Kanzlerin brachte BND zum Nachdenken
Berlin: (hib/WID) Mit ihren Äußerungen über den angemessenen geheimdienstlichen Umgang zwischen befreundeten Staaten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch den Bundesnachrichtendienst (BND) zu einer kritischen Selbstprüfung veranlasst. Das bestätigte am Donnerstag der ehemalige BND-Präsident Gerhard Schindler dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA), der dies bereits von anderen Zeugen ähnlich gehört hatte. Entscheidend sei Merkels Erklärung vom 24. Oktober 2013 gewesen, „Ausspähen unter Freunden“ gehe „gar nicht“, erinnerte sich heute 64-jährige Schindler, der von 2012 bis 2016 an der Spitze des BND gestanden hatte.
Einen oder zwei Tage später habe er aus der zuständigen Abteilung Technische Aufklärung (TA) erstmals einen Hinweis erhalten, dass auch beim BND „doch eine beachtliche Anzahl von EU- und Nato-Zielen gesteuert wurde“, und dass dies mit Blick auf Merkels Standpunkt „vielleicht politische Probleme“ aufwerfen könne. Wer ihn informiert hatte, der damalige Abteilungsleiter Hartmut Pauland oder einer der beiden Unterabteilungsleiter D.B. und W.K., vermochte Schindler nicht mehr zu sagen. Er habe sich eine Liste der einschlägigen Suchmerkmale vorlegen lassen - „Ich sehe die Liste noch vor mir“ - und dort unter anderem Botschaften von EU- und Nato-Staaten erwähnt gefunden: „In dieser Sammlung kam mir das doch ein bisschen ungeheuer vor.“
Schindler beschloss, das Kanzleramt zu informieren und dabei gleich selber die Abschaltung der brisanten Selektoren zu empfehlen. Er habe dazu nicht eigens um einen Gesprächstermin in Berlin nachsuchen müssen, weil er im Spätsommer und Herbst 2013, als die Snowden-Affäre hohe Wellen schlug, ohnehin eine Art Dauergast im Kanzleramt gewesen sei. Im Terminkalender des damaligen Amtschefs Ronald Pofalla (CDU) etwa sind für den 24. Oktober 2013 gleich zwei Begegnungen mit Schindler vermerkt, um 9.30 Uhr und erneut um 18 Uhr. Am 28. Oktober 2013 hatte der BND-Präsident eine weitere Verabredung mit Pofalla in einer Runde, an der auch Geheimdienstkoordinator Günter Heiß, Geheimdienst-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, Verfassungschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und der außenpolitische Berater Christoph Heusgen teilnahmen.
Er sei aber sicher, dass er nur Pofalla und Heiß über die Entdeckung fragwürdiger BND-Selektoren in Kenntnis gesetzt habe, wahrscheinlich im Anschluss an diese Besprechung, betonte Schindler. Er habe dann die Abteilung TA angerufen, wo er nur den Unterabteilungsleiter D.B erreichte, und angewiesen, die heiklen Selektoren aus dem Verkehr zu ziehen: „Ich wollte das loswerden und habe da einfach den nächsten angerufen.“ Dass er die Weisung nur mündlich erteilt habe, sei nicht ungewöhnlich, sondern bei ihm die Regel gewesen. Er sei dennoch sicher, dass die Anordnung umgesetzt worden sei, da Abteilungsleiter Pauland auf dieser Grundlage eine Verhaltensrichtlinie für die Sachbearbeiter verfasst und ihn regelmäßig über den Fortgang unterrichtet habe.
Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) habe er erstmals im Mai 2015 über ein „Sonderproblem bei der eigenen Erfassung“ informiert, berichtete Schindler, und zitierte aus seinem damaligen Sprechzettel: „Im Oktober 2013 hat mir die Abteilung TA vorgetragen, dass bei einer Prüfung unserer eigenen Erfassung deutlich geworden sei, dass wir Telekommunikationsmerkmale zu Einrichtungen und Personen von Partnern steuern. Dies sei zwar auftragskonform, aber unter Umständen politisch bedenklich.“ Zu seinen Erstaunen habe es zu diesem Punkt keine Nachfragen gegeben.
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