Abgeordnete fordern internationale Gesundheitskooperation
Mit breiter Mehrheit treten die Abgeordneten des Bundestages angesichts der Erfahrungen in der Corona-Krise für eine stärkere internationale Zusammenarbeit in der Gesundheitspolitik ein. In mehreren Anträgen, die am Donnerstag, 28. Mai 2020, auf der Tagesordnung des Parlaments standen, sprechen sich die Fraktionen unter anderem dafür aus, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu stärken sowie wichtige Medikamente und Impfstoffe global zur Verfügung zu stellen. Nur die AfD-Fraktion äußerte sich kritisch zur Rolle der WHO in der globalen Gesundheitspolitik.
„WHO ausreichend finanzieren“
In der Corona-Krise werde deutlich, dass den großen Herausforderungen nicht mehr nur mit nationalstaatlichen Mitteln begegnet werden könne, heißt es in einem Antrag (19/19491) der Fraktionen von Union und SPD, der mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von AfD und Linke bei Enthaltung von Grünen und FDP beschlossen wurde. Die wesentlichen Faktoren für ein gesundes Leben würden in einer immer stärker vernetzten und mobilen Welt zunehmend global bestimmt.
Die WHO sei die einzige international legitimierte, normgebende Autorität in Gesundheitsfragen und müsse gestärkt und ausreichend finanziert werden. Die Abgeordneten fordern von der Bundesregierung einen ressortübergreifenden Austausch zum Thema globale Gesundheit. Dies beziehe insbesondere die Bereiche Landwirtschaft, Umwelt, Bildung, Forschung, Außenwirtschaft und Gleichstellung ein.
Kampf gegen multiresistente Erreger
Die FDP-Fraktion weist in ihrem Antrag (19/19512) darauf hin, dass alle Länder gefährdet seien, unabhängig vom Entwicklungsstatus oder der Stärke des Gesundheitssystems. Die Abgeordneten fordern einen Aktionsplan zur globalen Gesundheitspolitik. Die Entwicklungszusammenarbeit sollte auch das Ziel haben, die Gesundheitssysteme der Schwellen- und Entwicklungsländer zu stärken.
Die Bemühungen im Kampf gegen multiresistente Erreger müssten ausgebaut und das Engagement gegen vernachlässigte und armutsbedingte Tropenkrankheiten verstärkt werden. Der FDP-Antrag fand keine Zustimmung bei den übrigen Fraktionen des Hauses und wurde im Anschluss an die Debatte abgelehnt.
3,5 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit
Die Linksfraktion fordert in einem Antrag (19/19485), ab dem Haushalt 2021 mindestens 0,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE), rund 3,5 Milliarden Euro, für gesundheitsbezogene Entwicklungszusammenarbeit einzuplanen. Zudem sollten ab dem Haushalt 2021 mindestens 0,2 Prozent des BNE für die ärmsten Länder vorgesehen werden. Die deutschen Beiträge an die WHO müssten deutlich aufgestockt werden.
Der Einfluss privater Sponsoren, Stiftungen und Unternehmen auf die Herstellung und Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten solle beendet werden. An die Stelle sollten öffentlich finanzierte Strukturen treten.
Gerechte Impfstoffverteilung
Auch die Grünen-Fraktion fordert eine Neuausrichtung der globalen Gesundheitspolitik. Die Pandemie lege schonungslos offen, wie verwundbar und vernetzt die globale Gemeinschaft sei, heißt es in einem Antrag der Fraktion (19/19496). Nach Ansicht der Abgeordneten sollten mindestens 0,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich zur Verfügung gestellt werden.
In Deutschland, Europa und der Welt müsse ein schnellstmöglicher Zugang zu bezahlbaren Generika ermöglicht werden. Lebenswichtige Medikamente wie Antibiotika und Impfstoffe müssten global gerecht und menschenrechtskonform verteilt werden. Die Anträge der Linken und Grünen wurden zur weiteren Beratung in den federführenden Gesundheitsausschuss überwiesen.
CDU/CSU: Krankheiten halten sich nicht an Landesgrenzen
Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) sagte, Gesundheit sei aus Sicht der Bevölkerung zumeist ein nationales Thema mit einer selten über die Grenzen hinausreichenden Blickrichtung. Das habe sich mit der Corona-Pandemie geändert. Krankheiten hielten sich nicht an Landesgrenzen. Dies müsse als Auftrag verstanden werden, sich den Herausforderungen zu stellen. Die WHO stehe dabei an der Spitze der Bewegung und arbeite schon seit 1949 an internationalen Gesundheitsstandards.
Gleichwohl seien die lokalen Gesundheitssysteme das Fundament für die Versorgung, sie müssten leistungsfähig und für jeden erreichbar sein. Schwache Gesundheitssysteme in Entwicklungs- und Schwellenländern seien eine Ursache für den Ausbruch von Pandemien. In der Krise seien alle aufgefordert, die WHO in ihrer koordinierenden Funktion zu stützen.
