Wohnungen für Flüchtlinge
Berlin: (hib/JOH) Die Flüchtlingskrise trifft nach Ansicht von Sachverständigen auf einen ohnehin stark angespannten Wohnungsmarkt und wird bereits seit Jahren bestehende Probleme weiter verschärfen. In einem öffentlichen Fachgespräch im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bauen und Reaktorsicherheit forderten die Experten daher am Mittwoch, schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, um Asylbewerber mit Aufenthaltsstatus dauerhaft unterbringen zu können. Gleichzeitig betonten sie, dass wohnungsbaupolitische Maßnahmen nicht speziell Flüchtlingen, sondern allen einkommensschwachen Mietergruppen zugutekommen sollten.
Gesine Kort-Weiher von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände wies darauf hin, dass die Mehrzahl der Asylbewerber in prosperierenden Regionen bleiben werde, in denen die Wohnungsnachfrage schon jetzt das Angebot deutlich übersteige. Fördermittel müssten daher bevorzugt in diese Wachstumsregionen fließen. Unter anderem sei es notwendig, zusätzliche Anreize für den frei finanzierten Wohnungsbau zu schaffen.
Axel Gedaschko vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) warf Bund und Ländern vor, notwendige Maßnahmen schon seit Jahren verschleppt zu haben. In der Folge müssten nun über zehn Jahre hinweg jährlich mindestens 140.000 Wohnungen neu gebaut werden, um den Bedarf decken zu können. Dies sei nur mit Hilfe steuerlicher Förderungen und einer Senkung der hohen Baukosten in Deutschland zu realisieren. Außerdem regte Gedaschko eine Änderung der Musterbauverordnung an, um serielles und standardisiertes Bauen zu ermöglichen.
Andreas Ibel vom Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) schätzte ausgehend von der Asylgeschäftsstatistik für den Monat September, dass angesichts der zu erwartenden hohen Anerkennungszahlen von Asylbewerbern der Bedarf an dauerhaftem Wohnraum bereits Ende 2016 den Bedarf an temporären Unterkünften übersteigen werde. Er forderte: „Das Bauen muss wieder einfacher werden.“ Die Technik, die heute in vielen neuen Wohnungen zum Einsatz komme, sei „hochkomplex, teurer und weniger lange haltbar“. Außerdem bezeichnete Ibel die befristete Aussetzung der Energieeinsparverordnung (EnEV), mit der Energie in privaten Gebäuden eingespart werden soll, als ein „Gebot der Stunde“. Der Mietwohnungsneubau spiele nur eine geringe Rolle beim Energieverbrauch für Heizung und Warmwasser. Würden Flüchtlinge weiterhin in Zelten und provisorischen Unterkünften untergebracht, stünde der dadurch verursachte Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) in keinem Verhältnis zu den Einsparungen durch Einhaltung der EnEV.
Der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes e.V., Lukas Siebenkotten, betonte, bis der „enorme Nachholbedarf“ beim Wohnungsneubau aufgearbeitet sei, müssten auch kurzfristige Maßnahmen ergriffen werden. „Dazu gehört, dass die Beschlagnahme von leer stehenden Gewerbeimmobilien, aber auch von leer stehendem Wohnraum, unumgänglich ist.“ So würden etwa in Berlin viele Wohnungen als Ferienwohnungen zweckentfremdet. Sie sollten Menschen zur Verfügung gestellt werden, „die es dringend nötig haben“. Mietern von städtischen Wohnungen sollte allerdings nicht gekündigt werden, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Dies sei nicht nur rechtlich unzulässig, sondern auch „politisch verheerend“.
Ausdrücklich gegen die Beschlagnahme von Immobilien sprach sich Kai Warnecke von Haus& Grund Deutschland aus. Die Tatsache, dass Hamburg und Bremen bereits derartige Maßnahmen ergriffen hätten, sei „ein falsches Signal“ urteilte er. Dies sollte der Bund auch klarstellen. Zudem warnte er vor weiteren Änderungen des Baugesetzbuches. Die im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vorgesehenen Abweichungen von bauplanungsrechtlichen Standards, die der Bundestag morgen unter anderem beschließen will, seien schon jetzt „gewaltig“. Unter anderem sei die Unterbringung von Asylbewerbern in Industriegebieten „zweifelhaft“. Warnecke forderte daher: „Flüchtlinge mit Bleiberecht sollten ganz normale Mieter werden.“
Der Kritik Warneckes schloss sich der Architekt und Energieberater Roland Borgwardt an. Standards im deutschen Baugesetzbuch würden derzeit „vorschnell über Bord geworfen“. Ein späteres Nachrüsten von Gebäuden würde wesentlich teurer werden. Die Unterbringung von Flüchtlingen in Industriegebieten lehnte Borgwardt ebenfalls ab, da diese in der Regel weder hinsichtlich ihrer Infrastruktur noch des Emissionsschutzes für eine Wohnnutzung geeignet seien. Auch der Rechtsanwalt Klaus-Martin Groth sprach sich für Unterkunftsmöglichkeiten aus, die eine selbstständige Haushaltsführung ermöglichten.
Einig waren sich alle Sachverständigen in ihrem Urteil, dass die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, für den seit der Föderalismusreform 2006 die Länder zuständig sind, schlecht funktioniert. Sie forderten daher, die Kompensationsmittel des Bundes für die soziale Wohnraumförderung künftig an klare Bedingungen zu knüpfen und Berichtspflichten einzuführen. Außerdem sollte sich der Bund Kompetenzen in diesem Bereich zurückholen, da er über die notwendigen finanziellen Ressourcen verfüge, um diese Aufgabe zu bewältigen, urteilte unter anderem Axel Gedaschko.
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