In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalisten deutlich erhöht. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ zählte im Jahr 2020 mindestens 65 gewalttätige Übergriffe. Gegenüber dem Vorjahr seien dies fünfmal so viele Fälle, heißt es in ihrem aktuellen Bericht zur internationalen Situation der Pressefreiheit. Die Mehrheit der Angriffe habe sich auf oder am Rande von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen ereignet. Reporter ohne Grenzen stufte Deutschland deshalb in seiner „Rangliste der Pressfreiheit“ von Platz 11 auf Platz 13. Damit gilt die Situation der Pressefreiheit in Deutschland nicht mehr länger als „gut“, sondern nur noch als „zufriedenstellend“.
Mit Ausnahme der AfD-Fraktionen verurteilten alle anderen Fraktionen am Freitag, 7. Mai 2021, im Rahmen einer Debatte zum Schutz von Pressefreiheit und Medien diese Übergriffe. Die freie und ungehinderte Berichterstattung durch die Medien sei ein elementares Wesensmerkmal einer Demokratie und des Rechtsstaates, lautete das einhellige Urteil. Die Redner der AfD hingegen gingen mit keiner Silbe auf die Übergriffe ein, setzten sich ausschließlich mit einem von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrag zur Gemeinnützigkeit von sogenanntem Non-Profit-Journalismus auseinander.
CDU/CSU: Für den Staat besteht Handlungsbedarf
Die kulturpolitischer Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Motschmann (CDU/CSU), verwies darauf, dass die Pressefreiheit in Deutschland nicht wie in Diktaturen und autoritären Systemen nicht durch den Staat gefährdet werde, sondern durch die Respektlosigkeit, den Hass und die Gewalt, die Journalisten auf den Demonstrationen der Querdenker-Szene gegen die Corona-Maßnahmen erleiden.
Für den Staat bestehe deshalb Handlungsbedarf. Es müssten verstärkt Gespräche zwischen den zuständigen Ländern, der Polizeien und den Journalistenverbänden über Schutzkonzepte geführt werden. So habe beispielsweise die Polizei in Baden-Württemberg einen Kodex zum Umgang mit der Presse erarbeitet.
FDP: Zahl der Übergriffe „alarmierend und beschämend“
Der FDP-Kulturpolitiker Thomas Hacker bezeichnete die gestiegene Zahl von Übergriffen auf Journalisten als „alarmierend und beschämend“. Wenn die Arbeit von Journalisten in einem Kriegsgebiet statistisch gesehen ungefährlicher sei als in einer deutschen Großstadt, „dann haben wir ein Problem“.
Übergriffe auf Medienvertreter seien nicht nur ein Angriff auf die Pressefreiheit, sondern auch auf den Rechtsstaat und die Demokratie insgesamt.
SPD: Viele Forderungen sind bereits umgesetzt
Der kulturpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rabanus, äußerte Verständnis für die Forderungen der Opposition nach mehr Schutzkonzepten für Journalisten. Allerdings seien bereits viele dieser Forderungen in den Ländern umgesetzt worden oder seien in der Umsetzung. Deshalb lehne man die Anträge ab. Zudem habe die Koalition auf Bundesebene bereits verschiedene Maßnahmen ergriffen, etwa durch das Gesetz gegen Hass und Hetze.
Zugleich räumte er ein, dass sich seine Fraktion weitergehende gesetzliche Schritte zur Unterstützung der Presse gewünscht habe, so etwa ein Informationszugangsgesetz und ein Gesetz zum Quellenschutz. Die entsprechenden Entwürfe der SPD seien aber von der Union in der Koalition bislang blockiert worden.
Linke: Pressefreiheit durch Verwerfungen auf dem Markt bedroht
Doris Achelwilm (Die Linke) hielt der Koalition entgegen, es reiche nicht aus, immer nur auf die Verantwortlichkeit der Länder beim Schutz der Pressefreiheit zu verweisen. Diese sei auch nicht nur durch gewalttätige Übergriffe bedroht, sondern auch durch die Verwerfungen auf dem Medienmarkt.
Der Lokaljournalismus kämpfe um das Überleben, der Markt werde von wenigen großen Medienhäusern beherrscht, der Berufsalltag von vielen Medienschaffenden sei von Unterbezahlung und sozialer Unsicherheit geprägt.
