Zeit:
Montag, 14. Dezember 2020,
14 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Die Einführung der Steuer-Identifikationsnummer als Personenkennzeichen für den Online-Zugang zu öffentlichen Stellen insgesamt ist unter Experten umstritten. Dies hat sich gezeigt, als Sachverständige bei einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung und Verwendung einer Identifikationsnummer in der öffentlichen Verwaltung und zur Änderung weiterer Gesetze (Registermodernisierungsgesetz, 19/24226) bewerteten. In der Sitzung unter der Leitung von Andrea Lindholz (CDU/CSU) ging es am Montag, 14. Dezember 2020, auch um Anträge der FDP-Fraktion (19/24641) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/25029).
Dr. Ariane Berger von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände erklärte, die Verbände trügen die Einführung einer einheitlichen Identifikationsnummer zur eindeutigen Zuordnung der betroffenen Person dem Grunde nach mit. Möglich, wenn auch nicht zwingend, sei dabei die Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID). Der Verzicht auf die Einführung bereichsspezifischer Identitäten erfordere freiheitssichernde Maßnahmen. Die vom Bund vorgeschlagenen verfahrensmäßigen, organisatorischen und technischen Sicherungen genügten grundsätzlich den verfassungsmäßigen Anforderungen. Die zügige Umsetzung des Gesetzesvorhabens sei Voraussetzung für eine gelingende Digitalisierung der Verwaltung.
„Verfassungs- und datenrechtlich nicht zu rechtfertigen“
Die Juristin Kerstin Bock meinte, im Zentrum der Registermodernisierung sollte nicht allein die Effizienz, sondern die Gewährleistung von moderner, demokratiefester und grundrechtsverträglicher Verwaltung stehen. Dies lasse der Entwurf noch nicht erkennen. Mit der Steuer-ID als lebenslanger, bereichsübergreifender Identifikationsnummer werde ein Damm gebrochen, den aller Voraussicht nach das Bundesverfassungsgericht wieder werde flicken müssen. Verfassungsrechtlich und datenrechtlich sei das Vorhaben nicht zu rechtfertigen. Eine einheitliche Registrierungsnummer für alle Register sei auch nicht erforderlich.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Professor Ulrich Kelber, machte geltend, dass die Steuer-ID allein kein tragfähiges Fundament für den geplanten Einsatz als Personenkennzeichen sei. Ein solches Kennzeichen, das in dieser Art sowohl bereichsübergreifend als auch einheitlich gestaltet sei, sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Es schaffe ein systeminhärentes, übermäßiges Risiko der Katalogisierung der Persönlichkeit und biete, auch mit den im Gesetzentwurf geplanten Maßnahmen zur technischen Absicherung, keinen ausreichenden Schutz vor Missbrauch sowohl nach innen als auch nach außen. Mit bereichsspezifischen Kennzeichen gebe es eine moderne Alternative.
„Gottseibeiuns des Datenschutzrechts“
Prof. Dr. Kai von Lewinski (Universität Passau) lenkte den Blick darauf, dass eine Personenkennziffer ein mächtiges Mittel für die Verknüpfung von Daten aus verschiedenen Lebensbereichen, Verwaltungssektoren und sozialen Rollen darstelle. Dies würde dann das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen ermöglichen. Er sprach vom „Gottseibeiuns des Datenschutzrechts“. Doch er riet zu einer differenzierten Betrachtung des Gesetzentwurfs. Bei der verfassungsrechtlichen Analyse sei zwischen dem Personenkennzeichen und dem Persönlichkeitsprofil zu unterscheiden. Nur das Persönlichkeitsprofil bilde eine absolute Grenze für die Verdatung von Menschen. Doch dazu führe der Gesetzentwurf zur Einführung einer Identifikationsnummer nicht.
Prof. Dr. Peter Parycek (Fraunhofer Focus-Institut und Donau-Universität Krems) sagte, keiner wolle ein digitales Persönlichkeitsprofil, das der Staat auf Knopfdruck abrufen könne, wie es in der Wirtschaft passiere. Das sei eine absolute Horrorvorstellung für den demokratischen Rechtsstaat. Die Verhinderung einer Identifikationsnummer habe aber heutzutage keine Schutzwirkung mehr, weil so viele Datenpunkte verspeichert seien. Das einzig Entscheidende sei der Zugang zu den Daten. Wer den habe, könne über Datenanalysewerkzeuge sehr schnell eine hohe Wirkung erzielen – je nach Datenpunkten von 50 bis 70 Prozent. Mithin komme es darauf an, den Zugang zu den Datenbeständen gering zu halten.
„Potenziale der Digitalisierung nutzen“
Professor Eike Richter (Hochschule der Akademie der Polizei Hamburg) wies als Ausgangspunkt darauf hin, dass es um die Modernisierung der Verwaltung gehe und die Möglichkeit, dabei die Digitalisierung zu nutzen. Viele Anläufe seien in der Vergangenheit nicht zum Erfolg gekommen. Von daher sei der Gesetzentwurf grundsätzlich zu begrüßen, weil die Verknüpfung der Register einen wichtigen Schritt darstelle, die Potenziale der Digitalisierung für die Verwaltung zu nutzen. Er sah keine Bedenken, die die Verfassungsmäßigkeit des Vorhabens als absolut ausgeschlossen erscheinen ließen. Er riet zu einer Befristung des Gesetzes.
