Kulturstaatsministerin Monika Grütters plädiert für Staatsziel Kultur im Grundgesetz / Interview mit der Zeitung „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 15. Oktober 2018)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) plädiert für eine Aufnahme eines Staatsziels Kultur ins Grundgesetz. „Im Koalitionsvertrag haben wir uns wegen des Einwandes einiger Länder nicht darauf verständigen können. Aber ich sage: Es wäre eine Selbstverpflichtung des Staates, die die fundamentale Bedeutung der Kultur für das Gemeinwesen betont“, sagte Grütters im Interview mit „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 15. Oktober 2018). Einer Abschaffung des Kooperationsverbotes in der Kulturpolitik erteilte die Staatsministerin allerdings eine Absage.
Anlässlich des bevorstehenden 20. Jahrestages der Einsetzung des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) zog Grütters eine positive Bilanz zum Verhältnis von Bund und Ländern in der Kulturpolitik. Die Institution BKM werde von den Ländern „längst nicht mehr abgelehnt, eher in einer Mischung aus ein bisschen Eifersucht und Wohlwollen betrachtet. Grütters erneuerte im Interview ihre Überzeugung, dass das Brandenburger Tor als Freiheits- und Einheitsdenkmal hätte aufgewertet werden sollen. “Es ist in der gesamten Welt das Sinnbild für die Teilung Deutschlands und die wiedergewonnene Einheit. Es ist genau das Symbol für das, was wir mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal ausdrücken wollen„, sagte Grütters.
Das Interview im Wortlaut:
Frau Grütters, vor 20 Jahren wurde das Amt der Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) geschaffen – begleitet von den argwöhnischen Blicken mancher Ministerpräsidenten, die die Kulturhoheit der Länder bedroht sahen. Wie zur Bestätigung verwies Michael Naumann (SPD) als erster Kulturstaatsminister den Kulturföderalismus in den Bereich der “Verfassungsfolklore„. Ist dieser Konflikt inzwischen beigelegt?
Michael Naumanns “Verfassungsfolklore„ war eine spitze Antwort auf die Kritik der Länder am BKM. Heute sprechen wir vom kooperativen Kulturföderalismus, der die föderalen Strukturen nicht nur respektiert, sondern auch als Gewinn ansieht. Von den Ländern wird die Institution BKM längst nicht mehr abgelehnt, eher in einer Mischung aus ein bisschen Eifersucht und Wohlwollen betrachtet. Um uns besser in unseren Vorhaben zu ergänzen, habe ich das von meinem Vorgänger Bernd Neumann (CDU) initiierte kulturpolitische Spitzengespräch mit den Kulturministern der Länder noch weiter ausgebaut. Wir treffen uns nun regelmäßig zweimal im Jahr. Daran nehmen jetzt auch die Vertreter der Kommunen und der Landkreise sowie die Kulturstiftungen des Bundes und der Länder teil. Das ist gelebter Kulturföderalismus.
In der Hochschulpolitik ist das sogenannte Kooperationsverbot aufgeweicht worden. Und derzeit berät der Bundestag über eine Grundgesetzänderung, die es dem Bund ermöglichen soll, verstärkt in die Bildungsinfrastruktur der Ländern und Kommunen zu investieren. Wünschen Sie sich in der Kulturpolitik Vergleichbares?
Ich bin weiterhin für die Aufnahme des Staatsziels Kultur ins Grundgesetz. Im Koalitionsvertrag haben wir uns wegen des Einwandes einiger Länder nicht darauf verständigen können. Aber ich sage: Es wäre eine Selbstverpflichtung des Staates, die die fundamentale Bedeutung der Kultur für das Gemeinwesen betont. Manchmal wünsche ich mir aber auch, dass wir unkomplizierter und pragmatischer kooperieren könnten.
Mit der Forderung nach einem Staatsziel Kultur haben Sie die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen auf Ihrer Seite...
…Teile der CDU und der SPD auch.
Linke und Grüne würden aber auch gerne das Amt der BKM in ein Bundesministerium umwandeln, das dann auch für die Auswärtige Kulturpolitik zuständig sein könnte. Wie stehen Sie dazu?