Grüne: Konsequenzen aus dem Zeitungssterben ziehen
Für Bündnis 90/Die Grünen forderte deren Abgeordnete Margit Stumpp die Bundesregierung auf, Konsequenzen aus dem Zeitungssterben und der zunehmenden Medienkonzentration zu ziehen. Sie sprach sich dafür aus, bei der anstehenden Reform der Abgabenordnung den Katalog der gemeinnützigen Zwecke um den Zweck des gewinnzweckfreien Journalismus zu erweitern. Der unabhängige Non-Profit-Journalismus erfülle neben den öffentlich-rechtlichen und privaten Medien eine wichtige Funktion in der Demokratie, indem er zur Medien- und Meinungsvielfalt beitrage.
Ein Verein wie „Correktiv“ beispielsweise, der in der Öffentlichkeit hauptsächlich für seine journalistische Arbeit bekannt sei, komme nur über seine zusätzliche Bildungsarbeit in den Genuss des Gemeinnützigkeitsprivilegs.
AfD: Es geht um Meinungshoheit und kulturelle Hegemonie
Auf massive Kritik stieß der Antrag der Grünen vor allem bei der AfD-Fraktion. Die Grünen würden vergessen, dass mit Journalismus eben auch Geld verdient werden müsse, führte deren Abgeordneter Martin E. Renner aus. Zudem existiere in Deutschland bereits in Form des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein staatlich beziehungsweise aus Gebühren finanzierter Non-Profit-Journalismus.
In Wahrheit gehe es den Grünen nur darum, ihnen politisch genehme Organisationen zu unterstützen, es gehe um Meinungshoheit und kulturelle Hegemonie von „Öko-Sozialisten“ und Kommunisten, sagte Renner.
Anträge der FDP und der Grünen abgelehnt
Abgelehnt wurden drei Anträge der FDP-Fraktion mit den Titeln „Journalisten schützen – Pressefreiheit gewährleisten“ (19/19129), „Privatrundfunk vor dem Corona-Kollaps bewahren“ (19/20196) und „Für einen freien und fairen Medienmarkt – Desinformation mit Qualität begegnen“ (19/23107), zu denen der Ausschuss für Kultur und Medien eine Beschlussempfehlung vorgelegt hatte (19/27049). Dem ersten Antrag stimmten neben der FDP auch die Grünen zu, während sich die Linksfraktion enthielt und die übrigen Fraktionen dagegen stimmten. Beim zweiten und dritten Antrag enthielten sich Die Linke und die Grünen, die Koalitionsfraktionen und die AfD lehnten ihn ab.
Keine Mehrheit fand auch ein Antrag der Grünen, die Non-Profit-Journalismus als gemeinnützig anerkennen wollten (19/20790). Dazu lag eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vor (19/29378). Die Linke unterstützte den Antrag der Grünen, die Koalitionsfraktionen, die AfD und die FDP stimmten dagegen.
Einen neuen Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Pressefreiheit und Journalistinnen und Journalisten besser schützen“ (19/27320) überwies der Bundestag zur weiteren Beratung an den federführenden Innenausschuss.
Erster Antrag der FDP
Die Liberalen forderten die Bundesregierung in ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/19129) auf, gemeinsam mit den Bundesländern, den Rundfunkräten, dem Fernsehrat, dem Presserat und anderen Akteuren der Medienlandschaft die Gewalt gegenüber Journalisten und Pressevertretern öffentlich zu verurteilen und eine Kampagne zur Bedeutung und Freiheit der Medien und des Journalismus zu starten. Die Abgeordneten verwiesen auf gewalttätige Übergriffe gegenüber Journalisten und Kamerateams der ARD und des ZDF. Es sei notwendig, „Gewalt zu unterbinden und unsere freien und fest angestellt arbeitenden Journalistinnen und Journalisten sowie die Presse- und Medienvertreter zu schützen, um die verfassungsrechtlich festgeschriebene Pressefreiheit dauerhaft zu gewährleisten“, hieß es im Antrag.
