Einigkeit über Anerkennung als NS-Opfer
Berlin: (hib/AW) Menschen, die während der nationalsozialistischen Diktatur als sogenannte „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“verfolgt beziehungsweise in Konzentrationslagern inhaftiert wurden, sollen als NS-Opfer anerkannt werden. Mit Ausnahme der AfD-Fraktionen waren sich alle anderen Fraktionen und die vier geladenen Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses am Mittwoch einig. Grundlage der Anhörung waren entsprechende Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD (19/14342), der FDP (19/8955), der Linken (19/14333) und von Bündnis 90/Die Grünen (19/7736). In den vier inhaltlich sehr ähnlichen Anträgen sprechen sich die Fraktionen dafür aus, dem Schicksal der sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ im öffentlichen Bewusstsein und dem staatlichen Gedenken mehr Raum einzuräumen und die wissenschaftliche Erforschung ihrer Verfolgung zu intensivieren. Zudem sollen die Möglichkeiten für Entschädigungen verbessert werden. Die AfD-Fraktion lehnt eine pauschale Rehabilitierung und Anerkennung als NS-Opfer ab und plädiert statt dessen für Einzelfallüberprüfungen.
Der stellvertretende Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Ulrich Baumann, die Historikerinnen Julia Hörath vom Hamburger Institut für Sozialforschung und Dagmar Lieske von der Goethe-Universität Frankfurt/Main sowie der Sozialwissenschaftler Frank Nonnenmacher begrüßten die parlamentarischen Initiativen der Fraktionen ausdrücklich. Nonnenmacher warb jedoch eindringlich dafür, dass sich die Fraktionen angesichts der Bedeutung des Themas auf einen fraktionsübergreifenden Antrag einigen sollten. „Alle aufgeklärten Demokraten“ müssten anerkennen, dass es sich bei allen KZ-Häftlingen um Opfer der Nationalsozialisten handelte, unabhängig von den Gründen, aus denen sie in den Konzentrationslagern inhaftiert waren, sagte Nonnenmacher.
Ulrich Baumann verwies darauf, dass die sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ bis heute in der Gesellschaft nicht als NS-Opfer anerkannt seien und schlichtweg das Wissen über ihr Schicksal fehle. Mitunter herrsche auch die Meinung, dass viele dieser Menschen „wohl irgendwie zu recht“ im KZ gesessen hätten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ auch von anderen Opfergruppen keine Unterstützung erhalten, als NS-Opfer anerkannt zu werden.
Julia Hörath führte aus, dass die sogenannte Vorbeugungshaft von „Berufsverbrechern“ in jedem Fall gegen alle rechtsstaatlichen Grundsätze verstoßen habe und deswegen als „nationalsozialistisches Unrecht“ einzustufen sei. Als „Berufsverbrecher“ seien Menschen eingestuft worden, die mehrfach wegen Delikten verurteilt worden sind. Zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung in die Konzentrationslager hätten sie ihre Haftstrafen wegen der Straftaten jedoch längst abgeleistet gehabt. Dagmar Lieske erläuterte, dass mehrere zehntausend Menschen von den nationalsozialistischen Behörden als „Berufsverbrecher“ eingestuft worden seien. Darunter seien Männer wie Frauen, Alte und Junge, Deutsche und Nicht-Deutsche, Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten gewesen. Allein im KZ Sachsenhausen seien etwa 9.000 der sogenannten „Berufsverbrecher“ inhaftiert gewesen.
Der AfD-Abgeordnete Marc Jongen wandte gegen den Befund der Sachverständigen ein, dass „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern von der SS als sogenannte „Kapos“ eingesetzt worden seien und diese Verbrechen gegen ihre Mithäftlinge verübt hätten. Als „Kapos“ werden KZ-Häftlinge bezeichnet, die von der SS bestimmte Ordnungs- und Überwachungsaufgaben übertragen bekamen und im Gegenzug Vergünstigungen erhielten. Deshalb könne es aus Sicht der AfD keine pauschale Gleichstellung der „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ mit anderen NS-Opfern geben.
Frank Nonnenmacher und Dagmar Lieske wiesen diesen Einwand zurück. Als „Kapo“ habe man sich nicht beworben, sondern sei von der SS dazu gemacht worden, sagte Nonnenmacher. Dies sei ein besonders „perfides System“ gewesen. Den „Kapos“ habe bei Missachtung der Anordnungen der SS ebenso drakonische Strafen oder der Tod gedroht. Lieske wies ebenfalls darauf hin, dass auch Angehörige anderer Opfergruppen - beispielsweise Juden oder Kommunisten - zu „Kapos“ gemacht worden seien. Diesen Opfergruppen würde dies auch nicht vorgeworfen. Zudem sei der Prozentsatz der Häftlinge in der Kapo-Funktion extrem gering gewesen.