Ausforschung von Flüchtlingen umstritten
Berlin: (hib/wid) Im Bundesnachrichtendienst (BND) bestanden bereits lange vor der Affäre um die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden Zweifel, ob die Ausforschung von Asylbewerbern nach geheimdienstlich verwertbaren Erkenntnissen weiterhin sinnvoll war. Dies berichtete der derzeit zuständige Referatsleiter im Kanzleramt, Albert Karl, am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss („NSA“).
Der heute 53-Jährige hatte 1985 als Bürosachbearbeiter beim BND eine Laufbahn begonnen, die ihn seither in verschiedene Funktionen in der Welt der Nachrichtendienste führte. Bereits von 2003 bis 2008 war er Referent in der zuständigen Abteilung 6 im Kanzleramt und kehrte dann zum BND zurück. Seit dem 5. August 2013 leitet Karl das Referat 603, das unter anderem für den Bereich „Technische Aufklärung“, also Abhörmaßnahmen, zuständig ist.
Der BND unterhielt seit 1958 eine getarnte „Hauptstelle für das Befragungswesen“ (HBW), die zunächst vor allem Flüchtlinge aus der DDR und Ländern des Ostblocks, später Asylbewerber ausforschte. Dabei kooperierten deutsche Beamte mit Agenten des US-Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA). Ins Visier des Untersuchungsausschusses geriet die mittlerweile abgewickelte HBW vor allem wegen der Vermutung, bei der Befragung von Asylbewerbern könnten Erkenntnisse angefallen sein, die dann im Drohnenkrieg der USA gegen radikalislamische Freischärler Verwendung fanden.
In seiner Vernehmung berichtete Karl allerdings, dass im BND spätestens seit 2011 massive Zweifel am Wert der HBW-Aktivitäten aufgekommen seien. Die gewonnenen Informationen hätten den Aktualitätserfordernissen moderner Aufklärungsarbeit nicht mehr entsprochen. Schließlich seien Gewährsleute befragt worden, die ihre Herkunftsländer oftmals schon seit geraumer Zeit verlassen hatten. Der Ertrag an wirklich brandheißen Erkenntnissen sei daher gering gewesen. Weder qualitativ noch quantitativ habe die HBW die Erwartungen erfüllt. BND-Präsident Gerhard Schindler habe daher Ende Januar 2014 entschieden, die Dienststelle zum 30. Juni aufzulösen.
Wenige Wochen zuvor hatte die HBW noch im Zuge der durch die Snowden-Enthüllungen entfachten Geheimdienstdebatte Furore gemacht. Am 19. November 2013 hatte die „Süddeutsche Zeitung“ einen Bericht veröffentlicht unter dem Titel „Deutsche Behörde horcht Asylbewerber aus“. Im Bundestag gab der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Ole Schröder (CDU), zu, dass die HBW dem BND unterstand, was bis dahin verschwiegen worden war. Im Kanzleramt sah sich der Zeuge Karl ein Vierteljahr nach Antritt seiner Referatsleiterstelle mit einer Flut parlamentarischer Anfragen konfrontiert, deren Gegenstand die Ausforschung von Asylbewerbern war. Er forderte daher einen Bericht über die HBW an.
In diesem Bericht, der ihn am 25. November erreichte, war unter anderem zu lesen, dass die Flüchtlinge zwar in der Regel von deutschen und amerikanischen Geheimdienstlern gemeinsam befragt wurden, hin und wieder aber auch von DIA-Agenten allein. Karl reagierte unverzüglich und wies die HBW noch am selben Tag in einer Mail an, sicherzustellen, dass künftig keine Befragungen mehr ohne Anwesenheit von BND-Mitarbeitern stattfanden. Da die HBW eine Einrichtung unter der organisatorischen Verantwortung des BND war, habe er dies für unabdingbar gehalten, betonte der Zeuge.
Auf die Frage, ob die Vernehmung von Asylbewerbern in Deutschland allein durch US-Geheimdienstler nicht auch rechtswidrig gewesen sei, entgegneter er: „Ich habe mich nicht gesondert damit auseinandergesetzt. Davon musste ich ausgehen, dass das rechtmäßig war.“
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