Petra Pau: Zumutung für den AmtsträgerInterview mit der Zeitung „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 30. April 2018) – bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau (Die Linke), will die Stelle eines Antisemitismus-Beauftragten unter die Obhut des Parlamentes stellen. Pau sagte in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 30. April), die jetzige Organisationsform sei „schwierig und letztlich eine Zumutung für den Amtsträger“.
Der neu installierte Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sitzt derzeit im Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat. Pau verweist auf die breit gefächerte Aufgabe Kleins: „Der neue Beauftragte ist immerhin für die Förderung des jüdischen Lebens in all seiner Vielfalt zuständig.“ Gleichzeitig soll er sich um die Bekämpfung des Antisemitismus kümmern. „Wie soll das denn gehen?“, fragt Pau.
Im Vorfeld der Bundestagsdebatte zur „Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit“ an diesem Freitag (27. April) plädiert sie stattdessen für einen Beauftragten für Menschenrechte und Demokratie, der im Bundestag angesiedelt sein sollte.
Das Interview im Wortlaut:
Frau Pau, regelmäßig fragen Sie die Bundesregierung nach den behördlich erfassten antisemitischen Straftaten. Wie beurteilen Sie die Lage derzeit?
Petra Pau: Wir haben über die Jahre konstant einen Besorgnis erregenden Stand bei diesen Straftaten, von Sachbeschädigungen über Diffamierungen bis hin zu körperlichen Angriffen. Vor allem gibt es einen eklatanten Anstieg von Attacken gegenüber Menschen, die sich als Juden zu erkennen geben. Außerdem macht mir eine deutliche Zunahme von antisemitischer Gewalt an den Schulen Sorge. Besonders schwierig ist es, wenn dort für die Opfer auch noch Sonderregelungen eingeführt werden. Das bestraft die Opfer ein zweites Mal und ermuntert die Täter, weiter zu mobben. Da frage ich mich schon, was in unserer Gesellschaft schiefläuft.
Zum Beispiel könnte es ja sein, dass über das Judentum in den Schulen nicht ausreichend gesprochen wird.
Petra Pau: Das ist gewiss so. In der Regel kommen Juden im Unterricht erst mit der Jahreszahl 1933 vor. Das blendet das in vielerlei Hinsicht blühende jüdische Leben in Deutschland in den Jahrhunderten davor aus. Die Geschichte des Judentums wird im Unterricht reduziert auf dessen Vernichtung. Das ist fatal. Oder nehmen Sie diesen unfassbaren Skandal bei der Echo-Preisverleihung. Mir hat neulich ein Jugendlicher berichtet, sie behandelten zwar gerade den Holocaust in der Schule. Sein jüngerer Bruder sei aber erst 12, der habe noch nie etwas vom Nationalsozialismus und der Judenverfolgung gehört. Aber diese angeblich preiswürdige Musik der Rapper mit dem judenfeindlichen Texten, die höre sein Bruder. Da muss man sich doch nicht wundern, wenn rechtsextreme Rattenfänger leichtes Spiel haben.
Hat sich die Situation durch die Zuwanderung von Flüchtlingen aus dem arabischen Raum verschlechtert?
Petra Pau: Zu uns kommen Menschen aus Ländern, in denen die Vernichtung Israels Staatsdoktrin ist. Natürlich lassen diese Menschen mit dem Grenzübertritt nicht alles hinter sich, was sie bisher geprägt hat. Deshalb gibt es Antisemitismus, der seine Wurzeln im ungelösten Nahost-Konflikt hat. Aber: Die Mehrzahl der antisemitischen Straftaten wird nach wie vor von deutschen Rechtsextremisten verübt. Wer das ausblendet, verkennt das wahre Problem.
Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagt inzwischen ganz unverblümt, es sei wieder problematisch, sich in deutschen Großstädten offen als Jude zu zeigen. Befürchten Sie, dass Juden aus diesem Grund Deutschland verlassen könnten?
Petra Pau: Ja, diese europaweite Entwicklung macht auch um Deutschland keinen Bogen. Am augenfälligsten war das Problem bisher in Frankreich. Zunehmend fragen sich Juden: Wie kann ich selbstbewusst in dieser Gesellschaft leben, welchen Platz hat mein Glaube, wo ist hier die Zukunft für mich und meine Kinder? Wir müssen in Kindergärten, Schulen und eigentlich überall, wo Menschen zusammenkommen, auf den Wert der Menschenrechte und auf die Grundsätze unserer Demokratie hinweisen. Freiheit, auch die der Religion, ist nicht verhandelbar. Das ist ein unumstößlicher Grundsatz.