SPD hält nationale Reflexe für eine Sackgasse
Heike Baehrens (SPD), die den Unterausschuss globale Gesundheit leitet, wies auf die Bedeutung der Gesundheit für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung in den Staaten hin. Die globale Gesundheitspolitik sei keine Wohltätigkeitsveranstaltung, vielmehr zahlten sich Investitionen in Gesundheit vielfach aus.
Wenn Menschen Zugang hätten zu einer guten Gesundheitsversorgung, sei das der wirksamste Impuls für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Baehrens sprach sich nachdrücklich für den Erhalt des multilateralen Engagements aus und betonte in Anspielung auf die USA: „Nationale Reflexe führen in die Sackgasse.“ Es müsse alles getan werden, um die WHO in ihrer Führungsfunktion zu stärken. Ein Impfstoff gegen das Coronavirus müsse zum globalen öffentlichen Gut werden und allen Menschen zur Verfügung stehen. Es gehe jetzt darum, über Grenzen hinweg füreinander einzustehen.
FDP: Paradigmenwechsel in der globalen Gesundheitspolitik
Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP) forderte einen Paradigmenwechsel in der globalen Gesundheitspolitik. „Gesundheit ist das kostbarstes Gut der Welt.“ Bei guter Gesundheit sei alles möglich, Potenziale könnten ausgeschöpft werden, die von Menschen und die der Wirtschaft. Gesundheit sei auch die Grundlage zur Beendigung von Armut.
Kein Land könne die aktuelle Pandemie im Alleingang bewältigen, die Infektion müsse auf der ganzen Welt bekämpft werden. Nötig seien starke und widerstandsfähige Gesundheitssysteme, in die mehr investiert werden müsse. Die Investition lohne sich, denn Gesundheit sei die Grundlage für Sicherheit, Stabilität und Entwicklung. Ullmann forderte: „Holen wir die Weltgesundheit aus dem Krankenhaus.“
Linke: Viele Menschen ohne Zugang zu Medikamenten
Nach Ansicht von Eva-Maria Schreiber (Die Linke) muss die Pandemie ein Weckruf zur Stärkung der WHO sein. Dieser Weckruf scheine von den meisten Staaten auch gehört worden sein. Von Deutschland forderte sie höhere Beiträge zur WHO und eine Umverteilung von Geldern aus dem Verteidigungsetat in die Gesundheitsvorsorge.
Es sei ein Skandal, „dass für den Tod mehr Geld zur Verfügung steht als für Leben und Gesundheit“. Schreiber sagte, sie wolle das Engagement privater Finanziers für die globale Gesundheit nicht verteufeln, allerdings müssten die Staaten über die Gesundheitspolitik entscheiden und „nicht einzelne Milliardäre“. Sie wies darauf hin, dass nach wie vor viele Menschen ohne Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen seien und forderte: „Alle Länder brauchen funktionierende öffentliche Gesundheitssysteme.“ Als positives Beispiel nannte sie Kuba, wo die Lebenserwartung höher sei als in den USA.
Grüne: Gesundheitsthema nicht isoliert betrachten
Auch Ottmar von Holtz (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte Versäumnisse in der globalen Gesundheitspolitik und forderte einen gerechten Zugang zu hochwertigen und bezahlbaren Medikamenten und Impfstoffen in allen Ländern. Zwar stehe derzeit die Eindämmung der Pandemie im Vordergrund, darüber dürfe aber nicht vergessen werden, worum es eigentlich gehe: die Abwärtsspirale in armen Ländern zu unterbrechen.
Der unzureichende Zugang zur Gesundheitsversorgung führe zu noch mehr Armut. Nach Ansicht von von Holtz kann das Gesundheitsthema nicht isoliert betrachtet werden, es stehe im Zusammenhang etwa mit Tierhaltung, Lebensräumen, dreckiger Luft, Wasser, sanitären Einrichtungen, Bildung und Aufklärung, dies alles wirke auf die Gesundheit der Menschen ein. Die WHO, die als Dreh- und Angelpunkt die Koordinierung übernehmen müsse, sei massiv unterfinanziert. Internationale Politik sei keine Spielweise, es gehe um Menschenleben.
AfD sieht Versagen der WHO während Corona
Die AfD-Fraktion stellte die nationale Gesundheitspolitik in der Corona-Krise ebenso infrage wie die Rolle der WHO auf globaler Ebene. Ulrich Oehme (AfD) kritisierte den Antrag der Koalitionsfraktionen als „Wischiwaschi“ und rügte, Deutsches Steuergeld werde ausgeschüttet, ohne zu wissen, ob es sinnvoll eingesetzt werde.
Die WHO habe in der Corona-Krise versagt und sich als inkompetent erwiesen. So hätte die WHO viel früher handeln müssen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die WHO sei das Geld nicht wert, das sie bekommen habe. Die nationalen Regierungen hätten früher Einreiseverbote verhängen müssen. „Wir können nur froh sein, dass Sars-Cov-2 nicht so tödlich ist wie die Pest im Mittelalter.“ (pk/28.05.2020)