Absprachen Grundlage bei Cum/Ex
Berlin: (hib/mwo) Im 4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex) haben die geladenen Sachverständigen am Donnerstag detaillierte Einblicke in die Funktionsweise von Aktientransaktionen vermittels Leerverkäufen um den Dividendenstichtag herum (Cum/Ex-Geschäfte) gegeben. Nachdem sie in der 5. öffentlichen Sitzung des Ausschusses zunächst Eingangsstatements abgegeben hatten, ging es in der anschließenden mehr als dreistündigen Fragerunde in erster Linie darum, wieso die Beteiligten an den Cum/Ex-Geschäften über einen so langen Zeitraum hinweg unbehelligt agieren konnten und welche Absprachen es unter anderem zur Gewinnverteilung gegeben hat. Weiter wollten die Ausschussmitglieder wissen, wie die Ermittlungen der Steuerfahnder ablaufen und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben.
Der Ausschussvorsitzende, Hans-Ulrich Krüger (SPD), sagte nach den Stellungnahmen zusammenfassend, es sei nun klar, was die Akteure mit den Geschäften erreichen wollten. Auf Nachfrage Krügers erläuterte Prof. Christoph Spengel von der Universität Mannheim noch einmal das „Geschäftsmodell“. Danach mache einzig der Leerverkäufer einen Gewinn, der exakt der zweifach erstatteten Kapitalertragsteuer entspreche. Dieser werde anschließend auf alle Beteiligten verteilt. Die Entdeckungschancen seien gering, weil die Geschäfte wegen der fehlenden Aktienkurswirksamkeit nicht feststellbar seien. Spengel bekräftigte seine Ansicht, dass es eine Sollbruchstelle im System der Erhebung und Bescheinigung der Steuer gegeben habe. Diese Sollbruchstelle habe man durch Leerverkäufe um den Dividendenstichtag ausgenutzt.
Helmut Lotzgeselle, Vorsitzender Richter am Hessischen Finanzgericht, ergänzte, dass die Gewinnspanne in diesen Geschäften die nicht abgeführte Kapitalertragsteuer war. In dem vom Hessischen Finanzgericht jüngst entschiedenen Cum/Ex-Fall habe man über gesteuerte Leerverkäufe und durch Absprachen, durch bewusste Spätlieferung und durch geschickte Vertragsgestaltung unter Ausnutzung der Abrechnungssysteme der Depotbanken erreicht, dass keine Kapitalertragsteuer einbehalten wurde. Zu den Akten gehörten Protokolle von Wertpapierhändlern, aus denen sich ergebe, dass solche Absprachen stattgefunden haben. Der Gewinn wurde Lotzgeselle zufolge unter Einschaltung eines ausländischen Maklers untereinander aufgeteilt. Das Problem habe darin bestanden, das alles zu erkennen. In dem vorliegenden Fall sei dies anhand der Protokolle möglich gewesen.
Ministerialdirigent Prof. Michael Schmitt, Leiter der Abteilung Steuern beim Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württembergs und Lehrbeauftragter der Universität Mannheim, bestätigte auf Nachfrage Krügers, dass die Geschäfte vor den Finanzbehörden verschleiert und geheim gehalten worden seien. Ein Finanzbeamter könne Leerverkäufe nicht erkennen und auch nicht, ob die Kapitalertragsteuer nicht einbehalten wurde. „Dieses Modell ist uns nicht im Vornherein vorgelegt worden“, sagte Schmitt. Vor 2007 seien Cum/Ex-Geschäfte keine klassischen Felder für Bankenbetriebsprüfer gewesen. Erst jetzt, nachdem einige Banken erklärt hätten, da sei etwas gewesen und das lasse man jetzt gerichtlich prüfen, komme die Betriebsprüfung ins Spiel. Schmitt sagte, er gehe davon aus, dass es strafrechtliche relevante Absprachen gegeben habe, denn sonst hätten die Geschäfte gar nicht stattfinden können. Aber das nachzuweisen sei noch einmal eine ganz andere Sache. Steuerrechtlich sei das einfacher.
Steueroberamtsrat Günther Hallmann vom Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Wuppertal sagte zum Thema Absprachen, man habe in einem Verfahren eine Excel-Datei eines Bankmitarbeiters gefunden. Darin sei das gesamte Dividendenjahr deutscher DAX-Aktien dargestellt und geplant gewesen. Mögliche Käufe bei Ausschüttungen und das erforderliche Kreditvolumen sowie die erforderlichen Absicherungen seien komplett durchgeplant gewesen. Nach Angaben eines Insiders säßen an beiden Seiten Leute und sprechen sich ab. Hallmann zufolge waren die Verschleierungen bis 2007 relativ einfach gestrickt. Von 2008 bis 2011 seien Transaktionen so gestaltet gewesen, dass Ermittlungen erheblich erschwert worden seien. Die Handelsketten seien immer länger geworden, und es seien ausländische Stellen wie in Luxemburg oder London eingeschaltet worden. Dort gebe es keine Möglichkeiten an Informationen zu kommen.
