Merkel: Zusammenhalt in Europa stärken
Ob die umstrittene Polizei-Kolumne in der taz, US-Sanktionen im Zusammenhang mit der Ostseegaspipeline „Nord Stream 2“, Kritik am Kohleausstiegsgesetz oder die Reaktion der Bundesregierung auf das chinesische Sicherheitsgesetz für Hongkong – das Themenspektrum der Fragen war breit, mit dem die Abgeordneten Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) im Rahmen ihrer zweiten Regierungsbefragung in diesem Jahr konfrontiert haben. Ihre einleitenden Worte zum Auftakt der einstündigen Befragung am Mittwoch, 1. Juli 2020, nutzte Merkel, um die die Ziele der Bundesregierung für beginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft zu erläutern.
Kanzlerin: Ratspräsidentschaft in einer „schwierigen Zeit“
Die Bundeskanzlerin betonte, Deutschland übernehme in einer „schwierigen Zeit“ für ein halbes Jahr den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Diese Zeit werde insbesondere von der Corona-Pandemie, den Bemühungen zu ihrer Eindämmung und der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen geprägt sein. Hier spiele der „beispiellose Aufbauplan“ eine zentrale Rolle, sagte die Kanzlerin: „In einer außergewöhnlichen Situation brauchen wir auch Lösungen, die besonders sind, damit Europa gestärkt aus der Krise hervorgeht.“
Allerdings, so räumte Merkel ein, lägen die Positionen der Mitgliedstaaten dazu derzeit „weit auseinander“. Es brauche noch „viele Gespräche“, um eine „zügige Einigung“ zu erreichen, „damit die wirtschaftliche Erholung rechtzeitig und nachhaltig möglich ist“. Wichtig sei insbesondere, dass „die Erholung allen zugute kommt und wir den Zusammenhalt in Europa stärken“, erklärte Merkel.
Corona, Brexit und die „Schlüsselfragen“
Darüber hinaus wolle die Bundesregierung die Ratspräsidentschaft nutzen, um Antworten auf „Schlüsselfragen“ wie digitale Souveränität, Klimaschutz und Europas Rolle in der Welt zu erarbeiten. Eine zusätzliche Herausforderung stelle die Gestaltung des künftigen Verhältnisses der EU zum Vereinigten Königreich dar. Hier seien die Fortschritte in den Verhandlungen bislang „sehr übersichtlich“, räumte die Kanzlerin ein.
Ziel bleibe aber weiterhin, im Herbst ein Abkommen zu beschließen, das bis Ende 2020 ratifiziert werden könne. Die Bundesregierung mache sich für eine „gute Lösung“ stark, bekräftigte Merkel, allerdings „müssen wir für den Fall vorsorgen, dass ein Abkommen doch nicht zustande kommt.“
Umgang mit polizeikritischer taz-Kolumne
Dr. Gottfried Curio, innenpolitischer Sprecher der AfD, griff die „Causa taz“ auf und warf der Bundeskanzlerin vor, die „Linkspresse“ zu schützen. Merkel habe Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) davon abgehalten, Strafanzeige gegen die äußerst polizeikritische Kolumne in der „tageszeitung“ (taz) zu stellen. Damit habe sie ein „wichtiges Zeichen“ gegen Polizeihetze unterbunden. „Wie kommen Sie dazu? Reichen Ihnen 19 verletzte Polizisten in Stuttgart nicht?“, fragte Curio mit Blick auf die Krawalle in der baden-württembergischen Landeshauptstadt im Juni.
Merkel betonte, die Bundesregierung stehe hinter der Polizei. Dass Angriffe auf Polizisten zunähmen, sei eine „besorgniserregende Entwicklung“, auf die die Bundesregierung bereits mit gesetzlichen Regelungen reagiert habe. Merkel unterstrich jedoch auch die Pressefreiheit. Dass Seehofer nun das Gespräch mit der taz suche, unterstütze sie. „Das ist der richtige Weg. So gehen Demokraten miteinander um.“
SPD fragt nach Ostseepipeline „Nord Stream 2“
Gabriela Heinrich (SPD) erkundigte sich nach den Auswirkungen von Sanktionen seitens der USA im Zusammenhang mit dem Bau der deutsch-russischen Pipeline „Nord Stream 2“. „Was bedeuten die Sanktionen für beteiligten Unternehmen und wie kann die Bundesregierung diese unterstützen?“, wollte die Abgeordnete wissen.
