Europäische Ziele im Selektorenbestand?
Berlin: (hib/wid) Bei der Überprüfung der Suchaufträge, die der US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) in das gemeinsam mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) betriebene Abhörsystem in Bad Aibling eingespeist hat, sind möglicherweise nicht alle europäischen Zieladressen erkannt und aussortiert worden. Das berichtete der BND-Mitarbeiter W.O., der im Herbst 2013 mit dieser Aufgabe betraut war, dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) in seiner Sitzung am heutigen Donnerstag. „Ich denke, dass meine Kontrolle nicht zu hundert Prozent gegriffen hat“, sagte der Zeuge. Es sei nicht ausgeschlossen, dass nach wie vor europäische Ziele von dem deutsch-amerikanischen Überwachungsprogramm erfasst werden.
In Bad Aibling beobachten BND und NSA gemeinsam den satellitengestützten Datenverkehr vor allem aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Dabei habe die amerikanische Seite bisher insgesamt rund 14 Millionen Suchaufträge übermittelt, vermutete der Zeuge. Er kenne diese Zahl freilich nicht aus eigenem Wissen, sonder lediglich vom Hörensagen. Er selbst habe sich während seiner Tätigkeit in Bad Aibling nie dafür interessiert, wie viele Suchbegriffe, sogenannte „Selektoren“, die Amerikaner in das System einspeisten.
Der ausgebildete Funktechniker W.O. ist seit 1983 als Technischer Angestellter beim BND beschäftigt. Seit 2005 betreut er in Bad Aibling den Bestand der von der NSA übermittelten Suchanfragen unter anderem nach Mail-Adressen und Mobilfunknummern. Seine Aufgabe dabei besteht darin, einmal in der Woche die neu eingegangenen Selektoren aus dem System herauszuziehen und zur Prüfung an die BND-Zentrale weiterzuleiten. Dabei geht es in erster Linie darum, auszuschließen, dass Personen oder Institutionen, die unter dem Schutz des grundgesetzlich garantierten Fernmeldegeheimnisses stehen, von der Überwachung erfasst werden.
Er habe sich daher im Herbst 2013 über den Auftrag seines Vorgesetzten in Bad Aibling gewundert, den aus den USA gelieferten Selektorenbestand auf europäische Ziele hin zu durchforsten, sagte der Zeuge. Bis darin waren etwa Mailadressen mit der Länderkennung „fr“ für Frankreich, „it“ für Italien oder auch „eu“ für Europäische Union nicht systematisch deaktiviert worden, wenn sie sich in der Datenbank fanden. Dass etwa der deutsche EU-Kommissar Günter Oettinger von Bad Aibling hätte bespitzelt werden können, wenn er sich in einem Land des Nahen oder Mittleren Ostens aufhielt, habe vor 2013 durchaus zu den denkbaren Möglichkeiten gehört.
Bei der Kontrolle der in Bad Aibling gespeicherten Mailadressen habe er allein die auf die jeweiligen Staaten bezogenen Domain-Kürzel als Suchkriterien angelegt, berichtete der Zeuge. Mailadressen mit Kennungen wie „net“ oder „org“, die womöglich ebenfalls europäischen Inhabern gehörten, seien außen vor geblieben. Der Zeuge berichtete weiter, dass abgelehnte Selektoren in der Datenbank nicht gelöscht, sondern nur „gefleckt“, also als nicht verwendbar gekennzeichnet werden. Es sei daher möglich, die Einstufung nachträglich zu ändern.
Bis 2012 hatte die NSA direkten Zugriff auf den Bestand in Bad Aibling. Er glaube aber nicht, sagte W.O., dass die Amerikaner im Nachhinein Korrekturen an der Einstufung einzelner Selektoren vorgenommen hätten. Denn abgesehen von der wöchentlichen Überprüfung der neu eingegangenen Suchbegriffe werde alle Vierteljahre der gesamte Bestand kontrolliert. Dabei müssten Unregelmäßigkeiten auffallen.
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