Linssen: Kein Cum/Ex bei West LB
Berlin: (hib/MWO) Der 4. Untersuchungsausschuss des Bundestages (Cum/Ex) hat seine öffentliche Zeugenvernehmung fortgesetzt. Unter Vorsitz von Hans-Ulrich Krüger (SPD) befragte das Gremium zunächst den Steuerexperten Roman Seer. Professor Seer ist Inhaber des Lehrstuhls für Steuerrecht an der Ruhr-Universität Bochum und veröffentlichte 2013 zusammen mit Marcel Krumm einen Artikel zum Thema „Die Kriminalisierung der Cum-/Ex-Dividende-Geschäfte als Herausforderung für den Rechtsstaat“. Bei diesen Geschäften erstattete der Fiskus bis 2012 eine nur einmal abgeführte Steuer mehrfach.
Seer sagte auf eine Frage Krügers, ob ihm bekannt sei, dass bestimmte Leute versucht hätten, durch die Lancierung bestimmter Positionen Rechtsauffassungen zu beeinflussen, dass man einmal bei ihm angefragt habe, ob er ein Gutachten im Sinne des Cum/Ex-Vermittlers Hanno Berger verfassen würde. Dies habe er abgelehnt. Er habe nur einmal einen Beratungsauftrag angenommen, bei dem es um die mögliche strafrechtliche Relevanz der Cum/Ex-Geschäfte gegangen sei. Aus diesem Beratungsauftrag habe sich der etwa ein Jahr später veröffentlichte Artikel entwickelt. Nach Seers Meinung sind die Cum/Ex-Geschäfte bis heute steuerrechtlich umstritten. Bei deren Bewertung gebe es zwei Stränge: den von Professor Christoph Spengel vertretenen - wonach eine mehrfache Steueranrechnung rechtlich zu keinem Zeitpunkt mošglich gewesen sei - und einen diametral anderen Strang. Es sei bis heute „nicht evident“, welcher von beiden Recht habe.
Der Gesetzgeber habe selbst nicht klargestellt, wie Leerverkäufe bei Cum/Ex zu behandeln seien, sagte Seer. Einerseits heiße es, mit dem OGAW-IV-Gesetz sei die sogenannte Lücke ab 2012 geschlossen worden, andererseits sei erklärt worden, dass es nie eine Lücke gegeben habe. Aus seiner Sicht habe es steuerstrafrechtlich eine unklare Rechtslage gegeben. Dies sei der Grund für die Veröffentlichung des Artikels gewesen, bei dem es um die rechtsstaatlichen Grenzen in einer solchen „misslichen Situation“ gegangen sei. Es habe sich mitnichten um eine Einschätzung der Cum/Ex-Konstruktion gehandelt, diese habe ihm auch nicht gefallen. Auf eine Nachfrage des Linke-Obmanns Richard Pitterle zur Möglichkeit des doppelten wirtschaftlichen Eigentums sagte Seer, er sei „kein Freund dieser Auslegung“, aber sie sei „nicht völlig abwegig“. Der Bundesfinanzhof habe sie 2014 nicht von vornherein verworfen. Zudem habe der Gesetzgeber ab 2006 gewusst, wie die Cum/Ex-Geschäfte funktionierten. Wenn es so klar gewesen sei, wie von Spengel dargestellt, „warum ist das von der Bundesregierung nie so gesehen worden?“, fragte Seer.
Der nächste geladene Zeuge, Hans-Jürgen Niehaus, machte von seinem umfassenden Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch. Zur Begründung führte der Anwalt des Ex-Vorstands der früheren WestLB an, dass die Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen ihn wegen möglicher Cum/Ex-Geschäfte ermittle. Krüger brach die Vernehmung daraufhin ab. Niehaus ging 2013 zur HSH Nordbank.