Fakt ist, dass die Kulturpolitik mit dem Amt der BKM in den vergangenen 20 Jahren stetig an Bedeutung gewonnen hat. Unsere Aufgaben sind gewachsen, unser Etat ist gestiegen. Insofern kann man auf die Idee kommen, mittelfristig ein eigenständiges Ministerium zu schaffen. Für die zu bewältigenden Herausforderungen ist es aber erst einmal zweitrangig, welches Schild an der Eingangstür hängt. Die haben wir ja auch in der bisherigen Organisationsform gut gemeistert. Persönlich kann ich sagen, dass das Amt davon profitiert, dass es im Kanzleramt verortet ist, weil dadurch unsere Themen zum Beispiel in den Haushaltsberatungen ganz am Anfang der Debatte und noch vor den Einzelressorts beraten werden. Die Anbindung ans Kanzleramt hat die Kultur quasi an die Pole-Position der Politik hier gesetzt. Auch dadurch wird der gesellschaftliche Stellenwert der Kultur betont. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Regierungschefs wie im Fall von Angela Merkel und Gerhard Schröder ein großes Interesse an der Kultur und an der Kulturpolitik aufbringen.
Immer wieder wird die Kritik laut, die Kulturförderung durch die BKM konzentriere sich einseitig auf Berlin und Sie als Berlinerin sowie Vorsitzende des Berliner CDU-Landesverbandes hätten auch kein Interesse daran, dies zu ändern. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?
Erstens bin ich in Münster aufgewachsen. Zweitens leitet sich unsere Kulturförderung nicht aus dem Umstand ab, dass ich – wie andere Bundestagsabgeordnete auch – meinen Wahlkreis in Berlin habe. Und CDU-Landesvorsitzende bin ich übrigens erst seit Dezember 2016, Kulturstaatsministerin aber bereits seit Dezember 2013. Die Kulturförderung des Bundes ist in mehrfacher Hinsicht im Grundgesetz verankert. Dort steht unter anderem, dass die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt Aufgabe des Bundes ist. Das galt - wenn auch ungeschrieben - bereits für Bonn. Deutschland als Kulturnation ist sich der Bedeutung der Hauptstadt als Visitenkarte sehr bewusst. Das ist in anderen europäischen Ländern auch nicht anders. Auch Italien und Frankreich werden gerne daran gemessen, was man in Rom und Paris sieht. Nicht nur Bonn wäre mit der Rolle als Hauptstadt völlig überfordert gewesen, wenn der Bund die Kultur nicht kräftig mitfinanziert hätte.
In Berlin kommt noch ein weiterer Umstand hinzu: Hier wird ein gewaltiges nationales historisches Erbe mitverwaltet. Das betrifft die positiven wie die abgründigen Kapitel unserer Geschichte. Damit wäre jeder Stadtstaat mit 3,5 Millionen Einwohnern schlicht überfordert. Die Finanzierung von Kultureinrichtungen in Berlin durch den Bund reicht von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit der Museumsinsel bis hin zu vielen authentischen Gedenkstätten wie dem Haus der Wannsee-Konferenz, der Topographie des Terrors, dem Holocaust-Mahnmal oder zur Stasi-Unterlagen-Behörde. Hinzu kommen Bundeseinrichtungen wie das Jüdische Museum, die Akademie der Künste oder die Deutsche Kinemathek. All das macht ein Volumen von rund 40 Prozent meines Haushaltes aus, hat aber nicht unbedingt mit der Begeisterung der Person Monika Grütters für ihre Wahlheimat Berlin zu tun. Das war auch schon vor meiner Amtszeit so.
Eines ihrer großen Projekte in der vergangenen Legislaturperiode war das Kulturgutschutzgesetz, das von wütenden Protesten des Kunsthandels und auch sehr persönlicher Kritik begleitet wurde. Waren Sie überrascht von der Vehemenz?
Mit dem Ergebnis des Gesetzes jedenfalls bin ich sehr zufrieden. Ich will aber nicht verhehlen, dass mich manche Proteste getroffen haben. Vor allem aber war ich über den Verlauf der Debatte enttäuscht. Der teils bösartige Unterton hat niemandem genützt, auch nicht dem Kunsthandel. Es ging damals um die Frage, welchen Wert und welchen Preis Kultur hat. Dieser Preis auf dem Kunstmarkt ist das eine, der gesamtgesellschaftliche Wert eines Kulturgutes, der etwas mit gesamtgesellschaftlicher Identität zu tun hat, ist etwas anderes. Und mitunter übersteigt dieser Wert den Marktpreis. Dass man diese beiden Ebenen miteinander verhandeln können muss und wir das im Übrigen auch jahrzehntelang friedlich getan haben, ist in der Debatte unter die Räder gekommen.
