Sachverständige fordern Munitionsbergung in Ost- und Nordsee
Berlin: (hib/CHB) Sachverständige haben dazu aufgefordert, möglichst bald mit der Bergung der schätzungsweise 1,6 Millionen Tonnen Munitionsaltlasten in der deutschen Ost- und Nordsee zu beginnen. Wegen der zunehmenden Korrosion wachse die von der in den Meeren versenkten Munition ausgehende Gefahr, hieß es in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit am Montag. Dabei begrüßten die Sachverständigen in der von der Ausschussvorsitzenden Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) geleiteten Sitzung einen gemeinsamen Antrag (19/26339) der Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Munitionsaltlasten in den Meeren bergen und umweltverträglich vernichten“.
In dem Antrag fordern die beiden Fraktionen die Bundesregierung auf, eine Strategie für die vollständige Bergung und umweltverträgliche Vernichtung von Munitionsaltlasten zu entwickeln. Dabei soll die Bundesregierung nach dem Willen der Antragsteller eine gemeinsam getragene Institution schaffen, die die Räumung der Altlasten koordiniert. Außerdem soll sie die Entwicklung moderner und umweltverträglicher Räumtechnologien vorantreiben und noch 2021 in der Ostsee ein entsprechendes Pilotprojekt initiieren.
Jens Greinert vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel unterstützte alle im Antrag aufgeführten Forderungen. Es sei dringend nötig, eine verantwortliche Stelle zu etablieren und in den Munitionsversenkungsgebieten eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Noch seien die Munitionsobjekte einigermaßen intakt; wegen der fortschreitenden Korrosion werde es aber in Zukunft vermehrt zur Freisetzung von Schadstoffen kommen. In der Ostsee liege die Munition deutlich sichtbar auf dem Meeresboden, während sie in der Nordsee vornehmlich versandet sei, erläuterte Greinert.
Aus diesem Grund sei es empfehlenswert, mit der Bergung in der Ostsee zu beginnen, erläuterte Peter Menzel vom Digital Ocean Lab des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung. Er wies darauf hin, dass bei den Unternehmen die nötige Expertise zur Bergung vorhanden sei. Die Unternehmen bräuchten jetzt ein klares Signal, dass Qualitätskriterien eingeführt würden und die Bergung in nationaler Hand bleibe.
Die Unternehmen hätten in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht, bestätigte Jan Kölbel, der seit 30 Jahren als Kampfmittelräumer und Berater tätig ist. Heute erfolge die Bergung zum großen Teil durch ferngesteuerte Systeme. „Nord- und Ostsee sind große Unterwasserschrottplätze“, stellte Kölbel fest. Dabei könne man die Objekte im Meer zwar finden, aber aus Distanz nicht eindeutig als Kampfmittel oder anderweitigen Schrott identifizieren. Deshalb sei weitere Forschung nötig.
Von der Munition in Nord- und Ostsee gingen vielfältige Gefahren für Mensch und Umwelt aus, sagte Claus Böttcher von der Sonderstelle Munition im Meer des Umweltministeriums des Landes Schleswig-Holstein. Er warf einen Rückblick auf den Umgang mit Munitionsaltlasten und wies darauf hin, dass erste Untersuchungsberichte zur Versenkung von chemischer Kampfstoffmunition bereits 1969/71 vorgelegt wurden.
Auf die Folgen der im Meer versenkten Kriegsmunition auf das Ökosystem, die Nahrungskette und damit die menschliche Gesundheit ging Edmund Maser vom Institut für Toxikologie und Pharmakologie für Naturwissenschaftler des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein ein. Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Konzentration von Explosivstoffen in Miesmuscheln umso höher sei, je näher diese sich an versenkten Minen befunden hätten. Diese Explosivstoffe seien toxisch und krebserregend und könnten über die marine Nahrungskette den Menschen gefährden. Deswegen müsse mit der Räumung sofort begonnen werden.
Vom Boden der Ostsee drohe eine ökologische Katastrophe auszugehen, sagte Mikhail Maistrenko von der Russischen Staatlichen Hydrometeorologischen Universität. Jann Wendt vom Kieler Softwareunternehmen Egeos GmbH berichtete über die Möglichkeiten, mithilfe von Künstlicher Intelligenz historische Dokumente über die Munitionsversenkung auszuwerten. Daraus ergäben sich Ansatzpunkte, wo man mit der Suche anfangen müsse.
„Es gilt, jetzt zu handeln. Wir müssen jetzt beginnen, die Munition zu bergen, denn sie rostet“, betonte Jens Sternheim, Leitender Berater der Munition Clearance Week des Landes Schleswig-Holstein. Auch er unterstützte den Antrag der Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen.
Für den Aufbau eines Kompetenzzentrums Munition im Meer und die Einrichtung eines mit mindestens 100 Millionen Euro ausgestatteten Finanzierungsfonds sprach sich Kim Cornelius Detloff vom Naturschutzbund Deutschland aus. Er wies zudem darauf hin, dass der Forschungs- und Technologiestandort Deutschland von verstärkten Anstrengungen zur sprengungsfreien Räumung von Munitionsaltlasten profitieren könne.