Lob und Kritik der Experten für Linken-Antrag zu Femiziden
Zeit:
Montag, 1. März 2021,
16
bis 17.45 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200
Die Forderung der Fraktion Die Linke, Femizide in Deutschland zu untersuchen und zu bekämpfen, ist bei Experten grundsätzlich auf viel Zustimmung, aber auch auf Kritik im Detail gestoßen. Das zeigte eine öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter der Leitung von Sabine Zimmermann (Die Linke) am Montag, 1. März 2021. Uneins waren sich die Sachverständigen insbesondere im Hinblick auf die Verwendung des Oberbegriffs Femizid für tödliche, geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen.
Antrag der Linken
Das Kernanliegen des Antrags der Fraktion „Femizide in Deutschland untersuchen, benennen und verhindern“ (19/23999) unterstützten sie jedoch mehrheitlich: Darin plädiert Die Linke für die Einrichtung einer Beobachtungsstelle, die jede Tötung, jeden tödlichen und vermeintlichen Suizid einer Frau in Deutschland erfasst, die Daten tagesaktuell veröffentlicht, jährlich einen Lagebericht zu „Femiziden in Deutschland“ erstellt und eine umfassende Erforschung einleitet.
Darüber hinaus fordert die Fraktion, das Hilfesystem bei Gewalt an Frauen entsprechend der Istanbul-Konvention auszubauen. Staatsanwaltschaften und die Polizei sollten zudem bei Tötungen von Frauen zunächst stets prüfen, ob ein Femizid vorliege. Verpflichtende Fortbildungen müssten dementsprechend bei Polizei und Justiz etabliert werden. Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen, die aufgrund des hierarchischen Geschlechterverhältnisses begangen werden, müssten als Femizide anerkannt werden.
„Geschlechtsspezifische Gewalt wird bagatellisiert“
Diese Forderung unterstützte die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm ausdrücklich: Sie erlebe in ihrer Arbeit fast täglich, wie Politik, Ermittlungsbehörden und Rechtsprechung „geschlechtsspezifische, sexualisierte und sogenannte Partnerschaftsgewalt“ bagatellisierten und nicht strukturell begriffen.
Die Einführung des Begriffs „Femizid“ und die systematische Auswertung und Dokumentation von Femiziden könnten helfen, solche Tötungsdelikte künftig besser zu verstehen und zu verhindern. Das bestehende Datenmaterial sei zu dünn, auch die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) bringe nur „unzureichenden Erkenntnisgewinn“, monierte die Expertin.
Beobachtungsstelle wäre „weder erforderlich noch nützlich“
Ganz anderer Meinung war Prof. Dr. Thomas Fischer, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof: Er stellte grundsätzlich infrage, dass die Einführung einer „Fallgruppe Femizid“ zu einer „besseren Analyse und Aufklärung“ führe. Das Gegenteil sei sogar der Fall.
Auch die Auffassung, es fehle an Daten, teilte der Sachverständige nicht: Es gebe bereits eine Vielzahl von Forschungsprojekten – und -ergebnissen. Eine geschlechtsspezifisch organisierte Beobachtungsstelle sei daher weder erforderlich noch der Sache nützlich.
Begriff „Femizid“ ist zu ungenau
Ähnlich kritisch argumentierte auch die Ethnologin Prof. Dr. Susanne Schröter von der Goethe-Universität Frankfurt: Aus ihrer Sicht sei vor allem der Begriff des Femizids nicht passgenau genug. Teils werde er zu weit gefasst, sagte sie mit Blick auf Fälle von Hasskriminalität gegen Frauen.
Morde durch Frauenhasser wie Marc Lépine etwa seien zwar Femizide, hätten aber wenig mit den im Antrag der Linken genannten Fällen zu tun. Gleichzeitig wirke der Begriff zu eng, da er sowohl männliche Opfer als auch nicht tödliche Formen von Gewalt ausschließe, so Schröter.
„Istanbul-Konvention umsetzen“
Prof. Dr. Ulrike Lembke, Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität, sprach sich im Gegenteil klar für die Verwendung des Begriffs „Femizid“ für tödliche, geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen aus. Die Zusammenfassung unter einem Oberbegriff könne zum einen helfen, Femizide besser zu verstehen und zu bekämpfen. Zum anderen habe die rechtliche Benennung eine hohe Signalwirkung, betonte die Rechtswissenschaftlerin.
Einen dringenden Handlungsbedarf sah sie sowohl in den Bereichen Unterstützung und Aufklärung als auch bei der Prävention von Femiziden. „Eigentlich würde es genügen, die Istanbul-Konvention umzusetzen“, forderte Lembke. „Da steht schon alles drin.“
„Debatte um Femizid-Begriff ähnelt der um häusliche Gewalt“
Aus diesem Grund begrüßte auch Heike Herold, Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung, die Initiative der Fraktion Die Linke. Femizide seien keine „bedauerlichen Einzelschicksale“, sondern Tötungen von Frauen, die eingebettet seien in die ungleichen gesellschaftlichen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, stellte Herold klar.
Die Debatte gegen den Begriff Femizid, gegen eine systematische Erfassung und das damit verbundene Verschieben auf die individuelle Ebene erinnere sie an die Debatte um häusliche Gewalt in den 90er-Jahren: Damals habe es ähnlichen Widerstand gegeben, so die Expertin. Doch die Einführung des Begriffs „häusliche Gewalt“ habe das Problembewusstsein erhöht und den Schutz für Frauen verbessert. Die Benennung von Femiziden könnte einen ebensolchen Prozess in Gang setzen.
Patriarchalischer Besitzanspruch als Motiv
Die Benennung von Femiziden als solche sah auch Prof. Dr. Monika Schröttle, Leiterin der Forschungs- und Beobachtungsstelle Geschlecht, Gewalt, Menschenrechte am Institut für empirische Soziologie (IfeS) in Nürnberg, als zentral an: „Dinge, die wir nicht benennen, werden auch nicht als solche gesehen“, gab die Sozialwissenschaftlerin zu bedenken.
Motivhintergrund von Femiziden seien „patriarchalische Kontrolle, Dominanz und Besitzansprüche“. Diesen Motivhintergrund gelte es zu erkennen und als „niederen Beweggrund“ zu qualifizieren.
„Femizide sind ein strukturelles Problem“
Dr. Leonie Steinl, Vorsitzende der Kommission Strafrecht des Deutschen Juristinnenbundes (djb), teilte diese Sichtweise und bezeichnete in ihrer Stellungnahme Femizide als „strukturelles Problem“, das einen grundlegenden Bewusstseinswandel erforderlich mache.
Der Juristinnenbund kritisiere besonders den strafrechtlichen Umgang mit „Trennungsmorden“: „Noch immer wird der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, als gegen die Niedrigkeit des Beweggrunds sprechend beurteilt“, erklärte Steinl. Das sei ein „zweifelhaftes Signal“ und stehe aus Sicht des Juristinnenbundes in einer „Tradition der Privilegierung von Partnerschaftsgewalt“. (sas/01.03.2021)