Kritik an lückenhafter Datenerfassung
Berlin: (hib/PK) Gesundheitsexperten befürworten die Errichtung eines zentralen Transplantationsregisters, befürchten jedoch, das Projekt könnte durch eine lückenhafte Datenerfassung gefährdet werden. Auch der Bundesrat verweist auf diese Schwachstelle. Dem Gesetzentwurf (18/8209) der Bundesregierung zufolge dürfen die Daten der Organempfänger und der lebenden Organspender nur dann an das Zentralregister übermittelt und dort dauerhaft gespeichert werden, wenn Spender und Empfänger vorher eingewilligt haben. Sachverständige halten diese Regelung für verfehlt, wie am Mittwoch eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss ergab und auch aus den schriftlichen Stellungnahmen der Experten deutlich wird.
Der Verband der Ersatzkassen (vdek) wies darauf hin, dass laut Transplantationsgesetz (TPG) die Spenderorgane nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht vergeben werden. Mangels valider Daten könnten jedoch die meisten Organe bisher nur nach Dringlichkeit vermittelt werden. Die geplante Regelung, wonach die Patienten einer Datenerfassung zustimmen müssen, wirke sich negativ aus. Eine verpflichtende Datenerhebung oder eine Widerspruchslösung wären sachgerechter. Die Bundesregierung wolle auch nicht auf die in der Vergangenheit erhobenen Daten zurückgreifen. Damit seien erste Ergebnisse des Registers erst in etwa zehn Jahren zu erwarten.
Auch das Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (AQUA) plädierte für eine verpflichtende Datenübermittlung. Selbst wenn Patienten über die Bedeutung und Tragweite der Einwilligung aufgeklärt würden, könnten sie sich dem Entwurf zufolge für die Transplantation und gegen die Datenübermittlung entscheiden. Ebenso denkbar wäre, dass ein Patient nach einer Transplantation seine Einwilligung zur Datenübermittlung wieder zurückziehe. Wegen der geringen Fallzahlen könnten schon wenige fehlende Daten die Ergebnisse beeinflussen.
Nach Ansicht des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist aufgrund der zu erwartenden Datenlücken „nicht damit zu rechnen, dass das Transplantationsregister einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Qualitätssicherung leisten kann“. Es sollten daher Möglichkeiten zur Nutzung vorhandener Daten geschaffen und auf die Einwilligungslösung verzichtet werden, zumal nur pseudonymisierte Daten verwendet würden. Ein Sprecher des Spitzenverbandes merkte in der Anhörung an, im Steuerrecht wäre eine Einwilligungslösung gleichzusetzen mit dem sofortigen Staatsbankrott.
Ähnlich argumentierte die Stiftung Eurotransplant, die Spenderorgane in mehreren europäischen Ländern vermittelt. Nach Ansicht der Stiftung besteht „eine moralische Verpflichtung“ gegenüber Organspendern, dass die Organempfänger einverstanden sein müssen, ihre Daten (und die Daten des Spenderorgans) zur Verfügung zu stellen, um die Zuteilung weiterentwickeln zu können.
Ein Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) erinnerte in der Anhörung an die rund 100.000 Dialysepatienten in Deutschland, von denen viele auf eine neue Spenderniere warten. Es gebe nicht nur einen großen Organmangel, sondern auch einen Mangel an spezifischen Daten, eine „große Systemlücke“. Es sei daher sinnvoll, Transplantationsregister und Dialyseregister zu verknüpfen und damit auch Altdaten gezielt auszuwerten. Ein Sprecher der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) schilderte die Dramatik aus seiner Sicht und ergänzte, die Organvermittlung ähnele der Aufgabe des Kapitäns auf der Titanic, der entscheiden müsse, wer noch einen Platz im Rettungsboot bekomme.
