Erkenntnisse über die „Reichsbürgerszene“
Berlin: (hib/STO) Erkenntnisse über die „Reichsbürgerbewegung“ legt die Bundesregierung in ihrer Antwort (18/9161) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/8941) dar. Wie die Fraktion darin schrieb, gehen Anhänger der „in eine Vielzahl von teilweise rechtsextremistisch orientierten Gruppen, Sekten und konkurrierenden ,Reichsregierungen' aufgesplitterten sogenannten Reichsbürgerbewegung“ von einer Weiterexistenz des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 aus.
Laut Bundesregierung ist die „Reichsbürgerszene“ zersplittert und vielschichtig. Es agierten vielfach Einzelpersonen oder Kleingruppen, denen eine bundesweite Relevanz fehle. Bei Aktivitäten der „Reichsbürger“ stelle sich zudem immer wieder die Frage der Ernsthaftigkeit der politischen Bestrebung. Die Schuldfähigkeit einiger Protagonisten werde in psychiatrischen Gutachten angezweifelt. Jedoch könnten auch solche Menschen gewaltbereite Neigungen aufweisen. So fänden sich unter den „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ mitunter Protagonisten, die Drohungen insbesondere gegenüber Behörden und deren Mitarbeitern aussprechen.
Ein Teil der „Reichsbürgerszene“ vertrete rechtsextremistische Argumentationsmuster, heißt es in der Antwort der Bundesregierung weiter. Die „oftmals schon im Ansatz abstrusen Reichsbürgerthesen“ würden auch „im neonazistischen Spektrum und im Spektrum der Holocaustleugner für gut befunden und um antisemitische Konstrukte ergänzt“. In der Vergangenheit seien beispielsweise aus diesem Mischspektrum das „Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e. V.“ (CH) einschließlich der Teilorganisation „Bauernhilfe e. V.“ sowie der „Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“ (VRBHV) verboten worden.
„Reichsbürgern“ ist es der Antwort zufolge vielfach gelungen, Verwirrung zu stiften und Behörden in ihrer Arbeit zu behindern. Leichtgläubige Menschen würden durch sie in ihrem Zutrauen in staatliche Institutionen verunsichert. Darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass sich der Aktionismus und die Aggression im „Reichsbürger“-Milieu verstärken und es zu Radikalisierungseffekten kommt. Im Übrigen dürfe auch das Gefährdungspotenzial von Einzelpersonen nicht unterschätzt werden.
Mit dem angestiegen Störerpotenzial der „Reichsbürgerszene“ ist laut Bundesregierung eine verstärkte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit verbunden. Von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder werde die Resonanz, die die „Reichsbürgerideologie“ in der rechtsextremistischen Szene findet, beobachtet. Zu Hinweisen auf mögliche Gefährdungen im Umfeld der „Reichsbürgerszene“ erfolge ein regelmäßiger Erkenntnisaustausch mit den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden. In Folge von Exekutiv- und Strafmaßnahmen seien bestehende Strukturen der „Reichsbürgerszene“ aufgelöst worden.
Belastbare Gesamtzahlen zum Personenpotenzial liegen zur „Reichsbürgerszene“ aufgrund der Zersplitterung und Heterogenität nicht vor, wie die Bundesregierung ferner ausführt. Die von als Reichsbürger bekannten Personen verübten Straftaten betreffen nach Kenntnis der Regierung in der Masse Beleidigungen, Nötigungen, Volksverhetzungen, Propagandadelikte und Urkundenfälschungen. Dazu kämen Bedrohungen, Erpressungen und Sachbeschädigungen sowie im geringeren Umfang weitere Delikte. Als „qualitativ höherwertige Straftaten“ seien Widerstandsdelikte und vereinzelt Körperverletzungsdelikte bekannt. In Einzelfällen seien auch Verstöße gegen das Waffengesetz festgestellt worden. In allen bekannten Fällen scheine es sich bei den Beschuldigten jedoch um Einzelpersonen beziehungsweise Angehörigen von Kleinstgruppen zu handeln.
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