Zeit:
Montag, 26. Oktober 2020,
10 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700
Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung “zur Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen„ (19/21986, 19/22783) ist am Montag, 26. Oktober 2020, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter Leitung von Andrea Lindholz (CDU/CSU) auf entschiedenen Widerstand von Datenschützern und Vertretern betroffener Unternehmen gestoßen. Das Vorhaben, mit dem die Regierung einer EU-Verordnung aus dem vergangenen Jahr Folge leistet, sei weder mit dem Grundgesetz noch mit europäischem Recht vereinbar, monierten Kritiker.
Vorgesehen ist unter anderem, dass von August 2021 an auf jedem Personalausweis die Abdrücke beider Zeigefinger des Inhabers gespeichert sein müssen. Die Geltungsdauer von Kinderreisepässsen soll auf ein Jahr verkürzt werden. Ferner dürfen Passbilder künftig nur noch digital erstellt und durch eine sichere Verbindung übermittelt werden. Die Ausstattung der Behörden mit entsprechend geeigneten Geräten soll in die Zuständigkeit der Bundesdruckerei fallen.
“Beispielloser Eingriff in die Wirtschaftsordnung„
Abgesehen von der vorgesehenen Pflicht zur Speicherung von Fingerabdrücken war es vor allem diese Bestimmung, die den Widerspruch von Sachverständigen und Interessenvertretern hervorrief. Als beispiellosen Eingriff in die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik geißelte Roland Appel, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Roa.Consult, das Vorhaben. Appel sprach für sieben betroffene Hersteller und Anbieter von Geräten zur biometrischen Bilderfassung. Mit dem geplanten Gesetz werde das Monopol eines Staatsbetriebes zulasten einer ganzen Branche kleiner und mittlerer Unternehmen etabliert. Diesem drohe dadurch die ökonomische Existenzvernichtung.
Gestützt auf ein juristisches Gutachten machte Appel geltend, dass der Entwurf sowohl gegen das in Artikel 12 des Grundgesetzes verbürgte Grundrecht auf Berufs- und Gewerbefreiheit als auch gegen europäisches Wettbewerbsrecht nach Maßgabe der EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoße. Kritikwürdig sei auch, dass das Gesetz offenbar im Eilverfahren durchgepeitscht werden solle.
“Erheblicher Eingriff in Rechtspositionen„
Von einem erheblichen Eingriff in Rechtspositionen von Gewerbetreibenden, Kommunen und Bürgern sprach auch der Leiter des Instituts für Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes, Prof. Dr. Georg Borges. Dass nur die Bundesdruckerei als Anbieter der Bilderfassungsgeräte infrage kommen solle, sei nicht nachvollziehbar. Mit Blick auf Artikel 12 des Grundgesetzes bedürfte ein solches Monopol einer starken Rechtfertigung, die in diesem Fall aber nicht vorliege.
Gegen den vorgesehenen Zwang zur Speicherung zweier Fingerabdrücke wandte sich Friedemann Ulrich Ebelt, Sprecher des in Bielefeld ansässigen Vereins “Digitalcourage„. Zwar sei auf diese Weise die Identität einer Person schneller zu überprüfen, wenn das Passbild allein keine ausreichende Handhabe biete. Doch komme das so selten vor, dass eine anlasslose generelle Fingerabdruck-Pflicht dadurch nicht zu rechtfertigen sei. Die vorgesehene Regelung begründe einen Generalverdacht gegen Bürgerinnen und Bürger und sei ein nutzloser und gefährlicher Übergriff des Staates. Menschen würden dadurch lebenslang kontrollierbar.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs äußerte der frühere schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Dr. Thilo Weichert, der für das “Netzwerk Datenschutzexpertise„ sprach. Er warnte vor der Entstehung einer unangemessenen Überwachungsinfrastruktur und rügte die EU-Verordnung, auf die der Entwurf zurückgeht, als unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz. Die geringe Zahl von Fällen, in denen der Fingerabdruck die Klärung von Identitätszweifeln erleichtere, sei kein hinreichender Anlass, 300 Millionen EU-Bürger zur Abgabe ihrer Fingerabdrücke zu zwingen.
