Parlament

Abgeordnete blicken zurück auf 30 Jahre Deutsche Einheit

„Mutige Menschen sind damals auf die Straße gegangen“ – mit diesen Worten eröffnete die CDU-Abgeordnete Yvonne Magwas am Freitag, 2. Oktober 2020, die Vereinbarte Debatte „30 Jahre Deutsche Einheit“. Damit hat der Bundestag eine Bilanz der vergangenen 30 Jahre deutschen Zusammenlebens gezogen, und zwar mit Blick auf den 3. Oktober 1990.

„Uns später Geborenen wurde ein besseres Leben ermöglicht“, sagte die 40-jährige Magwas. Gleichzeitig erinnerte sie an die „abgewirtschaftete Planwirtschaft“ der DDR, deren Transformation sie als „herausfordernd“ beschrieb. „Wir müssen aber verstärkt den Blick nach vorn richten“, sagte sie, „wir leben im Herzen Europas, in einer gut funktionierenden Demokratie“.

AfD: Wir brauchen eine Sonderwirtschaftszone Ost

Viele Redner erinnerten in ihren Beiträgen daran, wie sie den Fall der Mauer und den Tag der Einheit 1990 erlebten. So auch Tino Chrupalla, der Co-Bundessprecher und Abgeordnete der AfD beschrieb das damalige Regime mit den Worten: „Das System stellte sich über die Wünsche der Menschen.“ Die DDR sei aber mehr gewesen, es habe auch Zusammenhalt und Gemeinschaft gegeben. „Es gab keinen Luxus, aber viel Hilfsbereitschaft.“

Diese Hilfsbereitschaft würden heute viele vermissen. „Einsamkeit ist ein Thema geworden“, bilanzierte er. Schließlich forderte er mit Blick auf die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands, welche 73 Prozent des deutschen Durchschnitts ausmache: „Wir brauchen eine Sonderwirtschaftszone Ost.“

SPD: Die Bürger im Osten haben die Freiheit erkämpft

Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) bemerkte in seiner Rede, dass 30 Jahre Einheit eine lange Zeit bedeuteten, „in etwa doppelt so lang wie die Weimarer Republik“. „Es waren die Bürger im Osten, die die Freiheit erkämpft haben“, sagte er. Die Einheit sei von unten gekommen. Ohne Einbindung von Deutschland in die EU wäre indes die Einheit nicht möglich gewesen.

In den 30 Jahren sei viel geglückt, es sei eine Erfolgsgeschichte. Besucher von außen würden keinen Unterschied zwischen Ost und West feststellen. Scholz erinnerte sich daran, wie er nach der Wende als junger Anwalt in Ostdeutschland Gewerkschaftsvertreter und andere Arbeitnehmer vertreten habe: „Eine andere Entwicklung wäre möglich gewesen.“ Es habe einen großen Strukturbruch gegeben.

FDP: Für viele im Osten ging es um die nackte Existenz

„Vereint wurde nicht nur ein Land, sondern auch Familien, die lange getrennt waren, wie meine eigene“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Die Menschen habe damals die Sehnsucht nach Freiheit und nach Wohlstand getrieben. Der Liberale erinnerte an Kanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher, die nie aufgehört hätten, an die Einheit zu glauben. „Ohne diese deutschen Staatsmänner wäre die Einheit nicht so gelaufen.“

Zum wirtschaftlichen Aspekt der Wiedervereinigung meinte Lindner: „Für viele im Osten ging es um nichts anderes als um die nackte Existenz.“ Er verwies aber auch auf die Errungenschaften: Es sei kein Zufall, dass ein Autobauer wie Tesla in Brandenburg siedele und der erste ausländische Bürgermeister in Rostock walte.

Linke: Treuhand war der Kardinalfehler der Einheit

„Die friedliche Revolution ist ein historisches Glück“, stellte Dr. Dietmar Bartsch fest, Co-Fraktionschef der Linken. „Wir sehen übrigens in Belarus, dass dies nicht selbstverständlich ist.“ Beim Bilanzziehen der vergangenen 30 Jahre gehe es ihm nicht um Dankbarkeit, sondern um Stolz. „Ich wünsche mir mehr Selbstbewusstsein der Ostdeutschen.“

Dann verwies er auf die Unterschiede: Dass die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr zwei Wochen länger arbeiten und 4.000 Euro weniger verdienen würden als ihre Nachbarn im Westen, dass es allein in Nordrhein-Westfalen mehr Bundesbehörden als im ganzen Osten gebe. Und: „Der Rückstand des Ostens hat wesentlich mit der Treuhand zu tun. Die Treuhand war der Kardinalfehler der Einheit.“

Grüne: Deutschland ist offener und vielfältiger geworden

In ihrer Rede drückte Katrin Göring-Eckardt, Co-Fraktionschefin der Grünen, ihre Verwunderung darüber aus, dass beim Bericht zum Stand der Einheit der Blick oft auf den Osten gerichtet sei. „Auch der Westen hat sich verändert“, sagte sie. „Deutschland ist ein anderes Land. Es ist offener und vielfältiger geworden.“

Die Vergleichszahlen mit Westdeutschland nannte sie dennoch „hart“, verwies nichtsdestoweniger auf den Erfolg der Biosphärenpolitik im Osten, „den sich westdeutsche Länder zum Glück abgeschaut haben“. Vieles sei selbstverständlich geworden. „Ein ‚Tatort‘ ohne den ostdeutschen Jan Josef Liefers? Denkbar, aber sinnlos.“

CDU/CSU dankt den Demonstranten von 1989 

Für die Union fasste Fraktionschef Ralph Brinkhaus seinen Dank für die Demonstranten aus, die 1989 für ihre Freiheit in der DDR auf die Straße gegangen waren. Auch lenkte er den Blick auf „die Freunde in Polen, Solidarność, Ungarn“ – sowie Michail Gorbatschow und das damals sowjetische Volk. Eine historische Lektion zog Brinkhaus aus den Geschehnissen: „Wer, wenn nicht wir, sollte an deren Seite stehen?“, fragte er zu den Ereignissen in Belarus und in Hongkong.
Zum Zusammenwachsen von Ost und West und den wirtschaftlichen Problemen, die Ostdeutsche zu erleben hatten, sagte Brinkhaus: „Ich möchte mich ausdrücklich dafür entschuldigen, dass wir im Westen das lange nicht gesehen haben.“ Schließlich mahnte er einen anderen Umgang im Bundestag an und setzte sich für weniger Polarisieren ein. „Wir sollten auf Augenhöhe versuchen die Argumente zu erwägen und zu streiten.“

Einigungsvertrag als Grundlage der Wiedervereinigung

Basis der Wiedervereinigung war der am 31. August 1990 vom damaligen Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble und dem Parlamentarischen Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten der DDR, Dr. Günther Krause, unterzeichnete Einigungsvertrag. Darin wurde unter anderem geregelt, dass die Wiedervereinigung auf der Basis des Artikels 23 des Grundgesetzes und nicht durch eine Verfassungsneuschöpfung erfolgen soll.

Nach dem damaligen Artikel 23 konnten „andere Teile Deutschlands“ dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitreten. So beschloss die Volkskammer der DDR am 23. August 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik. Am 20. September 1990 stimmten sowohl der Deutsche Bundestag als auch die Volkskammer für den Einigungsvertrag, der am 29. September 1990 in Kraft trat. (rüb/hau/02.10.2020)