Staatliche Aggression bestrafen
Berlin: (hib/PST) 2010 hat sich die Staatengemeinschaft auf einen neuen Straftatbestand der Aggression verständigt. Mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/8621) sollen solche Straftaten künftig auch vor deutsche Gerichte gebracht werden können. Bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am Mittwochabend fand diese Absicht einhellige Zustimmung. Die Ausgestaltung des Gesetzentwurfs im Einzelnen allerdings bewerteten die sieben Sachverständigen unterschiedlich.
Nach dem Völkerrecht ist die staatliche Aggression bereits strafbar. Auf einer Überprüfungskonferenz in Kampala vor sechs Jahren hatten sich die Vertragsstaaten des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs auf eine Definition dieses Tatbestands geeinigt. Dadurch kann das Verbrechen der Aggression vor dem Gericht in Den Haag verhandelt werden. In ihrem jetzt im Parlament zu beratenden Gesetzentwurf verweist die Bundesregierung darauf, dass Deutschland als einer der ersten Vertragsstaaten weltweit die Änderungen von Kampala ratifiziert habe. Mit der angestrebten Gesetzesänderung wolle man nun dem Grundsatz der Komplementarität nach dem Römischen Statut gerecht werden. Dieser besagt, dass die einzelnen Staaten völkerrechtliche Verbrechen zu verfolgen haben. Nur wenn ein Staat diese Aufgabe nicht ernsthaft wahrnimmt, kann der Internationale Strafgerichtshof tätig werden. Deshalb soll nun der neue Strattatbestand in das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) eingefügt werden.
In der Anhörung dazu vor dem Rechtsausschuss wurden neben juristischen Fragen wie der, ob das Gesetz statt von Tätern besser von Tatbeteiligten sprechen sollte, vor allem drei Grundsatzfragen kontrovers diskutiert: Ob das Weltrechtsprinzip gelten sollte, nach dem jede derartige Straftat irgendwo auf der Welt von der deutschen Justiz geahndet werden könnte, ob es bei einem so schwerwiegenden Tatbestand auch minderschwere Fälle geben kann und ob der Tatbestand der Aggression nichtstaatliche Akteure wie Terrormilizen erfassen soll.
Der Völkerrechtler Robert Frau von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) wandte sich ausdrücklich gegen die Absicht der Bundesregierung, vor deutschen Gerichten nur Taten mit Deutschlandbezug zu ahnden. Nach dem Gesetzentwurf soll die Durchführung, Planung, Vorbereitung und Einleitung eines Angriffskriegs nur dann in Deutschland strafbar sein, wenn die Tat von einem deutschen Staatsbürger oder auf deutschem Territorium begangen wurde oder sich gegen Deutschland gerichtet hat. Dies, so Frau, schränke das Weltrechtsprinzip des Völkerstrafrechts ein und widerspreche auch Artikel 26 des Grundgesetzes, wonach ohne Einschränkung Handlungen, welche „die Führung eines Angriffskriegs“ vorbereiten, „unter Strafe zu stellen“ seien.
Dem hielt der Augsburger Rechtsprofessor Ferdinand Wollenschläger unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes entgegen, dass es ausdrücklich nicht zur Verfolgung solcher Taten ohne Deutschlandbezug verpflichte. Rolf Raum, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, und Christoph Barthe, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof, begrüßten ausdrücklich, dass die Bundesregierung nicht das Weltrechtsprinzip anwenden möchte. Sie warnten einerseits vor einer Flut politisch motivierter Strafanträge, wenn auf den Deutschlandbezug verzichtet würde. Andererseits verwiesen sie auf praktische Probleme bei der Durchführung solcher Verfahren, etwa bei der Beweiserhebung.
Der Osnabrücker Professor für Internationales Strafrecht Arndt Sinn plädierte ebenso wie sein Kölner Kollege Claus Kreß dafür, die vorgesehenen Bestimmungen für minderschwere Fälle in den Strafvorschriften zum Angriffskrieg zu streichen. Sie gaben damit einem Fragesteller recht, der darauf verwiesen hatte, dass es auch bei Mord keinen minderschweren Fall gebe. Dem widersprach Staatsanwalt Barthe. Über Kriegshandlungen würde oft in staatlichen Gremien entschieden, und in diesen gebe es erfahrungsgemäß nicht nur Kriegstreiber, sondern auch Mitläufer. Deshalb müsse man den Gerichten die Möglichkeit geben, der unterschiedlichen Schwere der Schuld gerecht zu werden.
Die Frage, ob das Gesetz neben staatlichen Aggressoren auch nichtstaatliche Akteure wie den sogenannten Islamischen Staat (IS) mit Strafe bedrohen solle, wurde von den meisten Sachverständigen abschlägig beschieden. Der Hamburger Lehrstuhlinhaber für Internationales Strafrecht Florian Jeßberger plädierte dafür, im deutschen Völkerstrafgesetzbuch das umzusetzen, was in Kampala beschlossen wurde. Und das beziehe sich ausdrücklich nur auf staatliche Täter. Zwar sei das Völkerrecht in Bezug auf nichtstaatliche Akteure in Bewegung, es sei aber richtig vom deutschen Gesetzgeber, dem nicht vorzugreifen. Jeßbergers Kölner Kollege Kreß verwies zudem darauf, dass es im Völkerstrafrecht eine Vielzahl von Tatbeständen wie Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen gebe, welche die Taten des IS bereits heute unter Strafe stellten.
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