Bundestag berät weiteres Vorgehen in der Corona-Krise
Um das weitere Vorgehen in der Corona-Krise über die Vorhaben der Koalition hinaus ging es in einer Debatte am Donnerstag, 23. April 2020. Zugrunde lagen Anträge der FDP-Fraktion mit dem Titel „Klare und transparente Kriterien für eine differenzierte Öffnungsstrategie“ (19/18711) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Rettungsschirm Zivilgesellschaft – Jetzt Soforthilfe für kleine und gemeinnützige Organisationen aufgrund der Covid-19-Pandemie schaffen“ (19/18709) sowie „Coronahilfen – Sozialunternehmen in der Krise eine Chance geben“ (19/18714). Anschließend wurde der FDP-Antrag sowie der zweite Antrag der Grünen (19/18714) zur federführenden Beratung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen. Der erste Antrag der Grünen (19/18709) soll federführend im Familienausschuss beraten werden.
FDP fordert Exit-Strategie
Für die FDP-Fraktion warf Michael Theurer der Bundeskanzlerin vor, sie habe in ihrer Regierungserklärung am Morgen „die Chance verpasst, sich zu entschuldigen“ für den Versuch, eine notwendige Debatte über die Zukunft des Landes nach den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu unterbinden. Man sei es den Menschen schuldig, eine Perspektive für die nächsten zwei Jahre aufzuzeigen.
Den Freien Demokraten gehe es mit ihrem Antrag darum, „dass endlich von der Bundesregierung klare, transparente, nachvollziehbare Kriterien entwickelt werden, wie man Gesundheitsschutz und wirtschaftliche und gesellschaftlich Öffnung miteinander verbinden kann“. Ihre bisherigen Beschlüsse wirkten willkürlich, kritisierte Theurer mit Verweis unter anderem auf die 800-Quadratmeter-Grenze für Geschäftsöffnungen.
Theurer warnte vor einer Insolvenzwelle, die „weite Teile des Mittelstandes hinwegfegt“. Deshalb fordere seine Fraktion in ihrem Antrag ein Programm für Wachstum, Beschäftigung und Innovation. Es dürfe „keine neuen Steuererhöhungen geben, keine neue Bürokratie, keine neuen Umverteilungsprogramme“. Stattdessen brauche es bessere Abschreibungsmöglichkeiten, die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlages und weitere steuerliche Entlastungen, forderte Theurer. Neben der Infektionskette müsse auch die „Interventionskette“ des Staates, mit der „Grenzen in Richtung einer Planwirtschaft verschoben“ würden, unterbrochen werden.
CDU/CSU verteidigt Fahren auf Sicht
Ohne auf die Forderungen der FDP weiter einzugehen, verteidigte Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) das bisherige Vorgehen. Der Bundestag habe in einer „historischen Stunde“ vor vier Wochen „in großer Einmütigkeit Dinge auf den Weg gebracht“, von denen man heute sagen könne: „Das Schutzschild funktioniert.“ Und die Koalition arbeite „mit Hochdruck“ an weiteren Maßnahmen, zum Beispiel um Wirtschaftsbereichen mit besonders düsteren Perspektiven wie den Schaustellern zu helfen.
Pfeiffer erinnerte daran, dass die derzeitigen Einschränkungen kein Selbstzweck seien. Bei einer Öffnungsstrategie gelte es immer zu bedenken: „Wenn wir zu schnell hochfahren, besteht die Gefahr eines Rückfalls“.
AfD: Regierung hat keinen Plan
Rückendeckung für ihren Antrag erhielt die FDP-Fraktion aus der AfD. Die Bundesregierung müsse eine „verlässliche Öffnungsstrategie vorlegen“, forderte Tino Chrupalla (AfD). Die sei bisher nicht zu erkennen, „die Bundesregierung hat keinen Plan.“ Was etwa nütze Wirten eine Senkung der Mehrwertsteuer, fragte er, wenn sie gar nicht öffnen dürften. Nicht nur das Virus bedrohe Menschen, „auch auf wirtschaftlicher Seite geht es um ganz konkrete Schicksale“, betonte Chrupalla.
SPD sieht Wünsch-Dir-Was der FDP
Sören Bartol (SPD) begrüßte, dass die FDP mit ihrem Antrag eine Debatte angestoßen habe, die „in dieses Haus gehört“. Den Antrag selbst aber bezeichnete er als „wildes Wünsch-Dir-Was“, in das die Liberalen Forderungen bis hin zur Senkung von Umweltstandards gepackt hätten, die Unternehmen „mehr schaden, als sie helfen“, weil Milliarden an Investitionen verschleudert würden.