Die Fraktion sprach sich zudem dafür aus, eine Aufklärungskampagne und Sonderveröffentlichungen der Bundeszentrale für politische Bildung zu initiieren und das Thema auch in der schulischen Bildung hervorzuheben. In Zusammenarbeit mit den Ländern sollten Konzepte für die Aus- und Fortbildung von Polizisten im Medienrecht und zum Umgang mit Journalisten sowie für die Aus- und Fortbildung von Pressevertretern zum Umgang mit gewalttätigen Übergriffen und anderen Bedrohungsszenarien entwickelt werden.
Zweiter Antrag der FDP
Hilfen für den Privatrundfunk verlangte die FDP in ihrem zweiten, aus dem Juni 2020 stammenden und ebenfalls abgelehnten Antrag (19/20196). Die Bundesregierung wurde darin aufgefordert, den lokalen, regionalen, landes- und bundesweiten privaten Hörfunk- und Fernsehsendern eine Übernahme der technischen Verbreitungskosten zu gewähren. Zudem sprach sich die Fraktion für steuerliche Erleichterungen für den privaten Rundfunk aus. So sollten der aktuell einjährige Verlustrücktragszeitraum auf fünf Jahre und das Rücktragvolumen auf fünf Millionen Euro ausgeweitet werden.
Zudem sollte ein sofortiger Verlustrücktrag in Höhe der geschätzten Verluste im Jahr 2020 ermöglicht und die Mindestbesteuerung beim Vortrag von Verlusten zeitlich befristet ausgesetzt werden. Ebenso sprachen sich die Liberalen dafür aus, Filmproduktionen durch einen Ausfallfonds vor Verlusten bei coronabedingten Produktionsunterbrechungen abzusichern.
Dritter Antrag der FDP
Für einen freien und fairen Medienmarkt sprachen sich die Liberalen in ihrem dritten abgelehnten Antrag (19/23107) aus.
Danach sollte der Desinformation mit Qualität begegnet werden, indem in Abstimmung mit den Organen der Europäischen Union sowie im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft darauf hingewirkt werden sollte, dass die bereits angestoßenen Maßnahmen zur Bekämpfung und Aufdeckung von Desinformationskampagnen weiter nachhaltig ausgebaut werden.
Antrag der Grünen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wollte mit ihrem abgelehnten Antrag (19/20790) Konsequenzen aus dem Zeitungssterben in Deutschland ziehen und unabhängigen Non-Profit-Journalismus stärker fördern. Bei der anstehenden Reform der Abgabenordnung sollte der Katalog der gemeinnützigen Zwecke um den Zweck des gewinnzweckfreien Journalismus erweitert werden.
In der Begründung des Antrags hieß es, mittlerweile habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das zunehmende Zeitungssterben gerade im lokalen Bereich ein Problem darstelle. Die Auflagenzahlen von Tageszeitungen seien seit Anfang der 1990er-Jahre stark rückläufig. Verkauften die Verlage 1991 in Deutschland insgesamt noch 27 Millionen Exemplare täglich, so seien es 2019 nur noch 13,5 Millionen Exemplare gewesen. Eine zunehmende Medienkonzentration gebe Anlass zur Sorge: Die zehn größten Verlagsgruppen vereinigten mittlerweile über 60 Prozent der Tagespresse auf sich.
Antrag der Linken
Die Linksfraktion fordert in ihrem neuen Antrag (19/27320) von der Bundesregierung, einen periodischen Bericht „über den Stand, notwendige Schutzmaßnahmen und Herausforderungen für die Pressefreiheit in Deutschland“ zu erstellen und dabei auch die ökonomischen Konzentrationsprozesse und ihre Auswirkungen auf Pressefreiheit und -vielfalt zu analysieren.
Auch solle die Bundesregierung nach dem Willen der Fraktion Instrumente entwickeln, „die vor allem kleinere Verlage und recherchebasierte Formate mit hohem redaktionellen und regionalen Anteil bei notwendigen Investitionen zur Bewältigung des Medienstrukturwandels möglichst staatsfern unterstützen“. Ferner fordert die Fraktion, bei der Umsetzung einer EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, im Zuge eines Whistleblower-Schutzgesetzes auch diejenigen zu schützen, die Verstöße gegen nationales Recht melden. (aw/sto/hau/07.05.2021)