IS-Kämpfer und Mehrehe im Fokus
Berlin: (hib/FLA) Der Entwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (19/9736) stößt bei Experten auf ein geteiltes Echo. Zum Auftakt einer Anhörung des Innenausschusses am Montagnachmittag protestierte die Abgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) gegen das Vorgehen, dass sich der Ausschuss bereits am Morgen nach der Anhörung abschließend mit dem Gesetzentwurf befassen solle. Sie sehe keine Eilbedürftigkeit. Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen würde das Verfahren hinterfragen, unterstrich deren Vertreterin Filiz Polat. Mathias Middelberg (CDU) und Burkhard Lischka (SPD) hielten den Vorwürfen entgegen, der Gesetzentwurf sei kein komplexes Verfahren, das Vorhaben werde seit Monaten diskutiert und solle nicht noch in die Sommerpause gehen.
Nach der vorgesehenen Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts sollen Deutsche, „die sich ins Ausland begeben und dort an Kampfhandlungen für eine Terrormiliz konkret beteiligt haben“ in Zukunft die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren, wenn sie noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzen. Rückwirkend könne die Gesetzesänderung nicht angewandt werden. Mit mehr als einer Person verheiratete Ausländer sollen vom Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen werden.
Charlotte Hinsen (Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen) begrüßte die grundsätzliche Intention des Gesetzesvorhabens insbesondere aus sicherheitspolitischen Gründen und machte dringenden Handlungsbedarf aus. Freilich machte sie Bedenken im Hinblick auf die praktische Wirksamkeit geltend. So stelle sich die Frage einer eindeutigen Abgrenzung zwischen Terrormiliz und Befreiungsbewegung. Hinsen bedauerte, dass im Gesetzentwurf nicht, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, der Tatbestand der Mehrehe konkret benannt, sondern lediglich auf die „Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse“ abgehoben werde.
Professor Winfried Kluth (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) ging in seiner Stellungnahme auf die geringe Zahl der aktuell für den Verlust der Staatsbürgerschaft in Betracht kommenden Personen ein. Dies sei aber kein Grund, die Erforderlichkeit einer Gesetzgebung zu verneinen. So spreche die weltweite Entwicklung des Terrors und der Terrormilizen dafür, dass jederzeit mit einer neuen Dynamik gerechnet werden müsse und dass auch Deutsche für entsprechende Kampfeinsätze rekrutiert würden. Unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzentwurf müssten konkretisiert werden.
Berthold Münch (Deutscher Anwaltverein) lehnte den Gesetzentwurf ab - aus rechtlichen Erwägungen und keinesfalls als Rechtfertigung terroristischer Aktivitäten, wie er betonte. Es stellten sich noch viele dringend zu beantwortenden Fragen. So müssten Verhaltensweisen, die zu einem Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft führen, klar und unmissverständlich benannt werden. Überdies verwies er auf prozessuale Schwierigkeiten. Auch stellten sich Zweifelsfragen hinsichtlich EU-Recht und Verfassungsrecht.
Professor Tarik Tabbara (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) befand, die vorgeschlagenen Änderungen zum Staatsangehörigkeitsrecht hätten eigentlich Phänomene zum Anlass, die in der Praxis nur von geringer Relevanz seien. Insbesondere kritisierte er, dass die „Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse“ als neue Voraussetzung für einen Anspruch auf Einbürgerung eingeführt werden solle. Dies würde nach seiner Ansicht „geradezu einen restaurativen Rollback“ im Staatsangehörigkeitsrecht bewirken. Zu befürchten sei, dass es wieder rückabgewickelt werden solle.
Professor Daniel Thym (Universität Konstanz) verwies darauf, dass von den angedachten Gesetzesänderungen nur wenige Hundert von den vielen Millionen deutschen Staatsangehörigen mit und ohne Migrationshintergrund betroffen seien. Er mahnte eine notwendige Differenzierung im öffentlichen Diskurs an. Der legitime Diskurs über die Sicherheitsgefahren zurückkehrender Islamisten dürfe nicht dazu führen, dass alle Einwanderer in einen Topf geworfen würden und Migration vorrangig als Sicherheitsproblem präsentiert werde.
Auf den Privatdozenten Ulrich Vosgerau wirkt der Gesetzentwurf in mancher Hinsicht unausgegoren. So sei der verwendete Begriff „Terrormiliz“ nicht als Rechtsbegriff etabliert. Vosgerau schlug stattdessen den Terminus der terroristischen Vereinigung im Sinne des Strafgesetzbuches vor. Er wies daraufhin, dass die „Freiheitskämpfer“ des einen stets die „Terroristen“ des anderen seien.
Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgericht, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht Karlsruhe (1. Senat), meinte, der Begriff der „Terrormiliz“ sei unglücklich gewählt, da das Element des „Terrors“ oder des „Terrorismus“ schon aus sich heraus erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten aufwerfen könne. Auch bei der Formulierung „Einordnung in die deutsche Lebensweise“ handle es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Auslegung und Konkretisierung durch Behörden und Gerichte bedürfe.
Der Anhörung lag neben dem Gesetzentwurf eine Unterrichtung durch die Bundesregierung (19/10518) zugrunde, mit der sie auf eine Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf eingeht. Überdies lagen Änderungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU und SPD (Ausschussdrucksache 19(4)292) und FDP-Fraktion (Ausschussdrucksache 19(4)311 sowie eine gutachtliche Stellungnahme des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung (Ausschussdrucksache 19(4)274) vor.