Danach befragte das Gremium Helmut Linssen. Der CDU-Politiker war von 2005 bis 2010 Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und damit als Mitglied des Aufsichtsrates auch mitverantwortlich für die WestLB. Linssen ist heute Finanzvorstand der RAG-Stiftung. Er schloss im Verlaufe seiner Vernehmung mehrfach aus, dass die WestLB zu seiner Amtszeit in Cum/Ex-Geschäfte verwickelt gewesen sei. Er habe sich im Mai 2009 im Ergebnis einer Kleinen Anfrage im Landesparlament an den Vorstand der WestLB gewandt und gefragt, „ob da was gewesen ist“. Ihm sei versichert worden, dass es solche Geschäfte nicht gebe und nie gegeben habe. Auch diverse Überprüfungen, so von PwC und Ernst & Young, hätten nichts zutage gefördert. „Überall Fehlanzeige“, sagte Linssen.
Er habe sich auch sonst nie mit dem Thema Cum/Ex beschäftigt. Was er kenne und ihn sehr beschäftigt habe, seien die fehlgeschlagenen Spread-Geschäfte 2006 und 2007, mit denen die Bank 600 Millionen Euro verloren habe. Daraufhin sei der Eigenhandel der Bank eingestellt worden und es habe personelle Konsequenzen gegeben. Auch die Aktion mit DaimlerChrysler-Aktien 2007 im Rahmen eines Dividendenstripping-Deals sei ihm bekannt gewesen. Dabei habe es sich aber um ein normales Trading-Geschäft gehandelt. „Ich gehe bis heute davon aus, dass es Cum/Ex bei der WestLB nicht gegeben hat“, sagte Linssen. Auf Fragen von CDU/CSU-Obmann Christian Hirte und Grünen-Obmann Gerhard Schick nach der Erfüllung des Kontrollauftrags des Aufsichtsrats sagte Linssen, die WestLB sei in seinem Hause „tägliches Programm“ gewesen. Von SPD-Obmann Andreas Schwarz nach einem möglichen Eigenleben der Bank gefragt, sagte Linssen, er könne ausschließen, dass die WestLB eine Strategie verfolgt habe, die nicht die volle Unterstützung des Finanzministeriums gehabt habe.
Als letzten Zeugen befragte der Ausschuss Levin Holle, im Bundesfinanzministerium (BMF) für die Finanzmarktpolitik zuständiger Abteilungsleiter. Darunter fällt auch die Finanzdienstleistungsaufsicht. Holle leitet die Abteilung VII des BMF seit Anfang 2012. Zuvor war er Senior Partner der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Nach eigenen Angaben hatte er in dieser Funktion mit Steuern nie etwas zu tun.
Holle sagte aus, dass er im Laufe des Jahres 2012 durch einen Bericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu einem Institut auf das Thema Cum/Ex aufmerksam wurde. Die BaFin habe klargestellt, dass es zwar keine neuen Risiken gebe, den Praktiken der Vergangenheit aber nachgegangen werden müsse. Sie habe dann den Kontakt mit den Steuerbehörden und den Staatsanwaltschaften intensiviert und andere Institute befragt. Dazu habe es keiner Weisung bedurft, die Behörde habe die Aufklärung von selbst weiter vorangetrieben und auch die Bankenbefragung durchgeführt.
Nach der Maple-Insolvenz habe seine Abteilung darum gebeten, immer auf dem aktuellen Stand gehalten zu werden. Es gebe einen „sehr intensiven Austausch“. Zu der kolportierten Schadenssumme von zwölf Milliarden Euro sagte Holle, ihm sei keine Übersicht bekannt, die auf eine Gesamtzahl in dieser Größenordnung hindeute. Aus seiner Sicht können sich solche Vorgänge auch nicht wiederholen. Zum einen sei die staatliche Seite vorsichtiger im Umgang mit den Banken geworden, zum anderen habe die BaFin ihre Mitarbeiterzahl massiv erhöht, könne Prüfungen jetzt selber vornehmen, und es gebe seit Ende 2015 einen verbesserten Informationsaustausch mit den Steuerbehörden. Dazu komme die Europäisierung der Bankenaufsicht und die deutliche Erhöhung der Sanktionsmöglichkeiten.
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