Versuchsstrafbarkeit des Cybergrooming
Berlin: (hib/MWO) Die Strafverfolgung von Cybergrooming, des Ansprechens von Kindern im Internet mit dem Ziel der Anbahnung sexueller Kontakte, war Thema einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss am Mittwoch. Anlass war ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/13836), mit dem das Strafgesetzbuch (StGB) dahingehend geändert werden soll, dass auch der sogenannte untaugliche Versuch, in denen der Täter irrig annimmt, auf ein Kind - ein „Scheinkind“ - einzuwirken, unter Strafe gestellt wird. Cybergrooming an sich ist laut StGB strafbar. Der Straftatbestand greife jedoch dann nicht, so der Entwurf, wenn ein Täter lediglich glaubt, auf ein Kind einzuwirken, tatsächlich aber mit einem Erwachsenen kommuniziert. Denn der Versuch, also auch Fälle, in denen ein Täter auf ein „Scheinkind“ einwirkt, sei nicht strafbar.
Die Mehrzahl der acht Sachverständigen hält die Neuregelung für angemessen, in einigen Stellungnahmen wurden aber auch Nachbesserungen vorgeschlagen. Die Fragen der Abgeordneten betrafen vor allem Möglichkeiten, die Strafverfolgung zu verbessern. Dabei ging es unter anderem um den Aspekt der Vorbereitungsstrafbarkeit, den Einsatz technischer Mittel, um besseren Zugang zu Tätern im Internet zu bekommen, und um die Frage, ob nicht bereits ein Anfangsverdacht ausreiche, gegen mutmaßliche Täter vorzugehen.
Thomas Weigend, Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln, sagte, er ziehe der vom Bundesrat in seiner Stellungnahme vorgeschlagenen Lösung einer allgemeinen Versuchsstrafbarkeit eine Regelung vor, die zielgenau einen „untauglichen Versuch“ des Einwirkens auf ein Kind erfasst. Insofern sei dem Anliegen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zuzustimmen. Problematisch sei jedoch die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Formulierung: „Der Versuch ist nur in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind“. Denn die Vollendung der Tat scheitere ja nicht an der irrigen Annahme des Täters, sondern daran, dass er tatsächlich nicht auf ein Kind einwirkt.
Dominik Brodowski von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes begrüßte den Gesetzentwurf grundsätzlich, auch wenn er mit den Mitteln des materiellen Strafrechts ein prozessuales Problem zu lösen suche. Die Neuregelung ermögliche es in Fällen des Cybergrooming gegenüber einem „Scheinkind“ , also einem Ermittler, einen Anfangsverdacht zu begründen, der auch als „Türöffner“ für strafprozessuale Maßnahmen dienen könne. Zum Vorschlag des Bundesrats, mit diesem Gesetz zugleich Ermittlern die Befugnis zu geben, virtuelle Kinderpornografie als taktisches Posting oder „Keuschheitsprobe“ zu verbreiten, erklärte Brodowski, er habe durchgreifende Zweifel an der Verhältnismäßigkeit solch einer Maßnahme.
Oberstaatsanwalt Thomas Goger von der Zentralstelle Cybercrime Bayern bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg sagte, das Anliegen von Bundesregierung und Bundesrat sei aus Sicht der Praxis uneingeschränkt zu begrüßen. Die geltende Rechtslage führe regelmäßig dazu, dass Täter zum Beispiel nur deswegen straffrei blieben, weil sie nicht mit einem Kind, sondern mit einem nicht-offen ermittelnden Polizeibeamten, einem verdeckten Ermittler oder einer sonstigen erwachsenen Person kommunizierten. Er gebe aber der weitergehenden Fassung des Bundesrates den Vorzug. Es überzeuge nicht, lediglich den untauglichen Versuch unter Strafe zu stellen, den an sich tauglichen Versuch, der zudem die konkrete Gefahr der Einwirkung auf ein echtes Kind schafft, im Gegenzug aber nicht.