Die Koalition dagegen zeige, dass sie zielgenau nachsteuern könne. Die Wirtschaft müsse kontrolliert wieder hochgefahren werden, betonte Bartol. Das gehe aber nur, wenn gleichzeitig die Risikogruppen weiter geschützt werden. „Wir müssen diszipliniert sein und zeigen, dass wir mit den Lockerungen auch umgehen können.“
Linke: Menschen vor Profite stellen
Entschieden gegen die Forderungen der FDP stellte sich Alexander Ulrich (Die Linke). „Lasst uns erst mal erkennen, was die zuletzt beschlossenen Schritte bedeuten“, forderte er. Was er am vergangenen Wochenende in der Fußgängerzone seiner Heimatstadt Kaiserslautern gesehen habe, gebe ihm ein „ungutes Gefühl“. Zur DNA seiner Fraktion gehöre, Menschen vor Profite zu stellen.
Den Forderungen der FDP-Fraktion nach Steuersenkungen setzte Ulrich entgegen, man müsse vielmehr dafür sorgen, dass „Krisengewinnler“ wie Amazon angemessen Steuern zahlten. Auch solle Staatshilfen in der Krise nur bekommen, wer auf Boni und Dividenden verzichtet.
Grüne: Noch nicht über dem Berg
„Wir können stolz sein auf die letzten Wochen, was wir hier gemeinsam erreicht haben“, erklärte Dieter Janecek (Bündnis 90/Die Grünen) mit Blick auf das Parlament, aber auch auf die Menschen im Land. Zugleich mahnte er: „Wir sind noch nicht über den Berg, um mehr öffnen zu können.“ Insofern wies er die Forderungen der FDP zurück, gab ihr aber „in einem Punkt recht: Wir brauchen nachvollziehbare Kriterien für weitere Öffnungen“.
Auf die beiden mit zur Debatte stehenden Anträge seiner Fraktion, in denen es um Hilfen für gemeinnützige Organisationen und Unternehmen geht, ging Janecek, wie auch die Redner der anderen Fraktionen, nicht ein.
Antrag der FDP
Die FDP fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag (19/18711) unter anderem auf, einen Kriterienkatalog zu erstellen, der auf der Minimierung des Infektionsrisikos basiert. Oberste Maxime solle die Handlungsfähigkeit des Gesundheitssystems sein, die Eindämmung der Pandemie durch die Unterbrechung von Infektionsketten und die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln.
Auf der Basis des Kriterienkatalogs solle ein Zeitplan für eine differenzierte Öffnungsstrategie mit einer Laufzeit von zwei Jahren vorgelegt werden. Alle Entscheidungen über weitere Öffnungen, aber auch Einschränkungen, sollten jeweils auf Basis dieser Kriterien begründet werden, damit willkürliche Vorgaben ausgeschlossen sind, schreibt die Fraktion. Die epidemiologische Erforderlichkeit von Freiheitseinschränkungen seien kritisch zu prüfen und pragmatische, flexible und lebensnahe Lösungen zu suchen.
Anträge der Grünen
Die Grünen fordern die Bundesregierung in ihrem ersten Antrag (19/18709) unter anderem auf, einen „Rettungsschirm Zivilgesellschaft“ für kleine, gemeinnützige Organisationen zu schaffen, die bisher unter keine von der Bundesregierung bereitgestellten Rettungsschirme zur Corona-Pandemie fallen und hierüber schnell und unbürokratisch Nothilfen für existenzbedrohte, zivilgesellschaftliche Organisationen zu gewähren. Die Fraktion will auch prüfen lassen, inwiefern hierfür kurzfristig und schnell Mittel aus dem Etat der im Aufbau befindlichen „Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE)“ verwendet werden können.
In einer weiteren Vorlage (19/18714) fordert die Fraktion, dass die Bundesregierung mit den Bundesländern Soforthilfeprogramme am Beispiel Hessens oder Baden-Württembergs für mehr als zehn Mitarbeiter erarbeitet, die
auch an Sozialunternehmen gerichtet sind. Zudem sollen die Liquiditätshilfen und Förderprogramme der KfW kurzfristig auch für gemeinnützige Unternehmen geöffnet werden, auch wenn sie wegen der Einbeziehung gemeinnützige Teilhaber die Größenschwelle überschreiten. (pst/sas/23.04.2020)