Regierungsentwurf zur Grundrente erstmals beraten
Die Bundesregierung will die Renten langjährig Versicherter mit unterdurchschnittlichem Einkommen aufstocken. Der Bundestag hat am Freitag, 15. Mai 2020, in erster Lesung über den Gesetzentwurf zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz, 19/18473) beraten. Im Anschluss wurde der Entwurf zur weiteren Beratung in den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.
Minister: Mehr verdient als Anerkennung
Wie zu erwarten, unterstrichen die Koalitionsfraktionen, dass die Grundrente nach zehn Jahren Diskussion nun kommen müsse. Auch die Oppositionsfraktionen forderten im Prinzip nichts anderes, störten sich nur an dem derzeit vorliegenden Modell von Bundesarbeits- und sozialminister Hubertus Heil (SPD). Der bezeichnete die Einführung der Grundrente gerade für jene Berufsgruppen als wichtig, die derzeit als „Helden der Coronakrise“ beschrieben würden und die dafür viel Anerkennung bekämen. „Aber Anerkennung reicht nicht: Diese Menschen haben mehr verdient: anständige Löhne und anständige Renten“, sagte der Minister.
Angesichts der milliardenschweren Forderungen nach Steuergeld, die von Seiten der Wirtschaftsverbände derzeit an die Politik herangetragen würden, gehe es nicht nur um die Frage, ob „wir uns die Grundrente leisten“ können. „Welches verheerende Signal löst es aus, wenn wir uns die Grundrente jetzt nicht leisten?“, fragte Heil.
AfD: Zu teuer und wirkungslos
Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) warf den Koalitionsfraktionen vor, mit ihren Reformen der vergangenen Jahre das Problem der Altersarmut mitverursacht zu haben. „Die Koalitionsparteien sind verantwortlich für die niedrigen Renten und feiern sich jetzt für die Grundrente“, ärgerte sich die Abgeordnete.
Die Grundrente sei nicht zielgenau, viel zu teuer und weitgehend wirkungslos. Außerdem sei sie verfassungsrechtlich bedenklich, da sie das Äquivalenzprinzip, dass höhere Einzahlungen auch zu einer höheren Rente führen, aushebele, so Schielke-Ziesing.
CDU/CSU: Wir wollen die Grundrente
Hermann Gröhe (CDU/CSU) rechnete vor, dass eine Floristin mit der Grundrente statt 500 Euro künftig 900 Euro Rente bekommen werde. Die Menschen wollten Leistungsgerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit, beides verbinde die Grundrente mit der Einkommensprüfung.
„Gießkanne ist mit uns nicht zu machen. Sie schafft neue Ungerechtigkeiten“, betonte Gröhe und stellte klar: „Wir wollen die Grundrente. Zielgenau und vernünftig finanziert.“
FDP: Am Ende greifen Sie in den Topf der Steuerzahler
Johannes Vogel (FDP) sprach genau diese Eigenschaften dem Modell von Hubertus Heil ab. Wie die AfD, so kritisierte auch die FDP, die Grundrente gehe an vielen Bedürftigen vorbei und die Finanzierung stehe auf äußerst wackligen Füßen. Dabei sei ein Konzept gegen Altersarmut seit Langem überfällig, so Vogel.
Eine Steuer, die es nicht gebe, könne man auch nicht zur Finanzierung benutzen, sagte er mit Verweis auf die noch nicht existierende Finanztransaktionsteuer. „Am Ende werden Sie doch in den Topf der Steuerzahler greifen, was immer zulasten der jüngeren Generation geht“, prophezeite er.
Linke: Der Name ist „grottenfalsch“
Matthias W. Birkwald (Die Linke) kritisierte, der Begriff Grundrente sei „grottenfalsch“. Er gaukele den Menschen mehr vor als er halten könne, denn viele der Altenpflegerinnen, Kassiererinnen oder Paketboten würden nach dem derzeitigen Modell leer ausgehen und weiter zum Sozialamt gehen müssen. „Das ist enttäuschend“, sagte Birkwald.
Es sei eine reformierte und verkomplizierte Rente nach Mindestentgeltpunkten. Die originale Rente nach Mindestentgeltpunkten für niedrige Renten gelte nur noch für Rentenzeiten bis 1991. Sie müsse aber auch für Zeiten danach gelten, forderte er.
Grüne: Wahnwitzig komplizierte Verfahren
Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) hatte zwar auch viel Kritik an dem Modell der Grundrente, betonte aber zugleich, dass es gut sei, dass es nun eine erste Lesung des Entwurfs gebe und so die Chance da sei, zu diskutieren, wie eine Mindestsicherung im deutschen Rentensystem aussehen könnte. Denn wenn aus jahrzehntelanger Arbeit keine auskömmliche Rente erwachse, unterhöhle dies das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme.