Zur Frage der Rechtswidrigkeit der Cum/Ex-Geschäfte vertraten Spengel und Prof. Marc Desens von der Universität Leipzig in der Fragerunde unterschiedliche Auffassungen. Während Desens noch einmal seine Sicht erläuterte, wonach es auf einem virtuellen Markt durchaus mehrere Eigentümer einer Aktie geben könne und diese Rechtsauffassung auch dem Schreiben des Bankenverbandes an Bundesfinanzministerium zugrunde liege, mit dem dieser 2002 auf das Problem aufmerksam gemacht habe, sagte Spengel, diese Rechtsauffassung entspreche weder dem Gesetzeswortlaut, noch sei sie aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes abzuleiten. Der Bundesfinanzhof habe 1999 nicht entscheiden, dass es zwei Eigentümer geben kann. Desens sprach auch von einem Fehler im System, mit dem man leben müsse, denn es gehe bei vielen Beteiligten um viel. Die Frage sei, ob das legal möglich sei oder nicht.
Zum Stichwort Steuerhinterziehung sagte Spengel, wer die Erstattung der Kapitalertragsteuer beantrage, aber tatsächlich nicht zur Anrechnung oder Erstattung berechtigt sei, mache falsche Angaben, und damit sei zumindest der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Schmitt sagte, an Desens gewandt, das einschlägige Gesetz habe nie erlaubt, dass unrichtige Kapitalertragsteuerbescheinigungen in Bezug auf das Erheben der Kapitalertragsteuern ausgestellt werden können.
Auf eine Frage Krügers nach einem möglichen Vollzugsdefizit sagte Schmitt, die Steuerverwaltung schlafe nie, „aber es kann natürlich sein, dass auch wir betrogen werden.“ Hätte man 2006 oder 2007 schon gewusst, was abläuft, hätte man das Problem früher entdecken können. Wenn man von solchen Geschäften erfahre, werde man aktiv. „Aber man kommt nicht von einem Tag auf den anderen zu Ergebnissen.“ Die Branche habe reagiert, und nachdem 2007 die Modelle im Inland kaputt gemacht worden seien, sei man ins Ausland abgewandert. Die Steuerverwaltung habe dies nicht bemerkt. Schmitt: „Wir sind einfach nicht davon ausgegangenen, dass man sich zweimal nimmt, was man einmal gegeben hat. Ich find's unglaublich, was da geschehen ist. Das haben wir vor fünf sechs Jahren nicht gewusst, nicht geahnt. Und in soweit waren wir vielleicht zu gutgläubig. Das mag sein. Das werden die weiteren Ermittlungen ja erweisen.“
Hallmann erläuterte, dass die Ermittlungen der Wuppertaler Steuerfahndung im wesentlichen auf der Auswertung der im Herbst 2015 angekauften Daten beruhten. Es seien Erstattungsanträge beim Bundeszentralamt für Steuern eingereicht worden, in denen ausdrücklich vom Antragsteller bestätigt worden sei, dass die Steuer einbehalten und auch abgeführt worden sei. Die Steuerfahndung gehe davon aus, dass es sich in allen Fällen um ungedeckte Leerverkäufe handelt, und werde Ermittlungsverfahren und auch Strafverfahren zunächst gegen Unbekannt einleiten. Wie Hallmann weiter ausführte, seien zunächst Betriebsprüfungsstellen aktiv geworden. Diesen seien wegen des Bankgeheimnisses enge Grenzen gesetzt. Erst mit der Steuerfahndung seien erweiterte Maßnahmen möglich gewesen. Hallmann merkte an, dass die Banken immer einen Vertrauensvorschuss hatten. Man habe angenommen, dass die Banken ja nichts Falsches bestätigen würden, was sich aber im Nachhinein als nicht richtig erwiesen habe.
Zuvor hatte Hallmann erläutert, dass er ausschließlich mit der Ermittlung und Aufarbeitung von Cum/Ex-Fällen betraut sei. Die Steuerfahndung Wuppertal sei seit anderthalb Jahren in diesem Bereich tätig, sagte er, und verwies auf zwei erledigte Fälle. Zu dem Datenankauf vom Herbst 2015 sagte er, dabei handele es sich um Daten über ungedeckte Leerverkäufe - die Voraussetzung für belastete Cum/Ex-Geschäfte. Nach der Aufarbeitung der Daten aus den Jahren 2006 bis 2011 seien 27 inländische Gesellschaften betreffende Fälle an die zuständigen Fahndungsstellen abgegeben worden. Bezüglich der ausländischen Gesellschaften habe sich Wuppertal mit einem Auskunftsersuchen zum Datenabgleich an das Bundeszentralamt für Steuern gewandt. „In meinem Büro liegen zehn Fälle, die der Bearbeitung harren“, sagte Hallmann. Wegen des Anfangsverdachts einer Steuerhinterziehung würden Verfahren eingeleitet. Hallmann erwartet eine erhebliche Zunahme von Ermittlungsverfahren. Als Probleme dabei sieht er neben der Komplexität der Materie den großen Zeitaufwand und die drohende Verjährung. Zurzeit verjährten Fälle von Anfang 2006, weil die Erstattungsanträge laufend abgegeben worden seien. So seien Anträge aus Januar und Februar 2006, die problemlos durchgelaufen seien, inzwischen auch verjährt. Allein die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens und die Bekanntgabe gegenüber dem Betroffenen könne die Verjährung unterbrechen.
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