Der Bundestag hat sich am Donnerstag, 17. September 2020, mit einer Reihe von Anträge der Opposition, die auf nachhaltiges Wachstum und ökologisch-soziale Marktwirtschaft zielen, befasst.
Altmaier wirbt für Klimakonsens
Zu einer grundlegenden Einigung über die Umsetzung der Klimaschutzziele noch vor Beginn der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs rief der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier (CDU), auf.
Nachhaltigkeit sei kein einfaches Konzept, meinte er. Erforderlich sei, heute den Mut zu Entscheidungen aufzubringen, die erst eine oder zwei Generationen später sichtbar würden. Er erinnerte an die 40 Jahre währende Diskussion um den dann erfolgten Ausstieg aus der Kernenergie. Vergleichbar müsse jetzt auch ein Klimakonsens erreicht werden, der für die Wirtschaft Klarheit und Verlässlichkeit biete.
CDU/CSU hebt nachhaltige Haushaltspolitik hervor
Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) beschwor bei Konzepten zur Nachhaltigkeit den Dreiklang von Ökonomie, sozialer Absicherung und Ökologie. Daran werde sich der Fahrplan der Union ausrichten. Im Bereich der Ökonomie verwies er auf nachhaltige Haushalte, die die Union mit unterschiedlichen Koalitionspartnern aufgestellt habe.
Im sozialen Bereich hob er die Weiterbildungsintensität hervor. Im Ökologiesektor sprach er den Anreiz für die Industrie an, trotz niedrigem Ölpreis auf Recycling zu setzen.
AfD: Umweltschutz nur mit Kernenergie
Steffen Kotré (AfD) vermochte in der Politik wenig von Nachhaltigkeit zu entdecken. Die Menschen in Deutschland lebten von der Substanz. Die Ausstiege aus Kohle und Kernenergie seien riesige Programme, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Arbeitsplatzexporte ins Ausland seien die Folge. Es sei einfach dumm, den Wohlstand der Deutschen in andere Länder zu transferieren. Er gab sich überzeugt, dass Umweltschutz nur mit Kernenergie zu machen sei.
Zuversicht bei SPD für industriepolitische Wende
Bernd Westphal (SPD) zeigte sich zuversichtlich, dass die industriepolitische Wende gelingen könne. Die Corona-Pandemie dürfe nicht dazu verleiten, bei weiteren Schritten zurückzustecken. Das Gegenteil könne gelingen. Wer die Wirtschaft zukunftssicher machen wolle, müsse den Klimaschutz mitdenken.
Als Wege der SPD beschrieb er den Ausstieg aus der Kernenergie und – sozialverträglich – der Kohle sowie die Stärkung der Kreislaufwirtschaft und die Förderung von Forschung und Entwicklung.
FDP rügt Bundesumweltministerium
Sandra Weeser (FDP) warf Bundesregierung und Grünen vor, sich ziemlich einseitig mit Nachhaltigkeit zu befassen. Ein Beispiel sei der nationale Brennstoffemissionshandel, der Anfang 2021 beginnen solle. Dabei habe das Bundesumweltministerium immer noch keine Regelungen zum Schutz deutscher Firmen im internationalen Wettbewerb vorgelegt.
Nachhaltigkeit sei nur mit technologischem Fortschritt möglich. Dazu brauche es die Freiheit von Forschung und Entwicklung statt politischer Vorgaben.
Linke will Arbeitszeit verkürzen
Jörg Cezanne (Die Linke) machte sich für eine eingreifende und lenkende Politik stark. Sie müsse verbindliche Vorgaben machen für die vollständige Vermeidung von Treibhausgas. Er forderte sehr viel mutigere Hilfen für die Entwicklung entsprechender Technologien.
Belegschaften müssten mitreden können, wenn in Unternehmen nach neuen Produkten gesucht werde, die klimaneutral hergestellt werden können. Zur sozialen Abfederung brachte er eine Verkürzung der Arbeitszeit ins Gespräch.
Grüne: Jobs der Zukunft nur mit Klimaschutz
Dieter Janecek (Bündnis 90/Die Grünen) prangerte eine Antiklimaschutzpolitik an. Im Bereich der erneuerbaren Energien seien mehr Arbeitsplätze vernichtet worden als es sie im Kohlesektor noch gebe.
