Verfassungsschützer mit Gedächtnislücken
Berlin: (hib/FZA) Wie konnte die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) über mehr als ein Jahrzehnt hinweg unentdeckt rauben und morden, ohne das die deutschen Kriminalbehörden und der Verfassungsschutz etwas davon mitbekamen? Zu den damaligen Fehlern der Behörden befragte der 3. Untersuchungsausschuss unter Leitung von Clemens Binninger (CDU) zwei ehemalige ranghohe Verfassungsschützer.
Der Zeuge Wolfgang Cremer arbeitete von 1982 bis 2007 für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und leitete dort von 1996 bis 2004 die Abteilung Rechtsextremismus, in einer Zeit also, als sich der NSU formierte und mehr als die Hälfte seiner insgesamt zehn Morde, 15 Raubüberfälle und drei Sprengstoffanschläge beging. Cremer war im Juli 2012 schon einmal vor den ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags geladen worden. Er hatte dort eine ausführliche Zeugenaussage gemacht und Versäumnisse seiner Behörde eingeräumt. Seinen damaligen Aussagen habe er allerdings nichts mehr hinzuzufügen, betonte er jetzt vor dem 3. Untersuchungsausschuss.
Die Abgeordneten hakten trotzdem nach und fragten Cremer unter anderem nach den Hintergründen eines Dossiers über die Gefahren des Rechtsextremismus in Deutschland, das das BfV im Jahr 2004 herausgegeben hat und in dem als Fallbeispiel auch auf drei flüchtige Bombenbastler aus Jena eingegangen wird - dem heute als NSU bekannten Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Wie Obmann Armin Schuster (CDU) ausführte, habe das BfV die Gefahr eines Rechtsterrorismus in Deutschland damals bereits präzise erkannt und beschrieben. Trotzdem sei man letztlich zu dem Fehlurteil gelangt, dass die Voraussetzungen in der rechtsextremen Szene nicht gegeben seien, um einen bewaffneten Kampf aus dem Untergrund zu führen.
Cremer bedauerte das, beteuerte aber auch, das sei der damalige Kenntnisstand gewesen. Er erklärte auch, bei dem Dossier handele es sich um einen allgemeine Bewertung der rechtsextremen Szene von den 1990ern bis 2004. In diesem Rahmen sei das Jenaer Trio nur als eine von mehreren militanten Gruppierungen benannt worden, mit der Besonderheit, dass es dem Trio als einzige bekannte Gruppe gelungen war, erfolgreich abzutauchen. Zu erneuten Bemühungen, das Trio aufzuspüren, habe das Dossier damals nicht geführt, auch weil das Trio seit seinem Untertauchen im Jahr 1998 verschwunden blieb und es Mutmaßungen gab, es habe sich nach Südafrika abgesetzt. Eine Verbindung zu den sogenannten Ceská-Morden und den zahlreichen Raubüberfällen, die heute dem NSU zugerechnet werden, ist laut Cremer damals nicht gezogen worden.
Unter anderem fragten die Abgeordneten Cremer auch nach der Operation „Drilling“, in deren Rahmen das Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen (LfV) gemeinsam mit dem BfV noch bis 2003 nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gesucht hat. Ebenfalls sollte Cremer beantworten, welche Erkenntnisse dem Amt damals über die Verbindungen zwischen dem Jenaer Trio und dem rechtsextremen Netzwerk „Blood & Honour“ vorlagen und ob hier nach möglichen Kontaktpersonen gesucht wurde. Offen blieb auch die Frage, ob das BfV damals versucht hat, seinen damaligen V-Mann „Corelli“ zu nutzen, um das Trio aufzuspüren. Wie man heute weiß, waren Corelli und Uwe Mundlos miteinander bekannt.
Zu all diesen Fragen konnte Cremer, wie er bereits zu Anfang angekündigt hatte, nichts Erhellendes beitragen. „Ich will erinnern, dass das 17 Jahre her ist“, betonte er und verwies ansonsten auf die dem Ausschuss vorliegenden Akten. „Die Akten sind meist präziser als mein Gedächtnis“, sagte er. Dabei vergaß er offenbar, dass einige der im NSU-Komplex relevanten Akten bis heute unvollständig sind oder aber im BfV und anderen Behörden vernichtet wurden.
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