Die Stiftung Datenschutz plädierte dafür, bei der Einwilligungsregelung zu bleiben. Zwar könnte das Ziel einer kompletten Erfassung aller potenziellen Spender und Empfänger in Gefahr geraten, wenn viele Betroffene ihre Einwilligung nicht gäben. Damit sei nach dem verpflichtenden Aufklärungsgespräch aber nicht zu rechnen, zumal die Einwilligung ja „für eine gute Sache“ gegeben werde, wie ein Sprecher in der Anhörung betonte.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält die Errichtung eines zentralen Registers für sinnvoll, forderte jedoch eine grundlegende Überarbeitung des Transplantationsgesetzes. So müssten die Verteilungskriterien gesetzlich konkreter gefasst und so demokratisch legitimiert werden. Die Verantwortung für das Transplantationssystem müsse an eine staatliche Institution übertragen und dürfe nicht erneut der Selbstverwaltung überlassen werden.
Die Bundesärztekammer (BÄK) begrüßte hingegen, dass an die Selbstverwaltungslösung angeknüpft werde. Ferner sei die „höchstmögliche Datenqualität“ unabdingbar, weil nur so Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen sei. Die verfügbaren Daten müssten „vollständig, korrekt und plausibel“ sein.
Derzeit werden die Daten zur Transplantationsmedizin dezentral gespeichert. Während des Verfahrens werden nach unterschiedlichen Vorgaben Daten zum Organspender, zum Spenderorgan, zum Organempfänger, zum Vermittlungsverfahren sowie zur Transplantation, Behandlung und Nachsorge des Empfängers und des lebenden Spenders gespeichert. Mit dem neuen Gesetz sollen die Daten an einer Stelle zusammengeführt und überprüft werden. Derzeit warten mehr als 10.000 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Nach Skandalen mit manipulierten Wartelisten an einigen deutschen Kliniken soll auch das Vertrauen in die Organspende wieder gestärkt werden.
Der Bundesrat sieht in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein zentrales Transplantationsregister eine gravierende Schwachstelle. Dem Entwurf zufolge (18/8209) dürfen die Daten der Organempfänger und der lebenden Organspender nur dann an das Register übermittelt und dort dauerhaft gespeichert werden, wenn Spender und Empfänger vorher eingewilligt haben.
Nach Ansicht der Länderkammer birgt diese Regelung die Gefahr, dass „diese Personengruppen nur fragmentarisch erfasst werden und damit die Gesamtziele des Transplantationsregisters verfehlt werden“. Der Bundesrat fordert, diesen Passus zu streichen, wie aus einer Unterrichtung der Bundesregierung (18/8557) hervorgeht, und verweist auf die „überragende Bedeutung der Vollständigkeit der Daten für die Weiterentwicklung der Transplantationsmedizin“.
Mit dem Register werde das Ziel verfolgt, die transplantationsmedizinischen Daten zusammenzuführen, um wesentliche Erkenntnisse für die Verbesserung und Weiterentwicklung der Versorgung sowie mehr Transparenz zu gewinnen. Angesichts der begrenzten Zahl an Transplantationen sei „die Vollständigkeit der Daten von ausschlaggebender Bedeutung für valide und aussagekräftige Auswertungen“.
Die Bundesregierung hält die vorgesehene Regelung für sachgerecht. Die Einwilligung der lebenden Organspender und Organempfänger trage dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung umfassend Rechnung, heißt es in der Erwiderung. Es bedürfe einer Einwilligung der betroffenen Personen, weil der bundesweit einheitliche Datensatz erst nach Inkrafttreten des Gesetzes in einer Vereinbarung zwischen Vertretern der Selbstverwaltung festgelegt werde.
Eine gesetzliche Eingriffsbefugnis stelle einen Grundrechtseingriff dar, der nur dann gerechtfertigt sei, wenn die an das Register zu übermittelnden Daten „hinreichend bestimmt“ seien. Gleichwohl werde die Bundesregierung angesichts der Bedeutung einer möglichst vollständigen Erfassung aller Datensätze prüfen, „ob und wie ein Eingriffstatbestand für die Datenübermittlung der Organempfänger und lebenden Organspender verfassungskonform ausgestaltet werden könnte“.
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