Zufriedene Sachverständige
Zufrieden mit dem Gesetzentwurf äußerte sich Dr. Stefan Hofschen, Vorsitzender Geschäftsführer der Bundesdruckerei, der die Kompetenz seines Unternehmens hervorhob, Behörden mit Bilderfassungsgeräten auszustatten. Es habe dies bereits 2015 unter Beweis gestellt, als es innerhalb weniger Monate ein System zur Erfassung der Daten von Asylsuchenden entwickelt und bundesweit installiert habe.
Zufrieden äußerte sich auch Dr. Christoph Busch, Professor für Biometrie am Fachbereich Informatik der Hochschule Darmstadt. Er wies auf die Gefahr des sogenannten “Morphing“ für die Funktion des Passes als Dokument der Identitätskontrolle hin, Dabei handelt es sich um ein Verfahren, mit digitaler Technik mehrere Gesichtsbilder zu einem einzigen zu verschmelzen, wodurch ein Pass gegebenenfalls für mehrere Personen nutzbar wird. Dem werde durch die neuen Bestimmungen ein wirksamer Riegel vorgeschoben.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Dem Regierungsentwurf zufolge muss das Passbild in Zukunft ausschließlich digital erstellt und durch eine sichere Übermittlung an die Passbehörde gesendet werden. Im Rahmen des Übermittlungsverfahrens soll auch die Biometrietauglichkeit geprüft werden; ferner ist eine erweiterte Möglichkeit der Lichtbildaufnahme in Behörden vorgesehen.
Um ein höchstmögliches Sicherheitsniveau zu erreichen, wurde laut Vorlage alternativ eine ausschließliche Lichtbild-Aufnahme vor Ort in den Behörden erwogen. Diese Option sei vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Folgen für den Fotofachhandel verworfen worden. Die Lösung einer ausschließlich digitalen Lichtbild-Übermittlung durch private Dienstleister sei nicht gewählt worden, um durch die Wahlmöglichkeit die Bürgerfreundlichkeit des Antragsprozesses zu erhöhen.
Angleichung von Geschlechtsangaben
Weiter zielt der Gesetzentwurf darauf ab, die Angaben des Geschlechts im Reisepass sowie im ausländerrechtlichen Dokumentenwesen den Standard-Bestimmungen der Internationale Zivilluftfahrtorganisation anzugleichen. Danach wird für eine Person, die weder männlich („M“) noch weiblich („F“) ist, in der visuell lesbaren Zone des Passes ein „X“ eingetragen, das in der maschinenlesbaren Zone durch das mathematische Zeichen für „kleiner als“ repräsentiert wird. „Um mögliche Formen der Diskriminierung beim Grenzübertritt zu unterbinden, soll eine Person, die eine Änderung nach Paragraf 45b des Personenstandsgesetzes (PStG) vorgenommen hat, entscheiden können, ob im Pass beziehungsweise im ausländerrechtlichen Dokument die bisherige oder nunmehr gültige Angabe eingetragen werden soll.“
Darüber hinaus soll den Angaben zufolge die Geltungsdauer von Kinderreisepässen auf ein Jahr verkürzt werden, eine mehrmalige Verlängerung des Kinderreisepasses um jeweils ein Jahr indes zulässig bleiben. Daneben soll die Beantragung eines sechs Jahre gültigen, biometrietauglichen Passes weiterhin möglich sein. Schließlich sieht der Gesetzentwurf unter anderem vor, für Strafgefangene zur Unterstützung der Wiedereingliederung eine Ausweispflicht ab drei Monaten vor Haftentlassung einzuführen.
Stellungnahme des Bundesrates
Der Bundesrat moniert in seiner Stellungnahme (19/22783) zu dem Gesetzentwurf, dass nach dem bisherigen Wortlaut die Nutzung der Seriennummer zur Klärung der Inhaberschaft unter anderem für die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden jeweils auf einen speziellen Fall mit Auslandsbezug beschränkt werde. Es müsse jedoch sichergestellt werden, dass grundsätzlich ermittelt werden kann, wer Inhaber des Passes beziehungsweise Personalausweises ist, so beispielsweise auch an Inlandsgrenzen. Der geplante Wortlaut bleibe hinter dem Bedarf zurück, Pässe und Ausweise bei unvollständigen Angaben ihren Inhabern zuzuordnen.
In ihrer Gegenäußerung lehnt die Bundesregierung den Vorstoß des Bundesrates ab. Aus ihrer Sicht ist „die Erweiterung der Befugnis zum automatisierten Abruf der Seriennummer über die im Regierungsentwurf genannten Fälle nicht erforderlich“. (wid/sto/26.10.2020)