Experten für Reform der Patientenberatung
Berlin: (hib/PK) Gesundheitsexperten sehen Konstruktionsfehler in der Struktur und Finanzierung der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) und fordern Änderungen. Anlässlich einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch über einen Antrag der Linksfraktion (18/7042) sprachen sich Sachverständige auch in ihren schriftlichen Stellungnahmen dafür aus, eine Finanzierung aus Steuermitteln zu prüfen. Bisher wird die UPD vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gefördert sowie anteilig durch die Private Krankenversicherung (PKV). Die Experten plädieren auch für mehr Transparenz bei der Vergabe des Beratungsauftrags.
Der GKV-Spitzenverband hatte sich im vergangenen Jahr im Einvernehmen mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung nach einer europaweiten Ausschreibung gegen die bisherige UPD-Bietergemeinschaft aus Sozialverband VdK, Verbraucherzentrale Bundesverband und Verbund unabhängige Patientenberatung (VuP) und für das Angebot von Sanvartis GmbH entschieden. Das hatte heftigen Widerspruch ausgelöst, weil das Duisburger Callcenter-Unternehmen Sanvartis auch für Krankenkassen und Pharmafirmen aktiv ist und dessen Unabhängigkeit angezweifelt wird.
Der Sachverständige Raimund Geene, der auch im wissenschaftlichen Beirat der UPD aktiv ist, schilderte in der Anhörung sein „Entsetzen“, als er von der Auftragsvergabe an Sanvartis erfahren habe. Die Vergabe der UPD an einen gewerblichen Anbieter sei aus seiner Sicht eigentlich ausgeschlossen gewesen. Das Angebot der Firma habe etliche „Luftnummern“ enthalten, fehlende Regionalität und Hinweise auf Gewinnentnahmen. Hinzu kämen einige eklatante Schreibfehler in dem Angebotstext. „Ich kam mir vor wie im falschen Film“, sagte Geene und sprach in Anwesenheit des Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), von „offensichtlichen Ungereimtheiten“ und einem „schwer hinnehmbaren Zustand“.
Der Sachverständige Stefan Etgeton erklärte, die Vergabeverantwortung des GKV-Spitzenverbandes für eine zur Neutralität verpflichtete Einrichtung wie die UPD sei „wenig sachgemäß“. Ein solcher „struktureller Mangel“ hätte spätestens mit der Überführung der UPD in ein Regelangebot bereinigt werden müssen. Problematisch sei auch, die UPD aus der „zivilgesellschaftlichen Einbettung“ zu holen und mit der Ausschreibung in ein gewöhnliches Geschäftsmodell zu überführen. Es wäre sinnvoll, den Kreis der Anbieter auf Institutionen zu beschränken, die eine Interessenbindung glaubwürdig darstellten. So finde eine „Verortung der UPD im Sinne der Vertrautheit mit lokalen Strukturen praktisch nicht mehr statt“. Was die Finanzierung angeht, kämen Mittel aus dem Steuerzuschuss an den Gesundheitsfonds in Betracht.
Auch die PKV befürwortet eine Finanzierung aus Steuer- statt Versicherungsgeldern. Die unabhängige Beratung der Verbraucher sei eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Eine Steuerfinanzierung der UPD sei somit sachlich geboten. Die Bedenken gegenüber dem neuen UPD-Träger teilt die PKV aber nicht.
Der Sachverständige Sebastian Schmidt-Kaehler sieht ebenfalls ein Konstruktionsdefizit mit Blick auf den GKV-Spitzenverband. So ließen sich „strukturell angelegte Berührungspunkte zwischen Fördermittelgeber und der geförderten Einrichtung beschreiben, die das Risiko einer mittelbaren Einflussnahme bergen“. Die GKV sei immerhin „selbst Akteur und Interessenträger im System der gesundheitlichen Versorgung“. Konflikte mit der Krankenkasse seien in der Vergangenheit ein Schwerpunkt in der Beratungsarbeit der UPD gewesen. Die Berater hätten sich nicht selten rechtfertigen müssen, der GKV-Spitzenverband habe unter dem Verdacht der Einflussnahme gestanden.
