Verfassungsschutz hatte Amri früh im Blick
Berlin: (hib/wid)Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat bereits ein knappes Jahr vor dem radikalislamischen Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz eine Personenakte über den Attentäter Anis Amri geführt. Dies bestätigte die zuständige Sachbearbeiterin am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“). Nach den Worten der Zeugin Lia Freimuth galt Amri als Islamist mit Gefährdungspotenzial. Die heute 33-jährige Beamtin wertet seit 2008 Informationen über Bestrebungen islamischer Extremisten aus.
Die ersten Erkenntnisse über Amri hätten im Januar 2016 vorgelegen, elf Monate vor dem Anschlag am 19. Dezember, berichtete Freimuth. Sie habe daraufhin veranlasst, dass im Februar und März 2016 Verbindungsleute des Verfassungsschutzes im radikalislamischen Milieu zur Person Amris befragt wurden. Allerdings lieferte die Aktion keine wesentlich weiterführenden Ergebnisse.
Ohnehin sei sie in ihrer täglichen Arbeit insgesamt „relativ selten“ mit Amri in Berührung gekommen, betonte die Zeugin. Nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz habe sie die gesammelten Erkentnisse über ihn ausdrucken lassen. Das Material habe lediglich einen schmalen Leitz-Ordner gefüllt. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen hatte nach dem Attentat darauf hingewiesen, Amri sei ein „Polizeifall“ gewesen, mit dem der Verfassungsschutz „nur am Rande befasst“ gewesen sei. Die Zeugin erklärte dazu, da gegen Amri verschiedene staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren liefen, habe die „Federführung“ in der Tat bei den Polizeibehörden gelegen.
Als Auswerterin betreut Freimuth rund 500 mutmaßlich verfassungsfeindliche Islamisten, sammelt und archiviert die aus verschiedenen Quellen einlaufenden Erkenntnisse und leitet sie weiter. Unter diesen 500 Zielpersonen seien etwa 40 bis 50, die die Polizei als „Gefährder“ einstufe, was bedeutet, dass ihnen ein Attentat zuzutrauen ist. Amri habe zu dieser Gruppe gehört, sagte Freimuth. Allerdings habe in seinem Fall im Laufe des Jahres 2016 eine Attentatsneigung zunehmend „als eher unwahrscheinlich“ gegolten.
Zuvor hatte ein Polizeibeamter aus Baden-Württemberg dem Ausschuss über die Umstände der Einreise Amris nach Deutschland am 6. Juli 2015 berichtet. Er habe allerdings keine eigene Erinnerung mehr an den Mann, betonte der Zeuge Eckhard Knak, der im Freiburger Polizeirevier Nord Amris Meldung als Asylbewerber entgegengenommen und routinemäßig Anzeige wegen unerlaubten Grenzübertritts erstattet hatte. Auch den Anschlag in Berlin habe er zunächst nicht mit der damaligen Begegnung auf seiner Polizeiwache in Verbindung gebracht: „Ich habe mir das Bild auch noch mal angeguckt von Herrn Amri. Ich kann mich an diese Person überhaupt nicht erinnern.“
Nach Aktenlage referierte der Zeuge, dass Amri wie 99 Prozent der Einreisenden, die vor seinem Schreibtisch gesessen hätten, kein Ausweisdokument mitgeführt und nur Arabisch und Französisch gesprochen, das Wort „Asyl“ aber verständlich vorgebracht habe. Er erinnere sich nicht mehr, ob er einen Französisch sprechenden Kollegen beigezogen habe, sagte Knak. In der Regel habe die Anweisung gegolten, bei solche Erstbegegnungen keinen Dolmetscher einzusetzen und keine Fragen zu stellen: „Wir sollten so schnell wie möglich diese Leute durchschleusen.“
Er habe Amri einen Zettel hingeschoben und ihn gebeten, darauf seinen Namen und sein Geburtsdatum zu schreiben. Diese Angaben habe er notgedrungen ungeprüft in die Papiere aufgenommen, mit denen er Amri registriert habe. Dieser hatte sich in Freiburg unter dem Namen „Amir“ vorgestellt.