Anträge von AfD und Grünen zur Aufarbeitung kolonialen Unrechts beraten
Die deutsche Kolonialgeschichte und ihre Aufarbeitung haben am Donnerstag, 19. November 2020, einmal mehr zu einer mitunter hitzigen Debatte im Bundestag geführt. Das Parlament beriet zum einen den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Koloniales Unrecht anerkennen, aufarbeiten und der eigenen Verantwortung international gerecht werden“ (19/24381), der im Anschluss zur weiteren Beratung an den federführenden Auswärtigen Ausschuss überwiesen wurde. Ein Antrag der AfD, die „Restitution von Sammlungsgut aus kolonialem Kontext“ zu stoppen (19/19914), wird federführend im Ausschuss für Kultur und Medien weiterberaten.
Mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen lehnte der Bundestag einen weiteren Antrag der AfD-Fraktion zur Aufarbeitung der deutschen Kulturzeit (19/15784) ab. Dazu lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien vor (19/21345 Buchstabe a).
Antrag der Grünen
Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag (19/24381) die offizielle Anerkennung der Massaker an den Ovaherero und Nama zwischen 1904 und 1908 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, als Völkermord.
Zudem müsse Deutschland die Verantwortung für die Massaker und Hungertoten des Maji-Maji-Krieges von 1905 bis 1907 in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, übernehmen und dieser Verantwortung gerecht werden. Ebenso sprechen sich die Grünen für die Errichtung einer zentralen „Stätte des Erinnerns und Lernens“ in Berlin zum deutschen Kolonialismus aus.
Anträge der AfD
Die AfD-Fraktion fordert in ihrem überwiesenen Antrag (19/19914) einen Stopp der Rückgabe von Sammlungsgütern mit kolonialem Kontext aus deutschen Museen in die Herkunftsländer.
In ihrem abgelehnten Antrag (19/15784) forderte sie eine differenzierte Betrachtung des deutschen Kolonialismus, die auch die „gewinnbringenden Errungenschaften dieser Zeit“ würdigt.
Grüne: Für den Völkermord entschuldigen
Die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger verwies darauf, dass die Massaker an den Ovaherero und Nama ein rassistisch motivierter Völkermord gewesen seien, der als solcher von der Bundesregierung auch endlich anerkannt werden müsse. Die Bundesregierung müsse sich offiziell für diesen Völkermord entschuldigen.
Deutschland müsse die Verantwortung für die Verbrechen während der Kolonialzeit allerdings nicht nur mit Worten, sondern auch „mit Taten und finanziell“ übernehmen. Der seit Jahren geführte Regierungsdialog zwischen Deutschland und Namibia sei zwar zu begrüßen, er müsse aber auch zu einem Ergebnis führen.
AfD: Kolonialzeit differenziert aufarbeiten
Der kulturpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Dr. Marc Jongen, warf den Grünen vor, ein „undifferenziertes Schuldnarrativ“ zu bedienen. Es ginge ihnen in Wirklichkeit gar nicht um eine Versöhnung, sondern lediglich um die Weiterverbreitung von „linkem Selbsthass“. Dies stehe aber einer differenzierten Betrachtung und Aufarbeitung der Kolonialzeit im Weg.
Die Rede Jongens und die Anträge seiner Fraktion riefen mitunter empörte Reaktionen in den übrigen Fraktionen hervor. Der SPD-Kulturpolitiker Helge Lindh hielt der AfD vor, sie solche „sich schämen“. In ihren Anträgen setze sich die Rhetorik der Kolonialmächte fort. Markus Koob (CDU/CSU) sagte, die „AfD faselt von differenzierter Betrachtung“, in ihren Anträgen würde sich dies allerdings nicht spiegeln.
Linke: Afrika-Beauftragten entlassen
Die Linken-Parlamentarierin Kathrin Vogler übte scharfe Kritik an der Aussage des Afrika-Beauftragten der Bundesregierung, Günter Nooke, der Kolonialismus habe insbesondere in Afrika dazu beigetragen, den Kontinent „aus archaischen Strukturen“ zu befreien. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte Vogler auf, Nooke zu entlassen. Auf das Zitat Nookes hatte sich auch die AfD in ihrem Antrag bezogen.
Kritik an der Bundesregierung wurde auch aus den Reihen der FDP-Fraktion laut. Deren Abgeordneter Ulrich Lechte monierte, dass die ehemaligen deutschen Kolonien in der Politik von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) so gut wie keine Rolle spielten. Dabei könnte die Entwicklungszusammenarbeit wichtige Rolle spielen bei der Aussöhnung.
Staatsministerin: Tiefe Wunden durch deutsche Kolonalpolitik
Die Staatsministerin für auswärtige Kultur- und Bildungspolitik im Auswärtigen Amt , Michelle Müntefering (SPD), betonte, dass die deutsche Kolonialpolitik tiefe Wunden in den Ländern Afrikas gerissen habe. Nach den heute geltenden völkerrechtlichen Vorstellungen seien die Massaker an den Ovaherero und Nama als Völkermord zu kennzeichnen. Dies habe sie bei ihren Besuchen in Namibia auch gesagt.
Deutschland müsse und könne helfen, diese Wunden zu heilen. Müntefering zeigte sich zuversichtlich, dass der vom früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Ruprecht Polenz geleitete Dialog mit Namibia zu einem erfolgreichen Ende geführt wird. (aw/19.11.2020)