Öffentliche Anhörung zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Zeit:
Mittwoch, 25. November 2020,
9
bis 11 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900
Überwiegend positiv haben die Sachverständigen am Mittwoch, 25. November 2020, geplante Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beurteilt.
Bei einer Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie unter der Leitung von Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) bewerteten sie den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen“ (GWB-Digitalisierungsgesetz, 19/23492) sowie Anträge der FDP (19/23688), der Linken (19/23698 neu) und von Bündnis 90/Die Grünen (19/23701, 19/23705).
„Ungemein hilfreich für das Kartellamt“
Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamtes, meinte, seine Behörde habe sich schon verschiedentlich mit Amazon oder Facebook angelegt und teils auch einvernehmliche und damit rasche Lösungen gefunden. Die Verfahren dauerten allerdings lange, wenn sie durch die Instanzen gingen.
Die im Gesetzentwurf in diesem Zusammenhang angepeilten Verbesserungen würden dem Kartellamt ungemein helfen, sagte er mit Blick auf die von ihm als maßvoll eingestuften Anpassungen zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren, um frühzeitiger auf Wettbewerbsgefährdungen reagieren und dauerhafte Schädigungen verhindern zu können.
„Änderungen in den meisten Fällen ausgewogen“
Prof. Dr. Daniela Seeliger von der Anwaltskanzlei Linklaters beurteilte den Regierungsentwurf grundsätzlich positiv. Es sei richtig und notwendig, das Gesetz maßvoll an die Erfordernisse der Digitalisierung anzupassen.
Die vorgeschlagenen Änderungen seien in den meisten Fällen ausgewogen. Sie seien ausreichend wirksam und gingen nicht über das notwendige Maß hinaus. Die Forderung nach einer Verschärfung des Entwurfs halte sie für nicht gerechtfertigt.
„Mitwirkungspflichten der Unternehmen intensivieren“
Prof. Achim Wambach vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung sah in seiner mit den Mitgliedern der Monopolkommission abgestimmten Stellungnahme weiterhin Probleme bei der Durchsetzung der bestehenden Missbrauchsregeln.
Er empfahl, die Mitwirkungspflichten der Unternehmen zu intensivieren, um das Informationsgefälle zwischen ihnen und den Wettbewerbsbehörden bei der Sachverhaltsermittlung zu verringern und schnellere behördliche Interventionen zu gewährleisten. Die geplante Beschränkung des gesetzlichen Auftrags der Monopolkommission auf die Würdigung abgeschlossener kartellbehördlicher Verfahren wäre, wie er meinte, ein falsches Signal im Hinblick auf die gesetzliche verankerte Unabhängigkeit der Monopolkommission.
„Zähmung der Internetgiganten“
Prof. Dr. Rupprecht Podszun von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sprach von einem „kartellrechtlichen Schlüsselmoment“. Selten zuvor sei ein Update der Regelungen so erforderlich gewesen. Das bisherige kartellrechtliche Instrumentarium genüge für die „Zähmung der Internetgiganten“, wie er es ausdrückte, nicht.
Kritisch seien stets Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Kartellrechts zu sehen. Das gelte auch für neuerliche Anläufe zur Freistellung bestimmter Medienunternehmen. Im Bereich der Krankenhausfusionskontrolle solle eine Korrektur nicht über die Bindung an das Krankenhausrecht ohne Einbindung der Wettbewerbsbehörde erfolgen, sondern über die zu berücksichtigenden Umsätze.
„Wettbewerbsrecht braucht ein Update“
Dr. Anselm Rodenhausen von Zalando vertrat die Ansicht, die Bundesregierung komme mit dem Gesetzentwurf ihrer ambitionierten und notwendigen Zielsetzung, einen Ordnungsrahmen für die Digitalisierung und Globalisierung der Wirtschaft zu setzen, sehr nahe.
Das deutsche Wettbewerbsrecht brauche ein Update. Denn digitale Märkte folgten neuen Mechanismen. Sie erleichterten den Aufbau von Marktmacht und machten den Missbrauch von Marktmacht umso folgenschwerer. So fielen etwa große geographische Entfernungen weniger ins Gewicht. Im Online-Handel könnten Kunden theoretisch auch vom anderen Ende der Welt einkaufen.