Kann dabei das neu geschaffene Amt des Antisemitismus-Beauftragten helfen oder ist das eher Kosmetik?
Petra Pau: Seit Jahren plädiere ich dafür, dass endlich eine Person beauftragt wird, Menschenrechte und Demokratie in unserem Land zu stärken. Diese Stelle gehört in den Bundestag. Einen Antisemitismus-Beauftragten habe ich für meine Fraktion zwar begrüßt, aber auch dafür gestritten, dass dieser ein Beauftragter des Parlaments wird. Ich schätze den neuen Amtsinhaber Felix Klein sehr. Wir haben schon viel und gut zusammengearbeitet. Aber die Organisationsform, die jetzt entstanden ist, nämlich ein Beauftragter im Ministerium für Inneres, Heimat und Bau, noch dazu ohne nennenswerten Apparat, ist schwierig und letztlich eine Zumutung für den Amtsträger.
Warum?
Petra Pau: Der neue Beauftragte ist immerhin für die Förderung des jüdischen Lebens in all seiner Vielfalt zuständig. Und gleichzeitig soll er sich auch noch um die Bekämpfung des Antisemitismus kümmern. Wie soll das denn gehen? Ich hoffe, ich kann Parlamentarier auch aus anderen Fraktionen überzeugen, dass das besser und effektiver organisiert werden muss.
Wie steht es denn um die Religionsfreiheit von Muslimen in Deutschland?
Petra Pau: Ein Großteil der Straftaten gegen Muslime ist rechtsextremistisch und rassistisch geprägt. Das gilt zum Beispiel für Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Wir verzeichnen eine deutliche Zunahme an Islam-Feindlichkeit. Und wir haben ja inzwischen auch eine Partei, die Muslime in Deutschland und damit den Islam pauschal ablehnen.
Sie meinen die AfD.
Petra Pau: Ja, sicher. Und zur Wahrheit gehört auch: Vordergründung geht es dieser Partei zwar um die Ablehnung des Islams. Wer genauer hinsieht, stellt aber schnell fest, dass unterschwellig in der Argumentation auch immer Judenfeindlichkeit mitschwingt. Das ermuntert Menschen, gegen diese Minderheiten Gewalt anzuwenden.
Gängiges Argument von Rechtspopulisten ist, der organisierte Islam könne sich nicht auf Religionsfreiheit berufen, weil Länder mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung diese Toleranz oft selbst nicht praktizierten.
Petra Pau: Das ist grober Unfug. Es gibt Länder, da ist der Islam Staatsreligion. Daraus werden dann die politischen Spielregeln abgeleitet. Das lehnen wir ab. Bei uns erlebe ich hingegen sehr viele Muslime, die ihren Glauben selbstbewusst leben und gleichzeitig mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Für diese Leute stehen die Verfassungsregeln in jedem Fall über den religiösen Regeln und deren Auslegung. Die würden doch nie auf Idee kommen, unsere Grundsätze von Recht und Gesetz in Frage zu stellen.
Sollte der Staat Kindern mit Blick auf die Religionsmündigkeit das Tragen religiöser Kleidungsstücke, wie etwa das Kopftuch, bis zum Alter von 14 Jahren verbieten?
Petra Pau: Da ist meine Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. Ich glaube, mit einem Verbot von Kopftüchern sind keine Probleme zu lösen, die in den Köpfen stecken. Aber darüber werden wir in meiner Partei demnächst noch ausführlich diskutieren.
Um bei religiösen Symbolen zu bleiben: War der politische Kompromiss, der bei der Beschneidung von Jungen gefunden wurde, angemessen?
Petra Pau: Ich habe seinerzeit dafür gestimmt. Also ja: Der Kompromiss war aus meiner Sicht angemessen.
Christen sind die Religionsgruppe, die weltweit am meisten verfolgt wird. Kommt dieser Umstand in den Debatten zur Religionsfreiheit zu kurz?
Petra Pau: Wenn ich höre, dass Menschen anderen Glaubens, die nach Deutschland geflohen und zum Christentum konvertiert sind, das nur getan hätten, um sich einen Aufenthaltsstatus zu erschleichen, ist unser Eintreten für bedrohte Christen im Ausland nicht besonders glaubwürdig. Denn zum Schutz von verfolgten Religionsgruppen gehört auch das Vorleben von Toleranz. Und das fängt vor der eigenen Haustür an. Gegenüber allen Religionsgruppen.