Die Forderung nach einem stärkeren eigenen Spielraum der Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen ist von Experten teils nachdrücklich begrüßt, teils mit erheblichen juristischen Bedenken versehen worden. Dabei ging es nicht zuletzt um das Bündnis „Sichere Häfen“, bei dem inzwischen schon mindestens 115 Städte und Gemeinden aus dem Mittelmeer geretteten Menschen Aufnahme und Schutz bieten wollen. Basis bei der öffentlichen Anhörung von sieben Sachverständigen im Ausschuss für Inneres und Heimat unter der Leitung von Jochen Haug (AfD) waren am Montag, 4. November 2019, zwei ähnlich pro-kommunale Anträge der Linksfraktion (19/8648) und von Bündnis 90/Die Grünen (19/9275).
Dr. Uda Bastians vom Deutschen Städtetag meinte, eine Lösung für die Flüchtlingsproblematik könne es nur auf europäischer Ebene geben. Dazu gehörten auch die Fragen, wohin die aus Seenot geretteten Menschen zunächst gebracht würden und wie ein fairer Verteilmechanismus in der EU aussehen könne. Es bedürfe einer Finanzierungslösung, die den Städten eine nachhaltige und dauerhafte Unterstützung bei der Integration bietet. Die Kommunen seien mit hohen Ausgaben belastet. Die Entlastungen müssten dort ankommen, wo die Belastungen aufträten.
„Mit Prinzipien des Aufenthaltsrechts nicht vereinbar“
Prof. Dr. Dr. h. c. Kay Hailbronner (Universität Konstanz) wandte sich gegen die in den Anträgen erhobene Forderung, dass die Kommunen ihre Aktivitäten in der Flüchtlingspolitik dem Bundesinnenministerium nur anzuzeigen hätten statt eine Zustimmung einholen zu müssen. Das sei mit den Prinzipien des deutschen Aufenthaltsrechts nicht vereinbar. Das Ministerium habe auf bundespolitische Belange bei der Steuerung der humanitären Aufnahme von Flüchtlingen zu achten. Generell verbiete das geltende Recht den Kommunen nicht, über die Quote hinaus freiwillig Flüchtlinge aufzunehmen.
Helene Heuser (Universität Hamburg) betonte, dass der Flüchtlingsschutz auch bei einer kommunal initiierten Aufnahme weiterhin eine staatliche Aufgabe bleibe, die von Bund und Ländern zu erfüllen sei. Dass Kommunen zusätzlich freiwillig Schutzsuchende aufnehmen wollten, ändere daran nichts. Sie unterstrich, dass das Selbstbestimmungsrecht der Städte und Gemeinden lediglich eine freiwillige zusätzliche Aufnahme umfasse, nicht hingegen die Ablehnung der Aufnahme von Flüchtlingen, die ihnen durch den Staat zugewiesen werden. Sie forderte ein neues Gesetz, das eigenständiges Vorgehen der Kommunen ermöglicht.
„Nebenaußenpolitiken der Länder nicht zulässig“
Prof. Dr. Marcel Kau (Universität Konstanz) wies darauf hin, dass die außenpolitischen Gestaltungsspielräume der Länder grundsätzlich restriktiv zu interpretieren seien. „Nebenaußenpolitiken“ der Länder und gegebenenfalls noch zusätzlich der Kommunen seien gegenwärtig weder verfassungsrechtlich zulässig noch außenpolitisch geboten. Die Städte und Gemeinden seien ungeachtet der garantierten kommunalen Selbstbestimmung Teile der Länder und begründeten keine eigene Ebene der Staatlichkeit.
Dr. Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag gab zu bedenken: Wenn Kommunen zu einer eigenständigen Flüchtlingspolitik ermächtigt würden, würde die Entscheidung über die konfliktträchtige und die Bürgerschaft potenziell spaltende Frage der Flüchtlingsaufnahme auf die kommunale Ebene verlagert, was das Zusammenleben vor Ort beeinträchtigen könne. Es sei nicht zu verkennen, dass Aufnahmeprogramme einzelner Landkreise, Städte oder Gemeinden den Zusammenhalt der Kommunen untereinander gefährden könnten. Finanzhilfen des Bundes zugunsten der Kommunen seien enge Grenzen auferlegt.