Merkel betonte, die Bundesregierung wisse um die „politischen Implikationen“ dieses Projekts. „Daher haben wir auch viel Kraft darauf verwendet, einen Transitgas-Vertrag mit der Ukraine auszuhandeln“, sagte Merkel. Allerdings machte sie auch klar, dass die „exterritorialen“ US-Sanktionen „nicht unserem Rechtsverständnis entsprechen“. Trotz Bauverzögerungen halte die Bundesregierung an dem Projekt fest.
Reaktion auf Sicherheitsgesetz für Hongkong
Gyde Jensen (FDP), Vorsitzende im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, verwies auf das von Peking verabschiedete neue Sicherheitsgesetz für Hongkong und wollte von der Kanzlerin wissen, ob Deutschland seinen einmonatigen Vorsitz im UN-Sicherheitsrat auch für eine Sondersitzung des Gremiums zum Vorgehen Chinas nutzen werde. „Werden Sie im Sicherheitsrat für eine Sondersitzung stimmen und damit das Thema Menschenrechte ganz oben auf die Tagesordnung setzen?“, erkundigte sich Jensen.
Merkel räumte ein, dass sie sich darüber noch nicht konkret mit dem Außenminister abgestimmt habe, erklärte aber, dass die Bundesregierung generell auf mehr Transparenz seitens China in Menschenrechtsfragen dringe und sich dafür einsetzen werde, dass diese auch im Sicherheitsrat zur Sprache kämen. Sie dämpfte jedoch zu große Erwartungen: „Aus leidvoller Erfahrung wissen wir, dass die Harmonie im UN-Sicherheitsrat in vielen wichtigen Fragen nicht sehr groß ist.“
Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
Florian Hahn (CDU/CSU) lenkte den Blick auf die beginnende EU-Ratspräsidentschaft. „Wie kommen wir bei wirtschaftlich wichtigen Themen wie Innovation, Wettbewerbsrecht und digitale Souveränität hier voran?“
Merkel verwies in ihrer Antwort auf den sogenannten Aufbaufonds. Dieser solle helfen, „dass solche Zukunftsthemen angesichts einbrechender Steuereinnahmen nicht auf der Strecke bleiben.“ Aber natürlich müsse auch jeder Mitgliedstaat seinen Beitrag leisten, so Merkel. Zudem plane die Bundesregierung die Themen Wettbewerbsrecht und Bürokratieabbau auf die Tagesordnung setzen.
Soziale Absicherung von Beschäftigten in der Krise
Susanne Ferschl (Die Linke) lenkte den Blick wieder zurück auf den deutschen Arbeitsmarkt. Angesichts der Corona-Krise zeige sich erneut, dass „prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne keinen sozialen Schutz“ böten und die soziale Spaltung der Gesellschaft förderten, sagte Ferschl und fragte die Kanzlerin: „Was tun Sie, um für gut entlohnte und sichere Arbeit zu sorgen?“
Merkel räumte ein, dass die Corona-Pandemie zum „stärksten Wirtschaftseinbruch“ seit Langem geführt habe. Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt seien daher unausweichlich. Doch mit dem Kurzarbeitergeld baue die Bundesregierung „Brücken“ und reagiere zudem auf Missstände „wo notwendig“, sagte Merkel und verwies als Beispiel auf das geplante Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie.
Grüne kritisieren geplantes Kohleausstiegsgesetz
Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, thematisierte die gefundene Einigung in der Koalition zum geplanten Kohleausstiegsgesetz. „Sie haben immer gesagt, dass damit das Ergebnis der Kohlekommission eins zu eins umgesetzt werden soll“, erinnerte Krischer. Nun sei es aber so, dass im Bereich des Klimaschutzes „erheblich“ davon abgewichen werde. „Wann und warum wurde so entschieden?“
Merkel wehrte sich gegen den Vorwurf: Der Kohleausstieg sei ein „großer Schritt“, unterstrich sie. Die Ergebnisse der Kommission seien „in Kernpunkten“ aufgenommen worden. Es sei aber nie versprochen worden, das Ergebnis „eins zu eins“ zu übernehmen, so die Kanzlerin. (sas/01.07.2020)