„Gute-Kita-Gesetz“
Zeit:
Montag, 5. November 2018,
14
bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200
Das sogenannte „Gute-Kita-Gesetz“ stößt bei Experten trotz prinzipieller Unterstützung für seine Zielsetzung auf viel Kritik und Zweifel. Dies wurde deutlich in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Vorsitz von Sabine Zimmermann (Die Linke) über den von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) vorgelegten Entwurf eines „Gesetzes zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung“ (19/4947, 19/5416) sowie bei dem von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Antrag „Qualität in der Kindertagesbetreuung verbindlich und dauerhaft sicherstellen“ (19/5078).
Einhellig begrüßten die Sachverständigen, dass der Bund zukünftig sich verstärkt auch am qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung engagieren möchte und dafür in den kommenden vier Jahren den Bundesländern rund 5,5 Milliarden Euro bereitstellen will. Ebenso einhellig kritisierten sie, dass die Finanzierung des Gesetzes nicht über das Jahr 2022 gesichert sei.
Fachkräfte-Kind-Relation in den Kitas
Matthias Dantlgraber vom Familienbund der Katholiken bezifferte den jährlichen Finanzbedarf für die Realisierung einer angemessenen Fachkräfte-Kind-Relation in den Kitas auf rund acht Milliarden Euro. Würde eine generelle Gebührenfreiheit eingeführt, erhöhe sich der jährliche Finanzbedarf gar auf 18 Milliarden Euro. Dantlgraber plädierte dafür, dass der Bund seine Bemühungen deshalb auf die Realisierung eines angemessenen Fachkräfte-Kind-Relation konzentrieren soll.
In diesem Sinne argumentierten auch Frank Jansen vom Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder, Prof . Dr. Bernhard Kalicki vom Deutschen Jugendinstitut, Heiko Krause vom Bundesverband Kindertagespflege, Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung und die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Susanne Viernickel von der Universität Leipzig.
Unterstützung für Antrag der Grünen
Die Sachverständigen unterstützten deshalb auch den Antrag der Grünen, die eine Fachkräfte-Kind-Relation von 1:3 bis 1:4 für unter Dreijährige und 1:9 für über dreijährige Kinder fordern. Maria-Theresia Münch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, begrüßte hingegen, dass sich der Gesetzentwurf in der Bestimmung der Handlungsfelder zwar soweit wie möglich an den bislang gemeinsam zwischen Bund und Ländern getroffenen Vereinbarungen ausrichtet, jedoch gleichzeitig den Ländern weitestmögliche Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume offen lässt. Überwiegend kritisch bewerteten die Sachverständigen auch eine generelle Gebührenfreiheit für Kitas. Der gebührenfreie Zugang zu Kitas sei zwar wünschenswert, in der derzeitigen Situation jedoch nur schwer zu finanzieren. Die dafür bereitgestellten Gelder würden dann für eine Steigerung der Kita-Qualität fehlen.
Unterstützt wurde die Forderung nach einer bundeseinheitlich festgelegten Fachkraft-Kind-Relation von dem Verfassungsrechtler Prof. Dr. Gregor Kirchhof von der Universität Augsburg. Für diesen Bereich habe der Bund gemäß der Vorgaben des Grundgesetzes und verschiedener Urteile des Bundesverfassungsgericht im Sinne der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet eine Gesetzgebungskompetenz. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Staatsverträge zwischen dem Bund den 16 Bundesländern über einzelne Maßnahmen zur Steigerung der Kita-Qualität sei in dieser Form jedoch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, da dadurch die Autonomie der Länder zu stark eingeschränkt werde.
Expertin: Kommunen sollen entscheiden
Gegen eine bundeseinheitliche Fachkräfte-Kind-Relation und andere Qualitätsstandards sprach sich hingegen Regina Offer von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände aus. Die Anforderungen und Probleme in den Kommunen seien höchst unterschiedlich. Deshalb sollte vor Ort entschieden werden, wie und in welchen Bereichen Maßnahmen zur Steigerung der Kita-Qualität ergriffen werden.
Dr. Johannes Resch vom Verband Familienarbeit wies den Gesetzentwurf zurück, weil er einseitig Familien unterstütze, die ihre Kinder in Kitas betreuen lassen. Die elterliche Betreuung hingegen werde benachteiligt. Resch sprach sich deshalb für ein Betreuungsbudget aus, das den Eltern zur Verfügung gestellt werden soll.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Damit die zur Verfügung gestellten Mittel zielgenau eingesetzt werden, sollen die Bundesländer mit dem Bund individuelle Verträge über die Ziele und Maßnahmen zur Steigerung der Qualität der Kita-Betreuung abschließen, heißt es im Regierungsentwurf.
Finanziert werden könnten Maßnahmen zur Gewinnung, Qualifizierung und Weiterbildung von Fachkräften, zur Verbesserung der Kind-Betreuer-Relation, zur Inklusion von Kindern mit Behinderungen und zur kindgerechten Gestaltung von Innen- und Außenflächen von Kindertageseinrichtungen.
Antrag der Grünen
Die Grünen fordern in ihrem Antrag bundesweit verbindliche Qualitätsstandards in der Kindertagesbetreuung. Im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) solle eine Fachkraft-Kind-Relation von 1:2 für unter Einjährige, 1:3 bis 1:4 für unter Dreijährige und 1:9 für über Dreijährige festgelegt werden, die nach einer Übergangsfrist in Kraft treten soll. Zudem will die Fraktion erreichen, dass die von der Jugend- und Familienkonferenz entwickelten Eckpunkte für ein Qualitätsentwicklungsgesetz umgesetzt werden und dass der Bund sich an der Finanzierung beteiligt.
Zur Förderung der Qualität in der Kindertagespflege soll nach dem Willen der Grünen die Eignungsvoraussetzung für Tagespflegepersonen mindestens an das Absolvieren eines Lehrgangs geknüpft werden. Um die pädagogische Qualität zu sichern fordern die Grünen, dass die jeweils nach fünf Jahren zu erneuernde Erlaubnis zur Kindertagespflege durch die Einführung eines Gütesiegels ergänzt wird.
Die Fraktion begründet ihren Antrag mit den großen Unterschieden in der Kita-Qualität in den Bundesländern. Alle Kinder hätten jedoch unabhängig von ihrem Wohnort „die Chance auf ein gutes Aufwachsen verdient“. (aw/05.11.2018)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Matthias Dantlgraber, Familienbund der Katholiken – Bundesverband, Berlin
- Frank Jansen, Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) Bundesverband e. V., Freiburg
- Prof. Dr. Bernhard Kalicki, Deutsches Jugendinstitut, München
- Prof. Dr. Gregor Kirchhof, Universität Augsburg, Juristische Fakultät
- Heiko Krause, Bundesverband für Kindertagespflege e. V., Berlin
- Maria-Theresia Münch, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V., Berlin
- Dr. Johannes Resch, Verband Familienarbeit e. V., Villingen-Schwenningen
- Anette Stein, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh
- Prof. Dr. Susanne Viernickel, Universität Leipzig
- Regina Offer, Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, Berlin