Er mahnte ein konkretes Konzept für den Einsatz von Wasserstoff an. Die Brände in Kalifornien oder die Dürre in deutschen Wäldern zeigten die Folgen mangelnden Klimaschutzes. Er setzte sich für eine moderne Industriepolitik ein. Jobs der Zukunft gebe es nur mit Klimaschutz.
Anträge der AfD
Beraten wurden sechs Anträge der AfD-Fraktion, davon vier zum ersten Mal: Der erste Antrag heißt „Modernste Kernenergie für Deutschland – sicher, sauber und bezahlbar“ (19/22434), der zweite trägt den Titel „Kernkraft für Umweltschutz“ (19/22435). Beide wurden zur weiteren Beratung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen werden. Ein dritter Antrag unter der Überschrift „Tschernobyl und Fukushima sachlich betrachten – Der Atomausstieg war ein Fehler und muss rückgängig gemacht werden“ (19/22454) wurde an den Umweltausschuss überwiesen. Ein vierter Antrag „Umweltverträgliche Kohlekraftwerke weiter betreiben – Ausstieg aus der Kohleverstromung stoppen“ (19/22431) wird federführend im Wirtschaftsausschuss beraten.
Einen fünften vorgelegten AfD-Antrag mit dem Titel „Atommüll-Endlager vermeiden – Hochradioaktive Reststoffe verwerten“ (19/17127) hat der Bundestag mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen abgelehnt. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Umweltausschusses (19/22611 Buchstabe a) zugrunde. Ebenfalls mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde zudem ein sechster AfD-Antrag mit dem Ziel, Lieferketten zu schützen, die heimische Wertschöpfung zu steigern und Unternehmen zur vereinfachten Produktionsverlagerung nach Deutschland zu unterstützen (19/20680). Der Entscheidung lag eine Beschlussempfehlung Wirtschaftsausschusses (19/22368 Buchstabe a) zugrunde. Ein siebter AfD-Antrag, der darauf abzielt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz abzuschaffen, war von der Tagesordnung abgesetzt worden.
Anträge der FDP
Die FDP-Fraktion hat zwei Anträge zur Debatte vorgelegt: Erstmals debattiert wurde ein Antrag mit dem Titel „Mit Innovation zu nachhaltigem Wachstum“ (19/22494), der im Anschluss direkt abgestimmt und abgelehnt wurde.
Mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde auch ein Antrag, mit dem die FDP „Tempo in der Energiepolitik“ fordert und „Wasserstoff zum neuen Öl machen“ will (19/15049). Der Entscheidung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft (19/17192) zugrunde.
Anträge der Linken
Zwei Anträge hat ebenfalls die Fraktion Die Linke eingebracht. Erstmals wurde ein Antrag vorgelegt, mit dem sich die Fraktion gegen Finanzhilfen für eine Flüssiggas-Import-Infrastruktur ausspricht (19/8512). Die Vorlage wurde zur federführenden Beratung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen.
Bei Enthaltung der Grünen wurde mit breiter Mehrheit ein Antrag der Linksfraktion zur Beschleunigung des Atomausstiegs (19/8271) abgelehnt. Der Entscheidung lag eine Beschlussempfehlung des Umweltausschusses (19/22611 Buchstabe b) zugrunde.
Anträge der Grünen
Sechs Anträge wurden von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt, einer davon wurde erstmals im Plenum debattiert: „Für eine wohlstandsorientierte Betrachtung der wirtschaftlichen Erholung“ (19/22502) lautete der Titel der Vorlage, die anschließend in den Wirtschaftsausschuss zur weiteren Beratung weitergereicht wurde.
Fünf weitere Anträge wurden abgestimmt: Die Forderung der Fraktion, erweiterte Kreditspielräume für Zukunftsinvestitionen einzuführen (19/16841), wurde bei Enthaltung der Linksfraktion von der Mehrheit des Hauses abgelehnt, die Vorlage, eine Rohstoffwende zum Schutz der Menschenrechte und für eine nachhaltige Entwicklung der Industrie (19/16522) umzusetzen, fand bei Zustimmung durch die Linksfraktion ebenfalls keine ausreichende Mehrheit. Ein weiterer Antrag der Grünen für eine „bürgernahe Energiewende“ (19/9954) wurde ebenfalls bei Zustimmung durch die Linksfraktion durch die übrigen Fraktionen abgelehnt. Der ersten Abstimmung lag eine Empfehlung des Haushaltsausschuss (19/22260) zugrunde, zu den beiden anderen Anträgen lagen Beschlussempfehlungen des Wirtschaftsausschusses (19/17946, 19/15944) vor.
