Veranstaltungsbranche fürchtet den Ruin
Berlin: (hib/WID) Die Auswirkungen der Coronakrise haben unter den Unternehmen des Kultur- und Veranstaltungssektors weitaus größere Verheerungen angerichtet als in der übrigen Wirtschaft. In einer öffentlichen Anhörung des Tourismusausschusses war am Mittwoch die Rede von Umsatzeinbußen von bis zu 100 Prozent in diesem Jahr und einem „Sonderopfer“, das die Politik der Branche auferlegt habe. Gewarnt wurde vor den Folgen der Einschränkungen des Veranstaltungslebens für die psychische Gesundheit der Bevölkerung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Eventbranche sei nicht nur ein Motor etwa für Einzelhandel und Dienstleister, sondern stehe auch für Lebensfreude, Kultur und Unterhaltung.
In der Anhörung warnte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Eventverbandes Borhen Azzouz vor einer „Insolvenzwelle, deren Ausmaße wir noch nicht absehen können“. Zu befürchten sei auch ein „massiver Fachkräftemangel“. Viele qualifizierte Beschäftigte kehrten in ihrer Not der Branche den Rücken und würden voraussichtlich nie mehr zurückkehren. Die Umsatzeinbußen der Mitglieder seines Verbandes bezifferte Azzouz auf 35 Millionen Euro seit März diesen Jahres. „Wir wollen nicht nur fordern, sondern aktiv unterstützen. Die Kultur- und Veranstaltungsbranche ist systemrelevant“, sagte Azzouz. Sobald die Inzidenzzahlen fielen, müssten „professionell geplante Veranstaltungen“ wieder möglich sein.
Der Vorsitzende des Verbands der Musikspielstätten „LiveKomm“, Axel Ballreich, hob die Bedeutung der über 600 Mitgliedsunternehmen seiner Organisation für die Gesamtwirtschaft, insbesondere den Tourismus, hervor. Allein im vergangenen Jahr seien 40 von insgesamt 600 Millionen Übernachtungen in Deutschland auf „Musik- und Eventreisen“ entfallen, was Einnahmen von 13 Milliarden Euro generiert habe. Dagegen sei seit März diesen Jahres der Umsatz um 95 bis 100 Prozent gefallen. Lediglich die Spielstätten, die im Sommer Veranstaltungen im Freien hätten anbieten könne, seien etwas besser davongekommen; ihr Verlust belaufe sich auf etwa 80 Prozent. „Unser Geschäftsmodell beruht auf Enge, Schwitzen, Zusammenhalt. Wir werden die letzten sein, die wieder in den Normalbetrieb gehen dürfen“, sagte Ballreich.
Von einer Situation, die „in der Tat dramatisch“ sei, sprach auch die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (DEHOGA), Ingrid Hartges, die den Umsatzrückgang ihrer Mitgliedsunternehmen zwischen März und Ende November 2020 auf 41 Prozent bezifferte. Beunruhigend sei insbesondere, dass die Zahl der neuen Ausbildungsverträge in diesem Jahr um 20 Prozent eingebrochen sei. „Um die allgemeine Wirtschaft aufrechtzuerhalten und damit die Schulen offen bleiben können, wird unserer Branche geschlossen eine Sonderopferrolle zugemutet. Dies gilt es zu entschädigen“, forderte Hartges. Scharf kritisierte sie große Immobilienfonds, die keinerlei Entgegenkommen zeigten, um die Mietlasten der Unternehmen zu erleichtern.
Auch Jörn Holtmeier, Geschäftsführer des Ausstellungs- und Messeausschusses der Deutschen Wirtschaft, betonte die Bedeutung seiner Branche für die Gesamtwirtschaft und zeichnete ein düsteres Bild. In normalen Zeiten sei Deutschland der weltweit führende Messestandort, der allein ein Drittel aller internationalen Veranstaltungen ausrichte. In diesem Jahr seien 75 Prozent aller Messen abgesagt oder verschoben worden. Von rund 28 Milliarden Euro Umsatz, die die Branche üblicherweise erziele, seien 22 Milliarden entfallen. Von 231.000 Arbeitsplätzen seien mehr als 185.000 „akut gefährdet“. Als „verheerendes Signal“ bezeichnete es Holtmeier, dass Kanzlerin und Länderchefs in ihrer Lockdown-Runde am 28. Oktober die Messebranche dem Freizeitsektor zugeschlagen hätten. „Messen sind keine Freizeitgestaltung“, betonte er.
Von einem hundertprozentigen Umsatzverlust sprach auch Ilona Jarabek, Präsidentin des Europäischen Verbandes der Veranstaltungs-Centren, der nach ihren Worten 650 Unternehmen vertritt. Sie warnte vor einem „gravierenden Schaden, der in Euro gar nicht zu beziffern ist, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, wenn der Lockdown andauere, und beschwerte sich ebenfalls darüber, dass die Politik in ihrer Schließungsverfügung Unternehmen und Institutionen ganz unterschiedlichen Charakters in einen Topf geworfen habe: „Ein Konzerthaus ist nicht dasselbe wie ein Schwimmbad.“
Der Präsident des Deutschen Schaustellerbundes Albert Ritter beklagte, dass seine Mitglieder seit der Weihnachtsmarktsaison 2019 kein Geld mehr verdient hätten. Auch er sprach von einem Sonderopfer und kündigte eine „verfassungsrechtliche Klärung“ an, da Entschädigungsfragen nicht zufriedenstellend geregelt seien. In normalen Zeiten zögen Jahrmärkte in Deutschland 130 Millionen, die 3.000 Weihnachtsmärkte 160 Millionen Besucher an, betonte Ritter.