Mit Peter Egetemaier, Leiter der Kriminalpolizeidirektion Freiburg, begrüßte ein weiterer Praktiker die geplante Gesetzesänderung. Die Ermittlungsbehörden müssten gerade im Bereich des sexuellen Missbrauchs ein Instrumentarium an die Hand bekommen, das eine effektive Bekämpfung derartiger Straftaten ermöglicht, und rechtsfreie Räume im Internet müssten konsequent beseitigt werden. Die bloße polizeirechtliche Gefährderansprache sei ein stumpfes Schwert. Er sprach sich für den Einsatz computergenerierten kinderpornographischen Materials aus, um den Zugang zu pädokriminellen Bereichen eröffnen, die sich Ermittlungen und Strafverfolgung bislang entziehen konnten.
Holger Kind, Erster Kriminalhauptkommissar beim Bundeskriminalamt (BKA), sagte, der Entwurf ermögliche seit langem geforderte effizientere Ermittlungen. Ein großes Dunkelfeld lasse sich so besser aufhellen, denn es gebe viele Täter, aber nur wenige Ermittlungen. Er empfahl, die Strafbarkeit auch auf Kinder unter 16 Jahren auszudehnen. Der BKA-Vertreter mahnte grundlegend verbesserte Rahmenbedingungen für die Ermittler an. Dazu gehörten sowohl mehr Personal als auch die Möglichkeit, Kommunikationsdaten von Tätern zu speichern, also die Vorratsdatenspeicherung.
Bedenken gegen den Entwurf äußerte dagegen Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D. Mit dem Entwurf werde eine Vorverlagerung der Strafbarkeitsgrenze betrieben, die einen konkreten Bezug zu Rechtsgutsverletzungen nicht oder annähernd nicht mehr aufweise und daher unter Gesichtspunkten des Schuldprinzips sowie des legitimen Strafrechtszwecks bedenklich sei. Bedenken bestünden zum anderen auch dagegen, eine Strafbarkeit einzuführen, die sich im Wesentlichen als Begleitmaßnahme von polizeilicher Ermittlungstätigkeit darstelle. Keine Einwände habe er dagegen gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene gesetzliche Regelung der sogenannten Keuschheitsprobe beim Einsatz Verdeckter Ermittler bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren im Bereich der Kinderpornografie. Entsprechende dienstliche Handlungen dürften allerdings allein im Rahmen eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens und ausschließlich unter Verwendung von fiktivem Material zulässig sein.
Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) lehnt eine Versuchsstrafbarkeit ab. Dies sei auch bei einem „Scheinkind“ nicht geboten, sagte Jenny Lederer, Mitglied im DAV-Strafrechtsausschuss. Sie kritisierte die damit einhergehende weite Vorverlagerung der Strafbarkeit. Der Entwurf sei zudem nicht überzeugend und auch konturlos ausgestaltet. Durch ein abstraktes Gefährdungsdelikt werde kein Rechtsgut verletzt. Das Strafrecht müsse Ultima Ratio bleiben, sagte Lederer, die den Bundesratsvorschlag zum Thema „Keuschheitsprobe“ ebenfalls unterstützte.
Die Psychologin Julia von Weiler vom Verein Innocence in Danger sagte, die Strafverfolger müssten in die Lage versetzt werden, eine aktive Rolle in der Ermittlung von Cybergrooming zu übernehmen. Ihre Möglichkeiten dürften nicht ausschließlich auf der Kraft und dem Mut betroffener Kinder und Jugendlichen basieren. Es dürfe keine Rolle spielen ob das Gegenüber tatsächlich ein Kind oder aber Polizisten auf Online-Streife sind. Die Strafverfolgung sei so wichtig, betonte von Weiler, weil es für Kinder und Jugendliche noch viel schwieriger als für Erwachsene sei, eine Online- beziehungsweise Digital-Gesprächssituation halbwegs richtig einzuschätzen. Dazu komme, dass Kinder ihre Kenntnisse häufig überschätzen würden.