Urteil machte Weg zur Aufarbeitung frei
Berlin: (hib/MWO) Die Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums (BMF) hat laut Aussagen leitender Mitarbeiter seit 2009 intensiv nach Möglichkeiten zur Unterbindung der Cum/Ex-Geschäfte gesucht. Bei der Aufarbeitung der seit 2012 verbotenen Aktientransaktionen um den Dividendenstichtag zum Schaden des Fiskus habe man nach einem Erfolg vor Gericht im Jahr 2014 endlich die Möglichkeit gehabt, gegen diese unberechtigte Steuererstattungen vorzugehen, hieß es am Donnerstag in der öffentlichen Sitzung des 4. Untersuchungsausschuss des Bundestages.
Aus dem Ministerium befragte der Ausschuss unter Vorsitz von Hans-Ulrich Krüger Unterabteilungsleiter Rolf Möhlenbrock und Abteilungsleiter Michael Sell. Beide Beamte schilderten detailliert, wie nach dem Bekanntwerden des Ausmaßes der Cum/Ex-Deals die zuständigen Mitarbeiter alles daran setzten, diesen einen Riegel vorzuschieben und zu Unrecht erstattete Steuern zurückzufordern.
Möhlenbrock sagte, er sei Anfang 2009 am Rande einer Veranstaltung von einer Person, die er nicht benennen wolle, auf das Thema Cum/Ex, die rechtliche Situation und die fiskalische Bedeutung aufmerksame gemacht worden. Er habe diese Person dann um eine schriftliche Ausarbeitung gebeten und diese anonymisiert an das zuständige Fachreferat gegeben. Man habe sich „prioritär“ dieses Problems angenommen, und als erste Reaktion sei „zwei, drei Monate später“ ein BMF-Schreiben ergangen, mit dem „dem Treiben Einhalt geboten werden sollte“. Dieses Schreiben habe sich gegen die „ausländischen Mitspieler“ gerichtet und unter anderem die Berufsträgerbescheinigung eingeführt.
Er gehe davon aus, so Möhlenbrock, dass das Fachreferat auch das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) einschaltete. Aussagen zu potenziellen Steuerschäden durch die Cum/Ex-Transaktionen könne er nicht machen. Zum kolportierten Volumen von zwölf Milliarden Euro sagte er, er habe diese Zahl gelesen und zur Kenntnis genommen, könne aber nicht sagen ob sie richtig oder falsch sei. Das vorliegende Material lasse eine verlässliche Aussage nicht zu.
Wie Möhlenbrock weiter ausführte, war das Thema Dividendenstripping im Ministerium ein Dauerbrenner. Dieser Steuertrick sei immer für Missbrauch gehalten worden, und das hätte auch jedem Marktteilnehmer klar gewesen sein müssen. Allerdings sei die einschlägige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) früher ein „ständiges Ärgernis“ gewesen. Dazu komme, dass nach einem 2011 verlorenen Rechtsstreit mit der Europäischen Kommission erst seit 2013 die Kapitalertragsteuer auf Dividenden bei Ausländern erhoben werden dürfe. Seit diesem Zeitpunkt sei auch das ähnlich gelagerte Dividendenstripping-Modell Cum/Cum im Visier. Die Datenlage zu Cum/Cum sei allerdings lückenhaft.
Steuerabteilungsleiter Michael Sell gab zu Protokoll, dass er gleich nach seiner Amtsübernahme im Mai 2012 mit dem Thema Cum/Ex konfrontiert worden sei. Dabei sei es darum gegangen, das BZSt bei der Aufarbeitung zu unterstützen und vor „Querschüssen“ von Steuerberatern zu schützen. Diese hätten alles versucht, um ihren Kunden zu den gewünschten Erstattungen zu verhelfen. So habe es Klagen, Beschwerden und Störmanöver gegen Beamte gegeben.
