Geheimdienst unter Verdacht
Berlin: (hib/KOS) Wurden Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen im Januar 1998 deshalb nicht aufgespürt, weil zwischen der später zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) mutierten Jenaer Gruppe und dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Verbindungen bestanden? Über einen damals bei der Geraer Staatsanwaltschaft keimenden „ungeheuerlichen“ Verdacht berichtete am Donnerstag Oberstaatsanwalt Gerd Michael Schultz zum Auftakt der Zeugenvernehmungen dem Untersuchungsausschuss, der Fehler und Pannen bei der Aufklärungsarbeit zu der dem NSU angelasteten Mordserie durchleuchten soll. Der Zeuge führte aus, er habe eine Hilfestellung des LfV für das Trio zwar „nicht für wahrscheinlich“ gehalten, doch sei dies ein „möglicher Ermittlungsansatz“ gewesen.
Es sei der Staatsanwaltschaft „sehr merkwürdig“ vorgekommen, so Schultz, dass die ansonsten so erfolgreiche Zielfahndung des Landeskriminalamts Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe trotz intensiver Spurensuche einfach nicht habe finden können. Auch die Fahnder hätten sich das nicht erklären können. Diese hätten vermutet, dass die Gruppe Unterstützung erhalten könnte, wobei seinerzeit keine Hinweise auf Hilfe aus der rechtsextremen Szene existiert hätten. Laut Schultz wurde der Verdacht gegen den Geheimdienst zusätzlich genährt, weil sich auch Tino Brandt als Anführer des rechtsextremen Thüringer Heimatschutzes (THS), bei dem einst auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aktiv waren, als V-Mann des Verfassungsschutzes entpuppt habe, was man sich in seiner Behörde lange Zeit nicht habe vorstellen können.
Nach Angaben von Schultz schickte die Staatsanwaltschaft schließlich einen Brief mit 22 detaillierten Fragen an die LfV-Spitze. Unter anderem habe man wissen wollen, ob der Geheimdienst über Erkenntnisse zum Aufenthaltsort des Trios verfüge oder ob jemand aus dessen Reihen für das LfV arbeite. In der Folge sei ein Vertreter dieser Behörde, nach der Erinnerung des Zeugen möglicherweise der damals amtierende Vizechef Peter Jörg Nocken, in Gera erschienen und habe alle Fragen knapp mit Nein beantwortet. Schultz: „So etwas habe ich nie mehr erlebt.“ Nocken soll noch im Laufe des Donnerstags vor dem Ausschuss als Zeuge auftreten.
Grünen-Obmann Wolfgang Wieland indes warf der Staatsanwaltschaft vor, ebenfalls ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden zu sein. So habe man Unterlagen der Zelle wie etwa Adressenlisten, die im Januar 1998 bei der Suche nach Bombenmaterial in drei Jenaer Garagen entdeckt wurden, nicht gründlich ausgewertet, obwohl solche Dokumente für die Zielfahnder eine „Goldgrube hätten sein können“.
Zum Erstaunen der Abgeordneten berichtete Schultz, dass Vertreter des Geheimdiensts bei der Staatsanwaltschaft Einsicht in Ermittlungsakten zu Angehörigen der rechtsextremen Szene nehmen konnten. Im Gegenzug habe man aber nur wenig brauchbare Informationen vom LfV erhalten: Das sei eine „Einbahnstraße“ gewesen, „die haben uns abgeschöpft“.
Unions-Sprecher Clemens Binninger kritisierte es als „erschütternden Befund“, dass in den Neunzigern in Thüringen zwar über 100 Ermittlungsverfahren gegen Rechtsextremisten eingeleitet worden seien, die aber nur in wenigen Fällen in eine Verurteilung gemündet seien. Das sei „frustrierend“ gewesen, räumte Schultz ein, schließlich habe er „angeklagt, wo es nur ging“. Vor Gericht hätten die Beweise aber oft nicht ausgereicht.
SPD-Obfrau Eva Högl warf den thüringischen Sicherheitsbehörden vor, die Ermittlungen der Polizei behindert zu haben. Petra Pau (Linke) fragte, warum Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe über viele Jahre unbehelligt blieben, obwohl die Rechtsextremisten fest im Blick des Geheimdiensts gewesen seien. FDP-Sprecher Hartfrid Wolff zeigte sich verwundert, dass das LfV an dieser Szene „eng dran war“ und die Jenaer Zelle trotzdem habe untertauchen können.
Nach Angaben des Vorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) ist der Ausschuss gewillt, angesichts der Fülle der noch anstehenden Zeugenvernehmungen den Abschlussbericht des Gremiums erst in der Sommerpause zu erstellen und dann Ende August oder im September in einer Sondersitzung des Bundestags zu diskutieren. Dies müsse jetzt in den Fraktionen geklärt werden.
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