„Bündnis quer durch die politische Farbenlehre“
Prof. Dr. Gesine Schwan (Humboldt-Viadrina Governance Platform) begrüßte die Forderung nach einem europäischen Integrations- und Entwicklungsfonds, bei dem sich Gemeinden bewerben können, die sich bereit erklären, Flüchtlinge aufzunehmen. Von diesem Fonds sollen sie die Finanzierung der Integrationskosten erstattet bekommen – und in derselben Höhe Kosten ihrer eigenen Weiterentwicklung wie Infrastruktur, Bildung oder Wohnen. Politik, Unternehmen und organisierte Zivilgesellschaft sollten die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen vorbereiten, um sie in der kommunalen Gesellschaft breiter abzustützen und zu verankern.
Der Oberbürgermeister von Potsdam, Mike Schubert (SPD) – von dort werden die „Sicheren Häfen“ bundesweit koordiniert – strich heraus, dass das Bündnis „quer durch die politische Farbenlehre“ gehe. Erst komme die Rettung, dann das rechtsstaatliche Verfahren. Das eine hebele das andere nicht aus. Die Bundestagsabgeordneten müssten nach einer Lösung für die in der Anhörung aufgeworfenen rechtlichen Fragen suchen. Das Städtebündnis stufte er als „Signal nach Europa“ ein.
Antrag der Linken
Die Bundesregierung soll nach einem Antrag (19/8648) der Fraktion Die Linke „kommunale Initiativen für die Aufnahme von Geflüchteten“ umfassend unterstützen. Dazu solle sie insbesondere ihr politisches Einverständnis für entsprechende Aufnahmevereinbarungen der Länder nach Paragraf 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes erklären und einen Gesetzentwurf vorlegen, „mit dem Städten und Kommunen die Möglichkeit eröffnet wird, Geflüchtete eigenverantwortlich aufzunehmen“, fordert die Fraktion.
Die Bundesregierung wird zudem aufgefordert, besonders aufnahmebereite Städte und Kommunen finanziell und strukturell zu unterstützen und sich auf der EU-Ebene für einen „Asyl-Solidaritäts-Fonds“ einzusetzen, „dessen Fördermittel darüber hinaus eine allgemeine Verbesserung der kommunalen Infrastruktur dieser Städte und Regionen ermöglichen“. In der Begründung schreibt die Fraktion, dass es in Deutschland viele Kommunen gebe, „die sich aktiv als sichere Zufluchtsorte für Geflüchtete angeboten haben, zum Beispiel Osnabrück, Bielefeld, Marburg, Greifswald und Nürnberg“. Etwa 25 Städte hätten dies gegenüber dem Bundesinnenministerium ausdrücklich erklärt.
Antrag der Grünen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dringt in ihrem Antrag (19/9275) darauf, die „regionale und kommunale Flüchtlingsaufnahme“ zu stärken. Die Bundesregierung wird aufgefordert, „Städte und Kommunen, die ihre Bereitschaft zur Aufnahme und Integration von Geflüchteten zusätzlich zum existierenden Verteilungsschlüssel erklärt haben, in diesem Anliegen zu unterstützen“. Auch solle die Bundesregierung nach dem Willen der Fraktion Paragraf 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes in eine „Benehmensregelung“ ändern, „sodass die Länder nicht mehr das Einvernehmen des Bundesinnenministeriums einholen müssen, um humanitäre Aufnahmeprogramme auf den Weg zu bringen“. Ferner solle sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen, „dass ein kommunaler Integrationsfonds zur Unterstützung von europäischen Kommunen und Regionen bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten eingerichtet wird“.
Die Grünen schreiben, dass fast 50 Städte und Gemeinden in Deutschland „ihr kommunales Selbstbestimmungsrecht im Sinne des Flüchtlingsschutzes nutzen“ wollten und sich dazu bereit erklärten, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen. Derzeit hindere Paragraf 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes die Länder jedoch an einer eigenständigen Durchführung humanitärer Aufnahmeprogramme, da hierzu immer das Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister erforderlich sei. (sto/28.10.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Uda Bastians, Deutscher Städtetag, Berlin
- Prof. Dr. Dr. h. c. Kay Hailbronner, Universität Konstanz
- Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Deutscher Landkreistag e.V., Berlin
- Helene Heuser, Universität Hamburg
- Prof. Dr. Marcel Kau, Universität Konstanz
- Dr. Gerd Landsberg, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Berlin
- Dr. Klaus Ritgen, Deutscher Landkreistag, Berlin
- Prof. Dr. Gesine Schwan, HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform gGmbH, Berlin
- Mike Schubert, Oberbürgermeister von Potsdam