Zukunft des Gentechnik-Standorts Deutschland erörtert
„Aus BioNTech-Erfolg lernen – Aktionsprogramm für den Gentechnik-Standort Deutschland vorlegen“ lautet der Titel eines Antrags der FDP-Fraktion (19/24365), den der Bundestag am Donnerstag, 19. November 2020, erstmals debattiert und im Anschluss zur weiteren Beratung den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen hat.
Anträge der FDP und der Grünen abgelehnt
Im Anschluss an die einstündige Aussprache lehnte der Bundestag zwei weitere Anträge der FDP und einen Antrag der Grünen zur Gentechnik ab. Zu den FDP-Anträgen mit den Titeln „Chancen neuer Züchtungsmethoden erkennen – Für ein technologieoffenes Gentechnikrecht“ (19/10166) und „Einsatz neuer Züchtungsmethoden ermöglichen“ (19/23694) hatte der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft jeweils Beschlussempfehlungen vorgelegt (19/16565, 19/24182). Dem erstgenannten Antrag stimmte nur die FDP zu, während die AfD sich enthielt und die übrigen Fraktionen dagegen votierten. Beim zweitgenannten Antrag stimmte die AfD mit der FDP dafür, während die übrigen Fraktionen ihn ablehnten.
Dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Agrarwende statt Gentechnik –Neue Gentechniken im Sinne des Vorsorgeprinzips regulieren und ökologische Landwirtschaft fördern“ (19/13072) stimmte neben den Grünen auch die Linksfraktion zu, während die übrigen Fraktionen dagegen stimmten. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hatte auch dazu eine Beschlussempfehlung abgegeben (19/16565).
Landesminister für offene Diskussion um Gentechnik
Dr. Volker Wissing (FDP), Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau in Rheinland-Pfalz, der die Debatte eröffnete, verwies auf die Entwicklung des Corona-Impfstoffs durch das Unternehmen BioNTech: Diese zeige die „stetig wachsenden Möglichkeiten der Biotechnologie und insbesondere der Gentechnik“, die stärker in den Blick genommen werden müssten, forderte Wissing. Das gelte für die sogenannte „grüne, rote und weiße Gentechnik“, also in Bereichen der Landwirtschaft, Medizin oder für die Herstellung von Lebensmitteln.
„Die Diskussion um Gentechnik darf nicht länger auf die Risiken verengt werden“, sagte der Landesminister. Ein „vorauseilendes Verbot“ neuer Verfahren sei „fahrlässig. Weitere Forschung dürften nicht einfach eingeschränkt werden, mahnte der Liberale. Im Gegenteil: Es brauche Innovationen – nicht zuletzt auch, um als “Exportnation„ wettbewerbsfähig zu bleiben.
CDU/CSU: Liberalen-Antrag voller “Heißluftprosa„
Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU) gab der FDP zwar in manchen Punkten Recht: Die Gesetzgebung in Bezug auf Genome Editing und neue Züchtungsmethoden müsse tatsächlich überarbeitet werden – doch ansonsten zerpflückte der Abgeordnete ihren Antrag Stück für Stück und hielt den Liberalen “Heißluftprosa„ vor. Ein neuer Förderfonds für Gentechnik? Überflüssig und nutzlos, der deutsche und europäische “Förderdschungel„ sei schon jetzt groß genug. Anpassung der Gentechnik-Studienangebote? Widerspreche der Freiheit von Forschung und Lehre und beschneide zudem die Autonomie der Universitäten, monierte Abercron.
Und schließlich: Gesetzestexte um ein Kapitel zum Innovationsprinzip verlängern? Wenig innovativ und bürokratisch, so das Urteil des CDU-Abgeordneten. Aber auch den Grünen ersparte er nicht deutliche Kritik: Deren “geradezu dogmatisch-religiöse Ablehnung von Gentechnik„ sei “brandgefährlich und unehrlich„. Längst gebe es etwa in der Medizin gentechnische Verfahren, die Leben retteten.