Eine weitere Forderung der Grünen, das „Vorsorgeprinzip als Innovationsmotor“ zu nutzen (19/9270) wurde bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke gegen das Votum der übrigen Fraktionen abgelehnt. Dazu lag den Abgeordneten eine Beschlussempfehlung des Umweltausschusses (19/15974) zur Entscheidung vor. Darüber hinaus wurde ein fünfter Antrag (19/16048) bei Enthaltung der FDP abgelehnt , der die „Chancen der Digitalisierung für die Energiewende“ nutzen soll, indem der Einbau sogenannter Smart-Meter im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher auszugestalten ist. Der Entscheidung lag eine Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses (19/17466) zugrunde. Von der Tagesordnung abgesetzt hatte der Bundestag die Abstimmung über einen Antrag der Grünen (19/16883), die Rechtssicherheit in internationalen Lieferketten zu stärken und die Haftung für Prüfunternehmen festzuschreiben.
AfD will hochradioaktive Reststoffe verwerten
Durch Partionierung und Transmutation (PuT) sollten aus Sicht der AfD-Fraktion die für ein Endlager benötigten Kapazitäten substanziell reduziert werden. PuT sei als eine „gleichermaßen geeignete und wirksame“, sowie mindestens ergänzende Strategie zum Umgang mit nuklearen Abfällen einzustufen und anzuerkennen, schreibt die Fraktion in einem abgelehnten Antrag (19/17127). Die Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet werde in Deutschland „gar nicht beziehungsweise in völlig unzureichender Weise gefördert“.
Weiter heißt es, die Nutzung von Reststoffen solle „in möglichst vielseitiger Weise, auch in nukleartechnischen Anlagen für PuT“ gestattet werden. Dafür sollte die Bundesregierung auch Genehmigungen und den Betrieb von geeigneten Reaktoren und Trennanlagen unterstützen. Die Fraktion schreibt, dass Bestandteile hochaktiver Reststoffe auch „abseits der kerntechnischen Nutzung verwendet werden“ können. Dies gelte etwa für die Edelmetalle Rhodium, Ruthenium, Palladium oder Americum-241 für Nuklidbatterien in Weltraumfahrzeugen. Dafür seien die Entwicklung und der Betrieb von Schnellspaltreaktoren und Partitionierungsanlagen erforderlich.
FDP setzt auf Wasserstoff
Die FDP-Fraktion wollte den Emissionshandel auf die Bereiche Gebäude und Verkehr ausdehnen. Außerdem forderten die Abgeordneten in einem Antrag (19/15049), bei der Energiewende verstärkt auf Wasserstoff zu setzen. So sollten bis zu 500 Millionen Euro jährlich ab 2021 für Wasserstoffprojekte in Südeuropa und im nördlichen Afrika zur Verfügung gestellt werden, die von Europäischer Investitionsbank und der KfW-Förderbank finanziert werden.
Bei der Energiewende müsse Technologieoffenheit herrschen, heißt es weiter. Die zusätzlichen Einnahmen aus dem Emissionshandel, deren Höhe die Abgeordneten auf etwa 9,5 Milliarden Euro schätzen, sollten dafür genutzt werden, um die Stromsteuer und EEG-Umlage ab 2021 zu senken.
Linke gegen LNG-Förderung
Die Linke ist gegen die Verwendung öffentlicher Gelder für den Infrastrukturausbau für das Flüssiggas LNG. In einem abgelehnten Antrag (19/8512) forderten die Abgeordneten die Bundesregierung auf, keine Gesetzesänderungen vorzulegen oder Verordnungen zu erlassen, die zu einer Verwendung öffentlicher Mittel zum Bau und Betrieb von Flüssiggas-Import-Infrastrukturen oder zur indirekten Finanzierung über Netzentgelte führen.
Bei der Vorlage des Bundeshaushalts sollten die Förderung von LNG-Terminals zum Flüssiggasimport und entsprechender Infrastruktur ausgeschlossen und bereits bewilligte Mittel gesperrt werden. Es sei ein energie- und klimapolitischer Irrweg, mit öffentlichen Mitteln LNG-Flüssiggas-Terminals für den Gasimport zu subventionieren, heißt es zur Begründung.