Große Bedeutung misst Sell auch dem 2014 vor dem Bundesfinanzhof unter großen Anstrengungen gewonnenen Prozess zum wirtschaftlichen Eigentum bei Cum/Ex-Geschäften mit Aktien zu. Dieses Urteil habe die Basis für die Aufarbeitung dieser Deals gelegt. Auf Grund dieses und weiterer Urteile sei die Überprüfung von Erstattungsanträgen durch das BZSt möglich. Wäre das BFH-Urteil nicht ergangen, hätten sich Investoren rechtmäßig nicht gezahlte Steuern erstatten lassen können, sagte Sell auf eine Frage von Anja Karliczek (CDU/CSU). Er sei auch grundsätzlich der Meinung, dass Cum/Ex-Deals strafbar seien. Zudem sei das Cum/Ex-Urteil der Startschuss für die Aufarbeitung von Cum/Cum gewesen. Im Ergebnis sei dann das Investmentsteuergesetz geändert worden.
Weniger auskunftsfreudig zeigte sich Rechtsanwalt Bernulph von Crailsheim, der wegen seiner Beratertätigkeit im Zusammenhang mit Cum/Ex-Geschäften als Zeuge geladen war. Gleich zu Beginn seiner Vernehmung stellte von Crailsheim klar, dass er aus Gründen der Berufsverschwiegenheit zum Ausschussthema nicht viel sagen könne. So blieben viele Fragen der Ausschussmitglieder unbeantwortet, auf andere äußerte er sich ausweichend. Auf eine Frage Krügers bestätigte von Crailsheim, dass er bis 2010 in einer Kanzlei mit dem Steueranwalt Hanno Berger zusammengearbeitet habe. Berger wird als einer der Drahtzieher der Cum/Ex-Modelle bezeichnet. Die Idee zu diesen Geschäften sei aber nicht von Berger gekommen, sagte von Crailsheim. Die Frage des Grünen-Obmanns Gerhard Schick, vom wem dann, ließ er unbeantwortet.
Es stimme, so Crailsheim, dass er Mandanten zu Cum/Ex beraten habe, Einzelheiten könne er aber nicht nennen. Zudem habe er nie solche Geschäfte vermittelt, sondern immer nur zu bestimmten Aspekten beraten, die ihm vorgelegt worden seien. Zur Rolle Bergers sagte von Crailsheim auf Fragen von Richard Pitterle (Die Linke), Fritz Güntzler (CDU/CSU) und Sarah Ryglewski (SPD), diese sei hinreichend bekannt, er selbst könne dazu aber nichts sagen. Er habe mit Berger über bestimmte Konstellationen der Cum/Ex-Geschäfte gesprochen, ergänzte er, ohne Einzelheiten zu nennen.
Von Schick zu einer möglichen strafrechtlichen Relevanz seiner Beratung befragt, erklärte von Crailsheim, wenn man sich an die Vorgaben halte, sei diese vielleicht steuerrechtlich, aber nicht strafrechtlich relevant. Auch über die ethische Komponente sei diskutiert worden. Dass eine Rendite auf Kosten von Millionen ehrlichen Steuerzahlern erwirtschaftet worden sei, „ist hingenommen worden“, sagte von Crailsheim, der im Anschluss an die sechseinhalbstündige Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter befragt wurde.
Die Exekutivdirektorin der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Elisabeth Roegele, betonte wie schon andere leitende BaFin-Mitarbeiter vor ihr, dass die Behörde steuerrechtlich keine Befugnisse habe, aber bei entsprechenden Hinweisen tätig werde. Eingangs gab sie zu Protokoll, dass sie im Mai 2015 die Leitung der Wertpapieraufsicht der BaFin übernommen habe und mit den Fragestellungen des Untersuchungsausschusses nicht in Berührung gekommen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei die Problematik bereits gelöst gewesen. Zudem sei die BaFin keine Finanz- oder Steuerbehörde, und steuerliche Kompetenz sei nicht Gegenstand der Aufsicht.
Wie Roegele erläuterte, verfügt die Behörde über viele Transaktionsdaten, die aber nur anlassbezogen - wie im Fall von Marktmanipulation und Insidergeschäften - und bei entsprechenden Indizien untersucht würden. Zur Analyse aller Daten würden die Ressourcen der Behörde nicht ausreichen. Zudem ließen sich aus den Transaktionsdaten weder Motivation noch Absprachen erkennen.
Fragen der Ausschussmitglieder zu ihrer früheren Tätigkeit bei der DeKaBank - wo sie ab 2006 Chefsyndikus war - beantwortete Roegele im Anschluss in geheimer Sitzung. Auch das Wertpapierhaus der Sparkassen war in Cum/Ex-Deals verwickelt und hatte vergeblich auf Erstattung von Steuern geklagt.
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