Die Heftigkeit der Auseinandersetzung hatte nach meiner Einschätzung drei Gründe: Zum einen litt der Kunsthandel bereits unter der gestiegenen Mehrwertsteuer, die Deutschland gemäß europäischen Rechts zuvor erhöhen musste. Das Kulturgutschutzgesetz wurde als weitere Belastung empfunden. Daraus resultierte schließlich eine regelrechte Kampagne einiger Akteure gegen das Gesetz, an der sich auch einzelne Medien beteiligt haben. Nach zwei Jahren hat sich gezeigt, dass wir viele der geäußerten Vorbehalte entkräften konnten. Es ist nicht erkennbar, dass das Gesetz dem Handel relevant schadet. Im Gegenteil, es nützt der Kultur.
Woran machen Sie das konkret fest?
Wir stellen derzeit die Ergebnisse der ersten Evaluation zusammen, die noch in diesem Monat veröffentlicht werden sollen. Die erste Bilanz, die wir jetzt zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zusammenstellen, wird zeigen: Bislang gab es lediglich fünf Eintragungen in die Verzeichnisse national wertvollen Kulturguts der Länder für die bestimmte Ausfuhrbeschränkungen gelten. Die Kritiker des Gesetzes hatten ja befürchtet, tausende von Kulturgütern in Privatbesitz würden jährlich in diese Verzeichnisse eingetragen, um eine Ausfuhr zu verhindern. Das war aber nie unsere Absicht und ist auch nicht die Praxis.
Die Antragszahlen für Ausfuhrgenehmigungen bewegen sich exakt im Bereich des von uns Erwarteten, von Antragszahlen im prophezeiten sechsstelligen Bereich sind wir Lichtjahre entfernt. Für die Museen ist das Gesetz eine riesige deutliche bürokratische Entlastung, da sie für ihren internationalen Leihverkehr erstmals Dauergenehmigungen erhalten können.
Auf EU-Ebene wird derzeit über eine neue Verordnung über die Einfuhr von Kulturgütern aus Drittstaaten verhandelt. Einen ersten Entwurf der Kommission haben Sie abgelehnt. Warum?
Die EU verfügt über einheitliche Ausfuhrbestimmungen für Kulturgut, bislang aber über keine einheitlichen Einfuhrbestimmungen. Die wenigen bestehenden EU-Einfuhrregeln beziehen sich nur auf Kulturgut aus Bürgerkriegsländern, namentlich Syrien und Irak.
In einem Markt ohne Binnengrenzen braucht man für einen effektiven Kampf gegen den Handel mit illegal erlangten Kulturgütern gemeinsame Regeln. Deshalb unterstütze ich das Ansinnen, analog zu den Regeln für die Ausfuhr auch allgemeine Regeln für die Einfuhr zu entwickeln. Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr in für ihre Verhältnisse kurzer Zeit einen Entwurf vorgelegt. Nur erschien dieser leider an einigen Punkten unausgereift. Unser Ziel ist es, Bestimmungen zu schaffen, die so streng wie nötig sind, um den leider weltweit verbreiteten Handel mit illegal erlangten Kulturgütern in der EU effektiv einzudämmen, die aber im Hinblick auf den seriösen Handel diesem nicht unangemessene Belastungen auferlegen. Grundlage sollte - wie auch beim Kulturgutschutzgesetz - die Frage sein, ob das Kulturgut seinen Herkunftsstaat rechtmäßig verlassen hat.
Ihr Amtsantritt 2013 fiel zusammen mit dem Schwabinger Kunstfund, der weltweit für Schlagzeilen sorgte. Rund 1.500 Kunstwerke standen im Verdacht, NS-Raubkunst zu sein. Im Zuge der von Ihnen initiierten Überprüfung der Provenienz wurden bislang vier von sechs als Raubkunst eingestufte Werke an die Erben der rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben. Ist der Fall Gurlitt damit auch politisch abgeschlossen?
