Verlängerung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes im Fokus
Berlin: (hib/MWO) Mit der Zukunft des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) beschäftigte sich der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz in einer öffentlichen Anhörung am Mittwoch. Die als Sachverständige eingeladenen acht Wissenschaftler, Rechtsanwälte und Richter befürworteten eine Verlängerung des Gesetzes, forderten aber gleichzeitig eine Entfristung und sprachen sich darüber hinaus für eine umfassende Reform aus.
Anlass der Anhörung waren ein Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD (19/20599), mit dem die Geltungsdauer des bis zum 31. Oktober 2020 befristeten KapMuG bis zum 31. Dezember 2023 verlängert werden soll, sowie ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/17751), mit dem das Außerkrafttreten des Gesetzes verhindert werden soll. Nach dem Willen der Grünen soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, zügig einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, der zugleich eine Überarbeitung des Gesetzes enthalten soll. Diese solle vor allem klarstellen, in welchem Verhältnis dort geregelte Musterverfahren und die Musterfeststellungsklage zueinander stehen.
Mit dem KapMuG wurde 2005 erstmalig ein Verfahren zur gebündelten gerichtlichen Handhabung von Massenklagen mit kapitalmarktrechtlichem Bezug eingeführt. Es soll geschädigten Anlegern die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtern. 2012 wurde das KapMuG von Grund auf neugefasst.
Axel Halfmeier von der Leuphana Universität Lüneburg sprach sich in seiner Stellungnahme angesichts einer zersplitterte Regelungslandschaft mit zahlreichen Inkonsistenzen und Unstimmigkeiten dafür aus, in den nächsten Jahren eine Neuregelung des kollektiven Rechtsschutzes auszuarbeiten, deren Anwendungsbereich das gesamte Zivilrecht umfassen sollte. Da dies Zeit benötige, sei die geplante Verlängerung des KapMuG zunächst zu begrüßen, erklärte der Rechtsprofessor. Eine erneute Befristung bis Ende 2023 erscheine aber sinnlos.
Caroline Meller-Hannich von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Astrid Stadler von der Universität Konstanz verwiesen darauf, dass offen sei, welche Auswirkungen das Auslaufen des Gesetzes auf die noch anhängigen Verfahren hat. Deshalb müsse der Gesetzgeber aktiv werden, ansonsten laufe das KapMuG am 1. November 2020 ersatzlos aus. Daher sollte auch aus Sicht von Meller-Hannich das KapMuG verlängert werden, und es sollte möglichst bald ein Diskussionsprozess zu seiner Verbesserung in Richtung eines effektiven kollektiven Klageregimes begonnen werden. Stadler erklärte, es zeichne sich auf europäischer Ebene sehr deutlich eine Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher ab. Das KapMuG lasse sich unter Übernahme zahlreicher vorhandener Elemente in ein Instrument umstrukturieren, das auch den Maßstäben des EU-Richtlinienentwurfs zur Verbraucher-Verbandsklage ohne weiteres gerecht werde.
Auch der Münchner Rechtsanwalt Ferdinand Kruis und dessen Düsseldorfer Kollege Olaf Methner begrüßten die Verlängerung der Geltungsdauer des KapMuG. Jedoch sei eine Entfristung statt einer neuerlichen Befristung vorzugswürdig gewesen. Bedauerlich sei, so Kruis, dass die Änderung des Gesetzes über die Verlängerung der Geltungsdauer hinaus nicht auch zu einer weiteren inhaltlichen Verbesserung genutzt werde. Dabei erscheine es nicht notwendig, Erfahrungen mit der Musterfeststellungsklage abzuwarten, da keine wesentlichen Erkenntnisse für Verfahren nach dem KapMuG zu erwarten seien.
Für Methner hat sich das Kapitalanleger-Musterverfahren insgesamt als geeignetes Mittel erwiesen, um in einem zeitlich überschaubaren Rahmen weitgehende Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. An der grundsätzlichen Notwendigkeit des Gesetzes sei trotz zwischenzeitlich neu geschaffener Regelungsmodelle wie der Musterfeststellungsklage nicht zu zweifeln.
Einen anderen Aspekt brachte die Hamburger Rechtsanwältin Nadine Herrmann ins Spiel. Unternehmensskandale hätten heute eine globale Dimension. Da unter den Rechtsstandorten Wettbewerb herrsche, laufe Deutschland Gefahr, von anderen Jurisdiktionen abgehängt zu werden, weil es an praktikablen Instrumenten kollektiven Rechtsschutzes fehle und die lange Verfahrensdauer den Standort Deutschland für Kollektivklagen immer unattraktiver mache. Trotz der erheblichen Schwächen des KapMuG sei es aber keine sinnvolle Option, das Gesetz ersatzlos auslaufen zu lassen, denn bis zum Inkrafttreten einer Ersatzlösung würde es sonst an einem effektiven Kollektivrechtsschutz für Anleger überhaupt fehlen.
Unterschiedliche Einschätzungen des Gesetzes kamen von den beiden geladenen Richtern. Fabian Richter Reuschle, Richter am Landgericht Stuttgart, erklärte, aus Sicht der Praxis empfehle er eine Entfristung des Gesetzes. Das Verfahren nach dem KapMuG sei einerseits gut angenommen worden und habe die bei seiner Schaffung gehegten Erwartungen grundsätzlich erfüllt. Es könne aber andererseits durch Optimierung in einzelnen wenigen Bereichen, in denen es in der Praxis zu teilweise erheblichen Verfahrensverzögerungen gekommen sei, noch effizienter ausgestaltet werden.
Dagegen hält Gregor Vollkommer, Richter am Oberlandesgericht München, nicht viel vom KapMuG in seiner gegenwärtigen Struktur. Das Gesetz sei „untauglich“, es habe weder die Erwartungen auch nur annähernd erfüllt noch verbänden sich damit Vorteile bei der Abwicklung von Anlegermassenverfahren. Einzig tragfähiger Grund für eine Verlängerung der Geltungsdauer sei die bevorstehende Verabschiedung der EU-Richtlinie. Vollkommer schlug die Schaffung eines Bündels verschiedener Instrumente vor, mit denen den unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfnissen des kollektiven Rechtsschutzes entsprochen werden könne.
Die Fragen der Abgeordneten betrafen unter anderem die Ausgestaltung kollektiver Gruppenklageverfahren, Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung sowie die Finanzierung dieser Verfahren. Ein weiteres Thema waren mögliche Auswirkungen des aktuellen Wirecard-Skandals auf Gruppenklageverfahren.