Windenergie: Kritik an Länderöffnungsklausel
Berlin: (hib/JOH) Die Pläne der Bundesregierung, eine Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und anderen baulichen Nutzungen, etwa Dörfern und Städten, einzuführen, stoßen bei Wirtschafts- und Rechtsexperten sowie bei Vertretern von Umwelt- und kommunalen Spitzenverbänden einhellig auf Ablehnung. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit am Mittwochmittag kritisierten die Sachverständigen den Gesetzentwurf (18/1310) der Großen Koalition als unnötig und verfassungswidrig und warnten zudem vor einer Gefährdung der Energiewende. Anders als vom Gesetzgeber intendiert, werde eine Länderöffnungsklausel die Akzeptanz von Windkraftanlagen bei der Bevölkerung nicht etwa erhöhen, sondern deutlich verringern, mahnten sie, weil sich einzelne Bundesländer ganz aus der Nutzung von Windkraft verabschieden würden, während andere künftig die Lasten trügen.
Nach Ansicht von Hilmar von Lojewski von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände würde eine Länderöffnungsklausel zu einem ungleichen Wettbewerb zwischen den Ländern führen. Windenergieanlagen würden in der Folge in den Ländern errichtet, die keine entsprechenden Abstandsregelungen haben. In den Bundesländern, die von der Regelung Gebrauch machen, würde hingegen wegen der zu erwartenden drastischen Reduktion potentieller Flächen die Errichtung von Windenergieanlagen erheblich erschwert und Investitionen würden abwandern. Für die Bürger vor Ort, mahnte von Lojewski, werde schwer nachvollziehbar sein, warum manche Länder zu Lasten anderer ihr Gebiet von Windkraftanlagen „freihalten“ dürfen. Von Lojewski betonte zudem, dass die Erzeugung von Windenergie an Land eine tragende Säule der Energiewende sei. Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien sei eine gesamtstaatliche Aufgabe, die nur gelingen könne, wenn es ein bundeseinheitliches Vorgehen gebe.
„Der Gesetzentwurf erweist der Akzeptanz von Windenergie einen Bärendienst“, urteilte auch Franz Josef Tigges vom Bundesverband WindEnergie e.V. Wenn, wie in Bayern geplant, ein Mindestabstand von zwei Kilometern zwischen Windenergieanlagen und Wohnbebauungen umgesetzt werde, drohe eine massive Reduzierung der verfügbaren Flächen für den Ausbau der Windenergie. Dies widerspreche den Ausbauzielen der Bundesregierung, die auch im Planungsrecht verankert seien. „Windenergie finden wir alle gut, aber nicht vor unserer Haustür“, kritisierte Tigges.
Herbert Barthel vom Bund Naturschutz Bayern e.V. appellierte an die Bundesregierung, den Gesetzentwurf zurückzunehmen. Er gefährde nicht nur die Energiewende und den Atomausstieg, sondern auch den Umweltschutz. Vorgaben für einen hohen Abstand von Windenergieanlagen zu baulichen Nutzungen würden die Windparks weiter in die Natur verdrängen, in Gebiete mit großer Bedeutung für den Landschafts- und Naturschutz. Außerdem gebe es eine „moralisch-ethische Verantwortung“, den Strom dort herzustellen, wo er verbraucht werde.
Tine Fuchs vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie Professor Ulrich Battis von der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz verwiesen über die genannten Bedenken hinaus auf rechtliche Probleme. Die Schaffung einer neuen Regelungskompetenz der Länder greife in die kommunale Planungshoheit gemäß Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes ein, warnte Fuchs. Bislang könnten allein die Städte und Gemeinden für das Gemeindegebiet die Standorte für Windenergieanlagen vorgeben und Abstände zu Wohngebäuden definieren. Mit der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderung des Baugesetzbuches erhielten die Länder aber eine eigene Regelungsbefugnis, die sich unmittelbar auf die Flächennutzungsplanung beziehungsweise die Planung des Außenbereichs einer Gemeinde auswirke. Battis fügte hinzu, ein solcher Eingriff der Länder, der das Ziel hätte, Windenergieanlagen landesweit zu verhindern, wäre mit den weiterhin bestehenden bundesgesetzlichen Vorgaben unvereinbar und „ein unverhältnismäßiger und daher verfassungswidriger Eingriff in die kommunale Planungshoheit“. Es drohten Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie dem Bundesverfassungsgericht.
Für die Gesetzesinitiative der Bundesregierung sprachen sich hingegen die geladenen drei Vertreter von Bürgerinitiativen aus. „Jede weitere Windkraftanlage ist unsinnig“, betonte etwa Markus Pfitsch von der Bundesinitiative Vernunftkraft, der sich inzwischen 362 Bürgerinitiativen angeschlossen haben. Pfitsch sprach von einer „Verschandelung der Landschaft“ und einem „Vernichtungsfeldzug gegen dörfliche Gemeinschaften“. Die heutigen, immer höheren Windkraftanlagen reduzierten die Lebensqualität in der unmittelbaren Wohnumgebung und schädigten die Gesundheit der Bewohner durch Lärm und niederfrequente Schallemissionen, den sogenannten Infraschall.
Auch Jenner Zimmermann von der Bürgerinitiative „Keine neuen Windräder in Crussow“ verwies darauf, dass die immer höheren Anlagen die Menschen und ihre Häuser bedrängten, „Dauerlärmbelastung, Schattenwurf und Infraschall“ erzeugten. Ein gesetzlicher Mindestabstand ist daher aus seiner Sicht „ein dringend notwendiger Schritt in Richtung Schutz des Menschen“.
Heinrich Brinkmann vom Regionalbündnis Windvernunft lobte, dass die Bundesregierung den Bundesländern mit ihrem Vorhaben ein Instrumentarium an die Hand geben wolle, die Energiewende bürgerverträglich umzusetzen. Mit Blick auf die Besonderheiten in den Kommunen und die topografischen Besonderheiten in den einzelnen Gebieten hält er es allerdings für notwendig, nicht nur eine Öffnungsklausel für die Länder zu schaffen, sondern ebenso für die Kommunen. Ihnen sollte genauso wie den Ländern die Möglichkeit gegeben werden, Mindestabstandsgrenzen zu geplanten Baugebieten festzulegen. Tine Fuchs von der DIHK sagte dazu an anderer Stelle, dass das Raumordnungsrecht bereits heute die Möglichkeit biete, die Ansiedlung von Windenergieanlagen zu steuern und Abstandsvorgaben im Rahmen der Landes- und Regionalplanungen zu machen. An diesen Planungen würde auch die Öffentlichkeit beteiligt. Insofern gebe es über die rechtlichen Bedenken hinaus gar keine Erfordernis für die von der Bundesregierung geplante gesetzliche Neuregelung.
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