NSU: Versäumnisse in Baden-Württemberg
Berlin: (hib/FZA) Die polizeiliche Ermittlungsarbeit zum Personenumfeld der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) im Bundesland Baden-Württemberg ist grob mangelhaft gewesen. So lautete das einhellige Urteil des 3. Untersuchungsausschusses (NSU II) unter Leitung von Clemens Binninger (CDU).
Zudem erhoben Binninger wie auch die Obleute Petra Pau (Die Linke) und Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) schwerwiegende Vorwürfe gegen das baden-württembergische Innenministerium. Die sogenannte Ermittlungsgruppe „EG Umfeld“ des Landeskriminalamts (LKA), die 2013 vom ehemaligen Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) eingesetzt worden war, sei ein reiner „Papiertiger“ gewesen, urteilten die Abgeordneten. Die EG Umfeld sei schlichtweg nicht mit den nötigen Befugnissen ausgestattet worden, um die Bezüge des NSU nach Baden-Württemberg umfassend aufklären zu können.
Schon länger befasst sich der Ausschuss mit der Frage, ob es womöglich ein bisher unbekanntes Unterstützernetzwerk des NSU in Baden-Württemberg gab. Nachweislich pflegte der NSU in dem Bundesland zahlreiche Bekanntschaften und reiste regelmäßig dorthin. Die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sollen außerdem im April 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen haben. Dieser mutmaßlich letzte Mord des Terrortrios wirft bis heute viele Fragen auf und ist einer der mysteriösesten Fälle im NSU-Verbrechenskomplex.
Als Zeugin befragte der Ausschuss unter anderem die ehemalige Leiterin der „EG Umfeld“, Heike Hißlinger. Hißlinger und ihre Kollegen ermittelten ein Jahr lang mit großem Aufwand nach möglichen NSU-Komplizen. Zeitweilig waren 40 Beamten für die EG im Einsatz, rund 500 Spuren zum NSU wurden erneut untersucht. Das Ergebnis war allerdings ernüchternd. Zwar wurden insgesamt 52 Personen identifiziert, die sowohl einen Bezug zum NSU als auch nach Baden-Württemberg hatten. Eine konkrete Unterstützungshandlung konnte aber keinem dieser Kontakte nachgewiesen werden. Auch neue Hinweise auf ein mögliches Unterstützernetzwerk oder aber dem NSU ähnliche Gruppierungen konnten die Ermittler in ihrem Abschlussbericht von 2014 nicht präsentieren.
Fragen hatte der Ausschuss insbesondere zu mehreren engen Bekanntschaften des NSU in Ludwigsburg. Laut einer Zeugin seien Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe zwischen 1993 und 1996 regelmäßig in Ludwigsburg aufgetaucht, um etwa an Rechtsrock-Konzerten oder Saufgelagen im Keller eines gemeinsamen Freundes teilzunehmen, teilte Hißlinger mit. Neu waren diese Informationen nicht. Anderen Quellen zufolge haben die Besuche sogar noch bis ins Jahr 2001 stattgefunden, als der NSU bereits drei Jahre lang untergetaucht war und seine ersten Morde begangen hatte. Wahrscheinlich scheint auch, dass die Ludwigsburger Bekanntschaften in die Taten eingeweiht waren und den NSU zumindest passiv deckte. Warum das Trio ein so enges Vertrauensverhältnis zu den Ludwigsburger Neonazis hatte, konnte Hißlinger wiederum nicht beantworten.
Auch über mögliche Verbindungen des NSU zu anderen rassistischen Gruppierungen wie dem Ku-Klux-Klan (KKK) konnte Hißlinger nichts Neues erzählen. Im Zuge ihrer Ermittlungen hatte die EG Umfeld gleich mehrere KKK-Ableger in Baden-Württemberg aufgedeckt, zu deren Mitgliedern auch fünf Polizeibeamte des LKA gehörten. Einer dieser Polizisten war der Gruppenleiter der später ermordeten Michèle Kiesewetter. Auch der im NSU-Komplex bereits oft genannte V-Mann Thomas Richter alias „Corelli“ gehörte zeitweilig einem der Klans an. Verbindungen dieser Gruppen zum NSU konnte die EG Umfeld trotz allem nicht finden. Als Leiterin der EG habe sie zwar den Auftrag gegeben, alle bekannten Klanmitglieder noch einmal zum NSU zu befragen, gab Hißlinger an. Ob das auch im Falle der fünf Kollegen geschehen sei, habe sie dann aber nicht mehr eigens nachgeprüft.
Angesichts der jüngsten Vorkommnisse im bayrischen Georgensgmünd, wo am vergangenen Mittwoch ein rechtsextremer „Reichsbürger“ einen Polizisten erschossen hatte, fragten die Ausschussmitglieder nach möglichen Waffenbeschaffern für den NSU in Baden-Württemberg. Dazu habe die EG Umfeld nicht ermittelt, antwortete Hißlinger. Der EG-Abschlussbericht hält aber fest: Mindestens bei einer Kontaktperson handelt es sich um einen gewaltbereiten Neonazi, der Waffen hortet. Was denn mit dieser Erkenntnis gemacht wurde, wollte die Abgeordnete Pau wissen. Hißlingers Antwort: Die Information sei zwar an die zuständige Waffenbehörde weitergeleitet worden, diese sei aber zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine Möglichkeit gebe, dem Mann seinen Waffenschein zu entziehen. Pau zeigte sich entsetzt: Was müsse denn noch alles passieren, damit einer solchen Personen die Waffen weggenommen werden könnten. Beim Thema Waffenhandel im NSU-Umfeld gebe es durchaus noch offene Fragen, gab Hißlinger zu. Weitere Ermittlungen dazu führe aktuell das LKA in enger Absprache mit dem Bundeskriminalamt (BKA). Ein Ergebnis stehe allerdings noch aus.
Zufrieden zeigte sich Hißlinger in Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem baden-württembergischen Verfassungsschutz (LfV). Die Kommunikation zwischen den beiden Behörden - und insbesondere mit der Abteilung „Rechtsextremismus“ - sei sehr kooperativ verlaufen. Das bestätigte auch der zuständige LfV-Mitarbeiter C.O., der im Anschluss als Zeuge vernommen wurde. Die stellvertretende Ausschussvorsitzende Susann Rüthrich und Obmann Uli Grötsch (beide SPD) befragten C.O. detailliert zu einzelnen Kontaktpersonen des NSU. Der Zeuge konnte lediglich feststellen, was zuvor schon die Zeugin Hißlinger konstatiert hatte: Keine der Landesbehörden wusste vor 2011 vom NSU und seinen Bezügen nach Baden-Württemberg. Obmann Armin Schuster (CDU) wollte von C.O. wissen, warum der NSU in Baden-Württemberg so viele Kontakte wie in kein anderes Bundesland hatte und warum das nicht früher aufgefallen sei. „Leider können wir keinen Grund nennen“, antwortete der Zeuge. Dieses ernüchternde Fazit veranlasste Schuster zu der Aussage: „Eine EG Umfeld 2.0 wäre jetzt die wichtigste Entscheidung, die man in Baden-Württemberg treffen könnte.“
Der 3. Untersuchungsausschuss soll offene Fragen zur Arbeit der staatlichen Behörden bei den Ermittlungen im Umfeld des NSU klären und Handlungsempfehlungen erarbeiten.
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