Da ein Signal zu setzen, sei gerade auch in der Coronakrise wichtig, sagte Kurth. Gleichzeitig kritisierte er ein „wahnwitzig kompliziertes Abschlags- und Aufschlagssystem“ bei der Berechnung der Grundrente.
SPD: Vor der Sommerpause zügig umsetzen
Katja Mast (SPD) zeigte sich ebenfalls froh über die Debatte und betonte, es handele sich bei der Grundrente um keine Fürsorgeleistung, sondern um einen Anspruch, der durch Arbeit erworben wurde. Das sei auch der Unterschied zu den Freibetragsmodellen von AfD und FDP.
Natürlich werde die Umsetzung für die Rentenversicherung noch schwierig. Gerade deshalb sei es jedoch so wichtig, das Gesetz bis zur Sommerpause zu verabschieden, betonte Mast.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Kernstück des Grundrentengesetzes ist die Einführung einer Grundrente für langjährig in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherte, die jedoch an bestimmte Bedingungen geknüpft ist: Wenn mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten vorliegen, das sind vor allem Zeiten, in denen Pflichtbeiträge aufgrund einer Beschäftigung, Kindererziehung oder Pflegetätigkeit an die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt wurden, soll die Rente um einen Zuschlag erhöht werden, wenn die Entgeltpunkte des Erwerbslebens unterdurchschnittlich, aber nicht ganz gering waren. Dabei soll der Grundrentenzuschlag in einer Staffelung von 33 bis 35 Jahren ansteigend berechnet werden, damit auch Versicherte mit weniger als 35 Jahren Grundrentenzeiten einen Zuschlag erhalten können.
Die Grundrente richtet sich nach der Höhe der erworbenen Entgeltpunkte. Dadurch werde sichergestellt, dass sich eine langjährige Beitragszahlung auch bei unterdurchschnittlichem Einkommen lohnt. Dieselbe Anerkennung sollten Zeiten der Kindererziehung und Pflege erfahren, begründet die Regierung ihre Initiative. Sie zeigt sich überzeugt, dass insgesamt rund 1,3 Millionen Menschen von der Grundrente profitieren werden, davon rund 70 Prozent Frauen. „Allerdings sollen diejenigen Personen keine Grundrente erhalten, deren Arbeitsentgelte häufig lediglich die Bedeutung eines ergänzenden Einkommens hatten, wie dies insbesondere bei ‚Minijobbern‘ der Fall ist. Um die Zielgenauigkeit der Grundrente zu erhöhen, soll daher ein Anspruch auf die Grundrente nur dann bestehen, wenn ein Entgelt von mindestens 30 Prozent des Durchschnittsentgelts versichert worden ist“, heißt es im Gesetzentwurf weiter.
Einkommensprüfung zur Feststellung des Bedarfs
Der Zugang zur Grundrente soll über die Feststellung des Grundrentenbedarfes mittels einer Einkommensprüfung stattfinden. Dabei soll zunächst ein monatlicher Einkommensfreibetrag in Höhe von 1.250 Euro für Alleinstehende und 1.950 Euro für Eheleute oder Lebenspartner gelten. Übersteigt das Einkommen den Freibetrag, soll die Grundrente um 60 Prozent des den Freibetrag übersteigenden Einkommens gemindert werden. Übersteigt das Einkommen von Alleinstehenden zudem einen Betrag von 1.600 Euro monatlich, soll zusätzlich das über dieser Grenze liegende Einkommen zu 100 Prozent auf die Grundrente angerechnet werden.
Für Eheleute oder Lebenspartner erfolgt die Anrechnung von Einkommen zu 100 Prozent ab Überschreiten eines Betrages von monatlich 2.300 Euro. Einkünfte von Ehegatten oder Lebenspartnern sollen unabhängig davon berücksichtigt werden, ob sie sich steuerlich zusammen oder einzeln veranlagen lassen. Für die Einkommensprüfung soll auf das zu versteuernde Einkommen abgestellt werden. Gleich hohe Renten sollen gleichbehandelt werden. Daher soll das zu versteuernde Einkommen unter Hinzurechnung des steuerfreien Teils der Rente beziehungsweise eines Versorgungsfreibetrages und der Einkünfte aus Kapitalvermögen zugrunde gelegt werden. Die Übermittlung des zu versteuernden Einkommens soll durch einen automatisierten Datenabgleich zwischen der Rentenversicherung und den Finanzbehörden erfolgen.
Die Kosten der Grundrente von rund 1,3 Milliarden Euro im Einführungsjahr 2021 sollen vollständig durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung finanziert werden. Der Bundeszuschuss soll ab dem Jahr 2021 dauerhaft um 1,4 Milliarden Euro erhöht werden. Der Gesetzentwurf sieht in einem weiteren Aspekt die Einführung von Freibeträgen im Wohngeld in der Grundsicherung für Arbeitsuchende des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II), in der Hilfe zum Lebensunterhalt, in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) und in den fürsorgerischen Leistungen der Sozialen Entschädigung vor. (che/sas/15.05.2020)