Angeklagten-Rechte im Berufungsverfahren
Berlin: (hib/SCR) Die Rechte von Angeklagten in Berufungsverfahren sollen gestärkt werden. So soll sich zukünftig ein Angeklagter in Abwesenheit von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten lassen können. Bisher war dies nur in wenigen Ausnahmefällen möglich. Das Fehlen des Angeklagten zu Beginn der Verhandlung hat bisher laut Strafprozessordnung (StPO) zur Folge, dass die Berufung, wenn der Angeklagte sie selbst angestrebt hat, ohne Verhandlung zur Sache verworfen wird. Die Bundesregierung begründet ihren Gesetzentwurf (18/3562) mit der Notwendigkeit, einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom November 2012 Rechnung zu tragen. Zudem ist geplant, einen Rahmenbeschluss des Rats der Europäischen Union zu Abwesenheitsentscheidungen umzusetzen.
Der EGMR hatte laut Begründung der Bundesregierung in der Rechtssache Neziraj/ Bundesrepublik Deutschland (30804/07) geurteilt, dass das Verwerfen einer Berufung eines Angeklagten trotz Erscheinens eines bevollmächtigten Verteidigers nicht mit Artikel 6 Absatz 1 („Recht auf faires Verfahren“) der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vereinbar ist. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass unter anderem die StPO so geändert wird, dass bei Erscheinen eines „nachweislich zur Vertretung bevollmächtigten Verteidigers“ eine Verwerfung der Berufung ausscheidet. Dies solle jedoch kein „Recht auf Abwesenheit“ etablieren, betont die Bundesregierung in der Begründung. Der Angeklagte bleibe grundsätzlich zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet. Die Bundesregierung erwartet, dass sich durch die Neuregelung „die Zahl der Berufungen, aber auch die durchschnittliche Dauer des Berufungsverfahrens erhöhen wird“.
In seiner Stellungnahme zur Änderung der StPO fordert der Bundesrat eine weitere Qualifizierung der Regelung zur Vertretungsvollmacht. Die Bundesregierung lehnt dies in ihrer Gegenäußerung als nicht erforderlich ab.
Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI (RB Abwesenheitsentscheidung) des Rats der Europäischen Union soll durch eine Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) erfolgen. Gegenstand ist die Zulässigkeit von Vollstreckungen einer Abwesenheitsentscheidung. Die Bundesregierung plant, die durch den RB Abwesenheitsentscheidung vorgesehenen Fälle, die zur Vollstreckung verpflichten, abschließend in das IRG aufzunehmen. Mit der Novelle werde die Möglichkeit erweitert, „die Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten zu verweigern, wenn nicht bestimmte, gegenüber den bisherigen Regelungen präzisierte und erhöhte Mindestgarantien des rechtsstaatlichen Verfahrens erfüllt sind“, schreibt die Bundesregierung. Damit würden die Verfahrensrechte von Personen gestärkt, gegen die in ihrer Abwesenheit Entscheidungen ergangen sind.
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