Mit der Neuvergabe des Auftrags ist nach Ansicht der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientinnenstellen (BAGP) ein „Systemversagen“ deutlich geworden. Statt an den erfahrenen und qualifizierten Mitarbeitern der bisherigen UPD festzuhalten, habe es ohne zwingenden Grund eine intransparente europaweite Ausschreibung gegeben. Der GKV-Spitzenverband sei als Ausschreiber jedoch ungeeignet, „weil er gleichzeitig Player im Gesundheitswesen ist und immer wieder auch kritische Rückmeldungen durch die UPD erhalten hatte“. Die Geschäfte des neuen Gesellschafters der UPD mit der GKV und Pharmafirmen bewirkten eine nicht zu unterschätzende Abhängigkeit. Nach Ansicht der BAGP muss klargestellt werden, dass ein Privatunternehmen mit Gewinninteressen nicht Betreiber der UPD sein kann. Zudem sei über den Gesundheitsfonds eine Finanzierung aus Steuergeldern anzustreben.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe forderte, die UPD müsse als qualitativ hochwertiges Angebot aufgebaut werden, dem die Patienten vertrauten. Das bisherige Angebot sei unzureichend. Die Versicherten hätten zwar formal Anspruch auf eine unabhängige Patientenberatung, in den meisten Fällen sei das aber kaum einlösbar. Der Verband kritisierte zudem, die Rolle der Selbsthilfe als Einrichtung der unabhängigen Patientenberatung werde seit Jahren systematisch ausgeblendet.
Der Jurist Robert Francke von der Universität Bremen sieht keinen Grund für eine Reform. Das Gesetz schaffe mit Paragraf 65b SGB V einen „sachgerechten Rahmen, der mit der beschriebenen Organisationsstruktur zweckmäßig ausgefüllt wird“. Es gebe keinen Anlass, die Organisationsstruktur zu ändern. Auch die Entscheidungen des GKV-Spitzenverbandes gäben dazu keinen Anlass.
Der GKV-Spitzenverband legte Wert auf die Feststellung, dass der neue Betreiber der UPD den Zuschlag ausschließlich unter fachlichen Gesichtspunkten für das beste Angebot erhalten habe. Das Vergabeverfahren sei auch bei einer Nachprüfung bestätigt worden. Im Übrigen handele es sich bei der UPD um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, „die grundsätzlich aus Steuermitteln zu finanzieren wäre“.
Die Fraktion Die Linke fordert in ihrem Antrag eine dauerhafte Finanzierung der unabhängigen Patientenberatung und eine Abkehr von dem Verfahren, alle sieben Jahre die Fördersumme neu zu vergeben. Die Patientenberatung sollte zudem nicht aus Versicherten-, sondern auch Steuergeldern finanziert werden. Der Beirat müsse zu einem unabhängigen Gremium von Wissenschaftlern umgestaltet werden. Mit der Beratung sollten Organisationen beauftragt werden, die mit institutioneller Patientenberatung befasst seien. Die Linke fordert außerdem, ein neues Amt des Patientenbeauftragten des Bundestages einzurichten und dafür die Funktion des Patientenbeauftragten der Bundesregierung abzuschaffen.
Seit 2006 hatte die gemeinnützige Gesellschaft UPD an 21 regionalen Stationen in Deutschland den kostenlosen Beratungsservice angeboten. Die Nachfrage war so groß, dass die UPD an ihre Kapazitätsgrenzen stieß und die Regierung eine Ausweitung der Leistung beschloss. Die Förderphase wurde von fünf auf sieben Jahre verlängert, die Fördermittel von 5,2 auf neun Millionen Euro jährlich erhöht. Die neue Förderphase begann Anfang 2016. Fachleute der UPD beraten Bürger in rechtlichen, medizinischen und psychosozialen Gesundheitsfragen. Thematische Schwerpunkte sind unter anderem Patientenrechte, Behandlungsfehler, psychische Erkrankungen und Leistungen von Kostenträgern.
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