Prof. Dr.-Ing. Christoph Sorge (Universität des Saarlandes) stellte fest, der Gesetzentwurf führe dazu, dass die Steuer-ID zu einem allgemeinen Personenkennzeichen werde. In der vorgesehenen Ausgestaltung sei ein solches allgemeines Personenkennzeichen verfassungswidrig. Die ins Auge gefassten Schutzmaßnahmen auch gegen Cyber-Angriffe seien lückenhaft. Die Einführung sei schon deshalb nicht erforderlich, weil alternative Modelle mit bereichsspezifischen Personenkennzeichen existierten – beispielsweise in Österreich.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Laut Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/24226) soll in die für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes relevanten Verwaltungsregister von Bund und Länder eine Identifikationsnummer eingeführt werden, mit der „gewährleistet wird, dass Basisdaten natürlicher Personen von einer dafür verantwortlichen Stelle auf Inkonsistenzen geprüft, verlässlich gepflegt, aktualisiert und bereitgestellt werden“.
Zur eindeutigen Zuordnung in diesen Registern soll der Vorlage zufolge die Steueridentifikationsnummer als „einheitliches nicht-sprechendes Identifikationsmerkmal“ eingeführt werden. Die zur Identifikation erforderlichen personenbezogenen Daten in diesen Registern würden öffentlichen Stellen, die diese für Verwaltungsleistungen nach dem Onlinezugangsgesetz benötigen, „aktuell und in hoher Qualität bereitgestellt“. Für die Transparenz soll ein „Datencockpit“ aufgebaut werden, das eine einfache und zeitnahe Übersicht über zwischen Behörden vorgenommenen Datenübermittlungen ermöglicht.
Wie die Bundesregierung weiter ausführt, leisten die eindeutige Identifikation und die Bereitstellung von qualitätsgesicherten personenbezogenen Daten einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Ziele des Onlinezugangsgesetzes. In der Interaktion mit der Verwaltung müssten Bürger regelmäßig grundlegende Daten wie Adresse oder Familienstand immer wieder angeben oder bestimmte Dokumente wie etwa die Geburtsurkunde vorlegen. Diese Aufwände ließen sich minimieren, wenn die jeweilige Behörde die Basisdaten zu einer natürlichen Person über die neu geschaffene Registermodernisierungsbehörde direkt abrufen kann.
Antrag der FDP
„Verfassungskonforme Registermodernisierung - Ohne steuerliche Identifikationsnummer“ ist der Antrag der FDP-Fraktion (19/24641) überschrieben. Darin wendet sich die Fraktion gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Dieser Entwurf des sogenannten „Registermodernisierungsgesetzes“ sehe „im Kern vor, dass die Steuer-ID nach Paragraph 139b der Abgabenordnung künftig als einheitliches Personenkennzeichen in derzeit 51 vorgesehene Register eingeführt wird, die für die Umsetzung des Online-Zugangs-Gesetzes von besonderer Bedeutung sind“, führt die Fraktion in der Vorlage aus.
Das Bundesverfassungsgericht habe indes bereits in seinem „Volkszählungsurteil“ aus dem Jahr 1983 festgelegt, dass „eine umfassende Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit durch die Zusammenführung einzelner Lebens- und Personaldaten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen der Bürger“ verfassungswidrig wäre (Aktenzeichen: 1 BvR 209 / 83, BVerfGE 65, 1 (53)). Als Beispiel für eine solche unzulässige Erstellung von Persönlichkeitsprofilen nenne das Bundesverfassungsgericht die Einführung eines einheitlichen Personenkennzeichens.
Die Bundesregierung wird daher in dem Antrag aufgefordert, „nicht die Steuer-ID und auch keinen anderen einheitlichen, bereichsübergreifenden Identifier, der auf eine einheitliche Personenkennziffer hinausläuft, im Rahmen der Registermodernisierung einzuführen“, weil dies gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Volkszählungsurteil verstoße. Vielmehr soll sie nach dem Willen der Fraktion einen neuen Gesetzentwurf vorlegen, „der nicht die Verwendung der Steuer-ID zur Umsetzung der Registermodernisierung vorsieht“.
Antrag der Grünen
Die Grünen fordern in ihrem Antrag (19/25029) von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der die Verwaltungsmodernisierung und den vereinfachten administrativen Zugang zu öffentlichen Leistungen in Einklang mit dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger bringt. Schwerwiegende verfassungsrechtlichen Bedenken seien ernst zu nehmen, schreiben die Abgeordneten. Auf die Steuer-Identifikationsnummer als bereichsübergreifendes Datum bei der Registermodernisierung solle daher verzichtet werden.
Verlangt wird daher, grundrechtskonforme Alternativen wie bereichsspezifische Personenkennzeichen oder andere, vergleichbar funktionale und zugleich hohe Datenschutzstandards erfüllende Verfahren zu verfolgen. Bestehende Schutzmechanismen wie die sichere Authentifizierung der beteiligten Behörden, die technische Sicherung des übermittelbaren Datenkranzes oder durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen seien auszubauen, heißt es in dem Antrag. (fla/sto/15.12.2020)