Die Sicht der Automobilindustrie
Für Dr. Ralf Scheibach vom Verband der Automobilindustrie war es insbesondere fraglich, ob die Vorschläge zur Missbrauchsaufsicht und zur Fusionskontrolle für die zukünftige Positionierung der Automobilindustrie geeignet sind. Die Erstellung, Speicherung und Verarbeitung von technischen wie personenbezogenen Daten sei heute schon Kernbestandteil von Forschung und Entwicklung.
Die Nutzung der Datenwirtschaft bei Herstellung, Vertrieb und Nutzung von Kraftfahrzeugen stelle eine wesentliche Grundlage für die Wettbewerbsposition von Herstellern und Zulieferern künftig dar.
„Nutzung von Daten kann Wettbewerbsvorteile generieren“
Dr. Robby Riedel vom Deutscher Gewerkschaftsbund begrüßte die geplante Neujustierung der Missbrauchsaufsicht. Hervorzuheben sei, dass der Zugang zu Daten als ein Kriterium der Marktbeherrschung herangezogen werden solle. Die gezielte Nutzung von Daten könne Wettbewerbsvorteile generieren und nehme eine zusehends größere Bedeutung für Wertschöpfungsketten auch in der industriellen Produktion ein.
Unerwünschte Marktkonzentrations- und Monopolisierungstendenzen seien die Folge. Er verwies auf den horizontalen Interessenausgleich zwischen den Unternehmen. Nötig sei auch ein vertikaler Interessenausgleich zwischen Unternehmen und Beschäftigten.
Die Modernisierung der Missbrauchsaufsicht
Klaus Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßte das Vorhaben der Bundesregierung, das Wettbewerbsrecht an die Entwicklungen der digitalen Ökonomie anzupassen.
Die im Mittelpunkt stehende Modernisierung der Missbrauchsaufsicht mit ihren angestrebten Verschärfungen sei notwendig und zu begrüßen – ebenso wie die damit einhergehenden Regelungen und Durchsetzungsbefugnisse des Bundeskartellamts. Er machte klar, dass die praktische Umsetzung von Datenzugangsansprüchen stets im Einklang mit dem europäischen Datenschutzrecht stehen müsse.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung will mit ihrer Novelle des Wettbewerbsrechts die Kartellbehörden stärken und zugleich den veränderten Rahmenbedingungen durch die Digitalisierung gerecht werden (19/23492). Geändert würden Vorschriften vor allem bezüglich der Ermittlungsbefugnisse von Kartellbehörden, der Sanktionen für Kartellrechtsverstöße, Vorschriften zum gerichtlichen Bußgeldverfahren, Regelungen zum Kronzeugenprogramm für Kartellrechtsverstöße und Amtshilfe für andere Kartellbehörden.
Die Missbrauchsaufsicht werde „maßvoll“ modernisiert, um vor allem dem Marktmissbrauch durch digitale Plattformen etwas entgegensetzen zu können. Weiter sollen Verfahren beschleunigt werden. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die Wirtschaft unter dem Strich um etwa 325.000 Euro jährlich entlastet wird. Dem Bundeskartellamt stehe hingegen ein zusätzlicher jährlicher Erfüllungsaufwand in Höhe von etwa 1,75 Millionen Euro bevor.
Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion sieht Nachbesserungsbedarf bei der Gesetzesnovelle zum Wettbewerbsrecht. Bestimmungen in der Wettbewerbsaufsicht für digitale Plattformen und der Entwurf müssten dahingehend geändert werden, dass eine klare und scharfe Definition von digitalen Plattformen mit marktbeherrschender Stellung geschaffen und im Gesetzestext verdeutlicht wird, wodurch sich entsprechende Bestimmungen ausschließlich auf digitale Plattformunternehmen beziehen, erklären die Abgeordneten in ihrem Antrag (19/23688). Sperren für Unternehmen, die auf digitalen Plattformen tätig sein wollen, müssten begründet werden.
Zudem formulieren die Abgeordneten Regelungen zum Umgang mit Daten, die sie als praktikabel abseits des Kartellrechts erachten. Sie sollen für Unternehmen gelten, die auf digitalen Plattformen tätig sind. Eindringlich plädiert die Fraktion für ein europaweit abgestimmtes Vorgehen. „Wenn analoge Warenströme in Europa auf keine Grenzen stoßen sollen, dann muss selbiges auch für die digitale Wirtschaft gelten“, erklärt sie. Gerade der Klein- und Mittelstand in Deutschland sei oft nicht zu einem ebenbürtigen Wettbewerb in der Lage. Er müsse unterstützt werden im Bestreben, auf seinen Plattformen Daten zu erhalten, zu verarbeiten und auf andere Plattformen übertragen zu können.