Die politische Bedeutung des Falls ist immer noch so groß, wie sie damals spontan wahrgenommen wurde. Wenn bei einem Nachkommen eines von vier Kunsthändlern Hitlers, die seine perfide Kunstpolitik – Stichworte: Raubkunst, Entartete Kunst – umsetzen sollten, so viele Kunstwerke gefunden werden, dann ist und bleibt das ein Politikum. Obendrein ein sehr delikates, allein schon wegen der hohen und nachvollziehbaren Erwartungen bei den Nachkommen der während der NS-Zeit bestohlenen jüdischen Eigentümer vieler Kunstwerke. Deshalb haben wir die “Task Force„ eingesetzt, um mit internationaler Beteiligung eine möglichst schnelle, umfassende und transparente Aufklärung des Falls zu gewährleisten. Eine solche Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern hatte es bei diesem Thema vorher noch nie gegeben. Es mussten erst einmal international einheitliche Darstellungsformen für die Ergebnisse der Provenienzforschung geschaffen werden – und dies vor dem Hintergrund einer immensen Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit, die schnell Ergebnisse sehen wollte. Mir persönlich ging und geht es vor allem darum, das Vertrauen bei den vor allem jüdischen Opfern des Kunstraubs und ihren Nachfahren nicht zu beschädigen, das wir uns in den Jahren seit der Washingtoner Konferenz mit Restitutionen von Raubkunst, der Einrichtung der Beratenden Kommission und dem regelmäßigen Monitoring der Bundesmuseen mühsam und ehrlich erarbeitet hatten. Wenn heute moniert wird, dass Millionenbeträge für die Erforschung bei nur vier bisher erfolgten Rückgaben ausgegeben wurden, dann kann ich nur sagen: dazu gab es keine Alternative.
Und es hat sich gelohnt. Heute verfügen wir über Lehrstühle zur Provenienzforschung und haben das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, das seine Entstehung diesem spektakulären Fall verdankt. Der Fall hat das öffentliche Bewusstsein für die Thematik enorm geschärft. Man darf nicht vergessen, dass dies weltweit der erste Fall war, in dem es um eine private Kunstsammlung ging.
Im Gegensatz zu staatlichen Einrichtungen war Cornelius Gurlitt nicht durch die Washingtoner Erklärung gebunden. Er hat sich dieser freiwillig unterworfen. Daran sollten sich auch andere private Sammler ein Beispiel nehmen.
Nach schier endlosen Diskussionen und Verzögerungen wird nun doch das Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin errichtet. Tun sich die Deutschen im Umgang mit den positiven Kapiteln ihrer Geschichte schwerer als mit den dunklen?
Das ist offensichtlich so. Aber nur zur Erinnerung: Auch um die Gestaltung des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas hat es eine jahrelange Debatte gegeben. Natürlich tun wir uns nach zwei Diktaturen im vergangenen Jahrhundert schwer, uns selbstbewusst zu den Höhepunkten unserer Geschichte zu bekennen. Heute wird aber eben auch anders über Denkmäler entschieden, als dies Fürsten vor 100 Jahren taten. Kanzler Helmut Kohl (CDU) war der letzte Regierungschef, der mit seiner Entscheidung für die “Pietà„ von Käthe Kollwitz in der Neuen Wache in Berlin eine solche Frage quasi im Alleingang entschieden hat. Das ist heute undenkbar.
Sie haben sich selbst recht skeptisch gegenüber dem Einheitsdenkmal gezeigt und stattdessen das Brandenburger Tor ins Spiel gebracht.
Ja, zum Vorschlag Brandenburger Tor stehe ich nach wie vor. Dieses Symbol ist sukzessive als Kulisse für Rummel und andere Veranstaltungen seiner Würde beraubt worden. Aber es ist in der gesamten Welt das Sinnbild für die Teilung Deutschlands und die wiedergewonnene Einheit. Es ist genau das Symbol für das, was wir mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal ausdrücken wollen. Deshalb wäre es naheliegend gewesen, es in diesem Sinne aufzuwerten. Aber die Entscheidung ist im Bundestag anders ausgefallen. Und nachdem der Haushaltsausschuss die Mittel jetzt endlich freigegeben hat, hoffe ich, dass wir das Freiheits- und Einheitsdenkmal wenigstens pünktlich zum 30. Jahrestag der Einheit fertigstellen können. Das sind wir nicht zuletzt den vielen Menschen schuldig, die im Herbst 1989 in der DDR mutig gegen die SED-Diktatur aufbegehrt und dieses System unblutig besiegt haben.