AfD: Genome Editing ist “kein Wunderwerkzeug„
Stephan Protschka kritisierte für die AfD-Fraktion die FDP ebenfalls scharf: Sie mache den Landwirten mit Blick auf neue Verfahren wie dem Genome Editing “billige Heilsversprechungen„. Die neue Züchtungsmethode böten sicherlich große Chancen, dennoch sei die “Genschere kein Wunderwerkzeug„, mit dem sich alle Probleme in der Pflanzenzucht beseitigen ließen, gab der Abgeordnete zu bedenken. Salz- oder Hitzeresilienz ließen sich so etwa nicht einfach in die Pflanze “hineinzaubern„.
Protschka räumte jedoch ein, dass man nicht neue Technologien “verschlafen„ dürfe. Die Fortschrittsfeindlichkeit, die aus dem Antrag der Grünen spreche, lehne die AfD ab – genauso aber die Forderung der FDP, die Genschere in Deutschland freizugeben.
SPD: Vorsicht bei Entscheidungen mit irreversiblen Folgen
René Röspel (SPD) sagte, die Chancen der Bio- und Gentechnologie seien “unbestritten„. Die die Verwendung von veränderten Genen stoße aber insbesondere im Bereich der roten Gentechnik, in der es um den Menschen und um Medizin gehe, an ethische Grenzen.
Problematisch sehe seine Fraktion zudem die Anwendung der Agrogentechnik: “Da, wo Organismen verändert und ausgebracht werden„, Folgen nicht abschätzbar und irreversibel seien, müsse mit größter Vorsicht gehandelt werden, mahnte Röspel. Das geltende Vorsorgeprinzip dürfe daher nicht durch ein Innovationsprinzip, “wie es die FDP, aber auch Teile der Bundesregierung„ forderten, “verwässert„ werden.
Linke: Editing-Technik regulieren
Diese Meinung vertrat auch Dr. Kirsten Tackmann (Die Linke). Sie warf der FDP vor, ewig uneinsichtig ihr “Mantra von den Heilsversprechen gentechnisch veränderter Pflanzen„ zu wiederholen, obwohl solche Versprechen längst gebrochen seien: “Gentechnisch veränderte Pflanzen haben vor allem Saatgut- und Chemie-Multis reich gemacht, statt den versprochenen essenziellen Beitrag zur weltweiten Ernährungssicherung zu leisten„, kritisierte Tackmann.
Risiken und Folgeschäden trügen die Bauern und letztlich die Gesellschaft. Selbst die Erfinderin der “Genschere„, die Nobelpreisträgerin Emmanuelle Charpentier, habe Regularien zur Eindämmung der potenziellen Risiken der neuen Editing-Technik gefordert, so die Linken-Abgeordnete.
Grüne: Vorsorgeprinzip darf nicht ausgehebelt werden
“Billige Polemik„ hielt Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen) der FDP vor. Sie werfe einfach Anwendungen der Gentechnik im Agrar- und Medizinbereich in einen Topf – das sei nicht “sachgerecht„. Während Impfstoffe etwa im geschlossenen System angewandt würden, gehe es bei der Agrogentechnik darum, gentechnisch veränderte Pflanzen in Ökosystemen freizusetzen. “Das ist ein grundlegender Unterschied„, empörte sich Ebner. Impfstoffe würden richtigerweise umfangreich auf Risiken geprüft. “Aber bei der Freisetzung von lebendigen, vermehrungsfähigen Organismen sind die dagegen, das ist scheinheilig.„
Auch Ebner wandte sich vehement gegen eine “Aushebelung des Vorsorgeprinzips„. Damit setze die FDP die “Gesundheit von Menschen fahrlässig auf Spiel„. Die Menschen wollten keine Gentechnik auf dem Teller, das respektierten die Grünen.
Ministerin: Ideologische Scheuklappen ablegen
Für mehr “Sachlichkeit„ und weniger “ideologische Scheuklappen„ in der Debatte sprach sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) aus, griff dann aber ihrerseits die Opposition scharf an: Die Grünen verlangten “aus städtischer Sicht„ von den Landwirten regional, ressourcenschonend und ohne Pflanzenschutzmittel zu produzieren, verweigerten ihnen aber mitten im Klimawandel das “nötige Instrument„ dazu, monierte Klöckner. Zudem schürten sie auf unanständige Weise “die Angst vor vermeintlichen gesundheitlichen Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen„. Dabei gehe es darum, weltweit das “Menschenrecht auf Nahrung umzusetzen„.