Antrag der Linken
Die Fraktion Die Linke fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag (19/23698 neu) auf, schärfer gegen Marktmissbrauch von Digitalunternehmen vorzugehen. In einer Novelle des Wettbewerbsrechts müssten Maßnahmen festgehalten werden, mit denen der Nachweis einer Marktbeherrschung von Digitalkonzernen erleichtert wird. Außerdem müsse die Bundesregierung ein Plattformstrukturgesetz vorlegen, über das unter anderem die Selbstbegünstigung verboten und der Datenschutz sowie die Interoperabilität und Portabilität der Nutzerdaten sanktionsbewehrt garantiert werden.
Der bisherige Gesetzentwurf der Bundesregierung für eine Novelle des Wettbewerbsrechts geht der Linken nicht weit genug. Digitalkonzerne ließen sich so kaum wirkungsvoll regulieren. „Das Wettbewerbsrecht muss weiter verschärft und die notwendigen Ressourcen zur Durchsetzung bei den Aufsichtsbehörden und der Justiz deutlich erhöht werden“, begründen die Abgeordneten ihren Vorstoß.
Erster Antrag der Grünen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert die Bundesregierung in ihrem ersten Antrag (19/23701) zur Stärkung von Wettbewerb und Verbraucherrechten auf digitalen Märkten auf. Dazu sollten die im Paragrafen 19a Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelungstatbestände für Unternehmen, bei denen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb festgestellt wurde, als wettbewerbliche Verhaltensweisen grundsätzlich untersagt werden.
So würde das mehrstufige Verfahren zur Regulierung der großen digitalen Plattformen vereinfacht und beschleunigt, um innovativen Wettbewerb und die Verfügungsgewalt der Nutzer über ihre eigenen Daten zu stärken. Den Nachweis, dass dies technisch oder datenschutzrechtlich nicht hergestellt werden kann, sollten die Anbieter erbringen, so die Grünen. Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb sollten sämtliche Erwerbsvorgänge mit hinreichendem Bezug zum Bundesgebiet zur Fusionskontrolle anmelden müssen.
Zur Begründung verweist die Fraktion auf die komplizierte Situation auf digitalen Märkten: Häufig etwa seien Angebote von Plattformen nicht kompatibel, dadurch könnten einzelne Unternehmen Preise diktieren. Einzelne Firmen missbrauchten zudem ihre Marktmacht, um Daten- oder Verbraucherschutzbestimmungen zu umgehen.
Zweiter Antrag der Grünen
In ihrem zweiten Antrag (19/23705) fordern die Grünen die Bundesregierung auf, bei der Novelle des Wettbewerbsrechts Verbraucherschutzaspekte stärker zu berücksichtigen. Beim Entwurf zur zehnten derartigen Novelle sei der Verbraucherschutz bislang eine der großen Leerstellen, erklären die Abgeordneten. Dabei habe eine vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie eine Stärkung des behördlichen Verbraucherschutzes empfohlen.
Konkret fordern die Abgeordneten, die auf den Verbraucherschutz bezogenen Kompetenzen des Bundeskartellamts auszuweiten. Die Behörde solle befugt werden, bei erheblichen, dauerhaften oder wiederholten Verstößen gegen Normen aus dem wirtschaftlichen Verbraucherrecht analog zu Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht zu ermitteln und zu sanktionieren. Zudem müsse klargestellt werden, dass Kartellbehörden beziehungsweise Verbände keinen Nachweis über vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten des Unternehmens erbringen müssen.
Indem der institutionelle Verbraucherschutz finanziell gestärkt wird, könnten Schäden für Verbraucher kompensiert werden. „Die Kompensation soll in einem angemessenen Verhältnis zu den verhängten Kartellbußen und der erfolgten Vorteilsabschöpfung stehen, die in den Bundeshaushalt eingeflossen sind“, heißt es in dem Antrag. (fla/pez/25.11.2020)