offen war für unterschiedliche Ermittlungsansätze und -hypothesen“. Sowohl gelte das für die Frage nach möglichen weiteren Tatbeteiligten und Unterstützern des NSU als auch für womöglich weiter reichende rechtsterroristische Netzwerke oder Bezüge der Terrorgruppe in den Bereich Organisierter Kriminalität. Der Ausschuss sehe sich durch Gutachten in seiner Überzeugung bestätigt, „dass sich zahlreiche unmittelbare und mittelbare Kennbeziehungen der Terrorgruppe NSU in die lokalen, regionalen und überregionalen Neonaziszenen nachweisen lassen. “Eine „strukturelle Aufhellung“ dieses erweiterten Personenumfeldes sei aber bis heute nicht erfolgt.
Darüber hinaus seien unter anderem die kriminaltechnischen Möglichkeiten der DNA-Analyse nicht ausreichend genutzt worden. Dass auf eine umfassende Sicherung und Erhebung von DNA-Spuren nicht Wert gelegt worden sei, „ist zu bedauern“, lautet das Urteil der Abgeordneten. Zudem sei es dem BKA aufgrund unterschiedlicher technischer und rechtlicher Umstände nur schwer möglich gewesen, einen Gesamtüberblick über den DNA-Spurenkomplex zu erhalten. Bis heute gibt es mehrere offene DNA-Spuren, die an NSU-Tatorten sichergestellt wurden, bisher aber keiner Person zugeordnet werden konnten.
Auch deshalb hegt der Ausschuss starke Zweifel daran, dass der NSU, wie in der Anklageschrift des GBA behauptet wird, lediglich aus einem Trio bestand und das Böhnhardt und Mundlos alle zehn Morde, 15 Raubüberfälle und drei Sprengstoffanschläge, die dem NSU zugerechnet werden, allein begangen haben sollen. Zudem hätten die Ermittlungen des BKA unter häufigen Personalwechseln und einer mitunter zu kleinteiligen Spurenauswertung gelitten. Der Ausschuss empfiehlt, dass künftig bei der Einrichtung sogenannter Besonderen Aufbauorganisationen, die im Rahmen komplexer BKA-Ermittlungen eingesetzt werden, „auf mehr Kontinuität, Effizienz und eine Minimierung von Wissensverlust hingewirkt“ werde.
Weiteren Verbesserungsbedarf sehen die Abgeordneten auch bei der Kommunikation und dem Datenaustausch zwischen den einzelnen Polizeibehörden. Es sei sicherzustellen, dass „bei Polizeibehörden in Bund und Ländern die notwendigen informationstechnischen Grundlagen geschaffen werden, damit diese über Datensysteme verfügen, die einen gesetzlich vorgesehenen Informationsaustausch ohne Brüche zulassen.“ Das gelte im Übrigen auch für den Informationsaustausch zwischen Polizei und Justizbehörden, bei dem für „eine weitgehende Interoperabilität bislang inkompatibler Systeme zu sorgen“ sei.
In Bezug auf die nach wie vor vielfach ungeklärte Rolle von V-Personen des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex stellt der Abschlussbericht fest, dass die durch den Ausschuss festgestellten Defizite in der Anwerbung, Führung und Nachbetreuung von V-Personen „sich nicht wiederholen dürfen.“ Hierzu mahnt der Ausschuss eine Reihe von Sofortmaßnahmen an, unter anderem eine stärkere Rotation bei der Quellenführung und die engere Einbindung stellvertretender V-Mann-Führer, um einer zu engen persönlichen Bindung zwischen V-Personen und deren Führern - wie sie der Ausschuss etwa im Falle des V-Mannes „Corelli“ festgestellt hat - künftig vorzubeugen.
Neben einem gemeinsamen Feststellungs- und Bewertungsteil enthält der Bericht Sondervoten der einzelnen Fraktionen, in denen die Parteien noch einmal eigene Positionen und Empfehlungen formulieren. Während die Fraktion CDU/CSU auf ein eigenes Votum ausdrücklich verzichtet und die Erfolge der parlamentarischen Untersuchungen betont, schlägt die SPD-Fraktion beispielsweise vor, die Bezüge des NSU nach Bayern noch einmal gesondert und intensiv zu beleuchten.
Die Fraktion Die Linke fordert unter anderem die sofortige Abschaffung des V-Leute Systems und eine Auflösung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Ersetzt werden solle dieses durch eine Koordinierungsstelle des Bundes und eine Bundesstiftung „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordern dagegen einen „kompletten institutionellen Neuanfang“ beim BfV. An die Stelle des jetzigen Bundesamtes solle ein „neues Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr“ treten, dass weiterhin nachrichtendienstlich arbeite, aber klarer abgetrennt sei von den Zuständigkeitsbereichen der Polizei. Für die Auswertung öffentlicher Quellen schlagen die Grünen zudem vor, ein unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung einzurichten.
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