Der FDP wiederum attestierte sie Inkonsequenz: Wissing habe den Bundestag als Bühne für Forderungen genutzt, die er als Landesminister nicht in die Tat umsetze. Das mache die Bundesregierung anders. Klöckner kündigte an, Teile der Forschung an der “Genschere„ CRISPR/Cas weiter zu fördern.
Neuer Antrag der FDP
Die Liberalen fordern die Bundesregierung in ihrem neuen Antrag (19/24365) unter anderem dazu auf, einen Fonds zu schaffen, der der Zukunftstechnologie “Gentechnologie„ gerecht wird. Dieser Fonds “Innovation durch Gentechnologie„ soll alle Bemühungen bündeln und effektiv mindestens die drei Bereiche der Gentechnologie fördern – rot, grün und weiß. Gentechnologische Innovationen in Anbaumethoden und verbesserte Kulturpflanzensorten würden die erforderlichen Chancen eröffnen, um die zukünftigen Herausforderungen der Welternährungssicherheit und der notwendigen Anpassung an den Klimawandel zu bewältigen.
Die Anwendungsgebiete der sogenannten roten Gentechnologie seien vielfältig und würden von medizinischen Gentherapien bis hin zur Bekämpfung und Heilung von Volkskrankheiten reichen. Und durch die Entwicklung gentechnischer Methoden würden der Industrie deutlich erweiterte Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Das soll durch den Fonds stärker in den Fokus gerückt werden.
Erster abgelehnter Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion forderte in ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/10166), die Chancen neuer Züchtungsmethoden zu erkennen und für ein technologieoffenes Gentechnikrecht einzutreten. Die Bundesregierung sollte auf europäischer Ebene für eine grundsätzliche Überarbeitung des EU-Gentechnikrechts eintreten und das deutsche Gentechnikrecht entsprechend anpassen. Sie sollte sich für die Etablierung eines abgestuften Risikoklassifizierungsverfahrens einsetzen. Dieser Risikoklassifizierung sollten sämtliche Pflanzenzüchtungsverfahren, ausgehend von klassischen Züchtungsverfahren bis hin zu modernen Genome-Editing-Verfahren unterworfen werden.
Ferner wollten die Liberalen, dass eine europäische Behörde diese Bewertungen vornimmt und bereits in einem frühen Entwicklungsstadium von Züchtern oder Zuchtunternehmen Informationen zu der Modifikation, dem eingeführten Merkmal und der verwendeten Technik erhält. Außerdem sollten Freisetzungsversuche, die für die praktische Forschung unerlässlich seien, in Deutschland möglich gemacht werden, um eine Abwanderung deutscher Forschung ins Ausland einzudämmen.
Zweiter abgelehnter Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion wollte mit ihrem zweiten abgelehnten Antrag (19/23694) den Einsatz neuer Züchtungsmethoden ermöglichen. Sie nahm dabei “Genome Editing als eine fortschrittliche Gentechnik, die Pflanzen-DNA präzise verändern„, in den Blick.
Auf EU-Ebene sollte sich die Bundesregierung nun für eine technologieoffene Überarbeitung des EU-Gentechnikrechts einsetzen, schrieben die Liberalen. Auch sollten Forschungsprojekte für neue Züchtungsmethoden stärker unterstützt werden.
Abgelehnter Antrag der Grünen
Die Regulierung neuer Gentechniken im Sinne des Vorsorgeprinzips und die Förderung der ökologischen Landwirtschaft forderte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. In ihrem Antrag (19/13072) verlangte sie von der Bundesregierung, sich auf EU-Ebene für die Stärkung des Vorsorgeprinzips einzusetzen, indem sie dafür eintritt, dass auch neue gentechnische Methoden nach geltendem EU-Recht reguliert bleiben.
Darüber hinaus sollte die Regierung sich dem systematischen Einsatz herbizidresistenter Pflanzen zur Erhöhung des Einsatzes von Ackergiften entgegenstellen und sich auf europäischer Ebene gegen die Zulassung von Herbiziden und anderen Pestiziden aussprechen. Landwirte sollten zudem gegen die Kontamination ihrer Erzeugnisse mit gentechnisch veränderten Organismen geschützt werden und die Haftung entsprechend dem Verursacherprinzip rechtlich abgesichert werden.(sas/eis/19.11.2020)