Linke für beschleunigten Atomausstieg
Der Atomausstieg in Deutschland sollte beschleunigt werden. Außerdem sollte sich die Bundesregierung in der EU und in den internationalen Beziehungen für einen schnellstmöglichen Atomausstieg sowie gegen den Neubau von Atomkraftwerken einsetzen. Dies forderte die Fraktion Die Linke in einem Antrag mit dem Titel „Fukushima mahnt – Atomausstieg beschleunigen“ (19/8271). Am 11. März jährte sich zum achten Mal die Atomkatastrophe von Fukushima. Am 26. April 2019 ist der 33. Jahrestag des Super-GAUs von Tschernobyl.
In der Bundesrepublik seien bis Ende 2022 noch Atomkraftwerke in Betrieb, in denen eine Katastrophe mit Freisetzung von großen Mengen Radioaktivität nicht ausgeschlossen werden könne, heißt es in dem Antrag. Außerdem werde in den noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerken weiterhin Atommüll erzeugt, dessen dauerhafte Lagerung bis heute sowohl national als auch international ungeklärt sei und dessen oberirdische Zwischenlagerung angesichts wachsender Terrorgefahren, Naturkatastrophen oder technisches Versagen immer größere Risiken mit sich bringe.
Grüne wollen Kreditspielräume nutzen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grüne forderte neue Schulden, um in den Klimaschutz zu investieren. In einem abgelehnten Antrag (19/16841) argumentierte die Fraktion, dass angesichts „der Klimakrise und der enormen Investitionsbedarfe bei Digitalisierung, öffentlicher Infrastruktur, Bildung, Wohnungsbau, Mobilität“ die Möglichkeiten der „Kreditfinanzierung von Investitionen“ genutzt werden sollten.
Mit dem Antrag sollte die Bundesregierung dazu aufgefordert werden, Investitionsbereiche zu identifizieren, „die sinnvoll in Investitionsgesellschaften gebündelt werden können und diese Gesellschaften kreditfähig zu machen“. Zudem sollte nach Auffassung der Fraktion die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse mit einer „verbindlichen Investitionsregel“ verknüpft werden.
Grüne für Richtungsänderung bei der Rohstoffstrategie
Eine Richtungsänderung bei der Rohstoffstrategie forderte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Im Mittelpunkt müssten effizientes Wirtschaften sowie eine Reduzierung des Ressourcenverbrauchs stehen, erklärten die Abgeordneten in einem abgelehnten Antrag (19/16522). Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft sollten etwa Produkte so gestaltet werden, dass die Einzelteile möglichst sinnvoll wiederverwendet werden könnten.
Die Bundesregierung sollte sich auf EU-Ebene für neue Effizienzstandards einsetzen, die den gesamten Lebenszyklus eines Produkts berücksichtigen. Zudem gelte es zu prüfen, inwiefern finanzielle Anreize den Rohstoffverbrauch senken könnten.
Grüne: Vorsorgeprinzip stärken
Die Fraktion setzte sich außerdem für eine Stärkung des Vorsorgeprinzips „als Innovationsmotor einer nachhaltigen Entwicklung“ ein. In einem abgelehnten Antrag (19/9270) forderte sie von der Bundesregierung unter anderem, klarzustellen, „dass das Vorsorgeprinzip an sich und sein Verfassungsrang auf EU-Ebene nicht infrage gestellt werden dürfen und das Vorsorgeprinzip somit eindeutig über einfacher Gesetzgebung steht“.
Das Vorsorgeprinzip und die damit einhergehenden hohen Schutzstandards in Europa stellten „eine Errungenschaft dar, die nicht aufs Spiel gesetzt werden darf“, begründeten die Grünen ihren Einsatz für das Prinzip.
Grüne für bürgernahe Energiewende
Bürger sollten nach den Vorstellungen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stärker als bislang an der Energiewende beteiligt werden. Sie sollten von neuen Technologien profitieren, aktiv am Markt agieren und gegenüber der Industrie gleichgestellt werden, erklärten die Abgeordneten in einem Antrag (19/9954).
Sie forderten einen europäischen Rechtsbegriff des „aktiven Kunden“ und einen konkreten Rechtsrahmen dafür. Auch Zusammenschlüsse in Form von Bürgerenergie- und Erneuerbaren Energiegemeinschaften sollten darin aufgenommen werden. Darüber hinaus formulierten die Abgeordneten in dem Antrag weitere rechtliche Maßnahmen, mit den Bürger unbürokratisch und unabhängig von ihrer sozialen Herkunft an der Energiewende teilhaben können sollen. (lbr/pez/hle/scr/joh/sas/17.09.2020)